Es stellt ein Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO dar, die für das Erstellen des fristgebundenen Schriftsatzes notwendige Synchronisation zwischen dem lokalen PC des Anwalts und einem Arbeitssystem auf einem Server in einem weit entfernten Rechenzentrum erst fünf Minuten vor dem Ende der Rechtsmittelbegründungsfrist durchzuführen. Diese Synchronisation ist auf Leitungen außerhalb der Kanzlei und die Übermittlung über Internetverbindungen angewiesen. Daher müssen bei pflichtgemäßem Handeln ausreichende Zeitreserven für diese Synchronisation eingeplant werden. (Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Eine Berufungsbegründung rechtzeitig, eine verspätet
Der Kläger hatte an einer ihm gehörenden Villa Umbauarbeiten vorgenommen, obwohl die Villa im Denkmalbuch stand. Der Kläger hat versucht, die Villa aus dem Denkmalbuch löschen zu lassen. Außerdem hatte er in einem anderen Verfahren beantragt festzustellen, dass die Villa kein Kulturdenkmal darstelle, oder hilfsweise, dass die Umbauarbeiten im Nachhinein genehmigt werden. Das VG hat beide Klagen am selben Tag abgewiesen. Der Kläger hat dann in beiden Verfahren beantragt, die Berufung zuzulassen. In dem Verfahren betreffend Löschung aus dem Denkmalbuch übersandte sein Prozessbevollmächtigter die Begründung seines Antrags eine halbe Stunde vor Fristablauf. Die Begründung für den zweiten Antrag ging drei Minuten nach Fristablauf beim VGH ein.
Wiedereinsetzung beantragt
Der Kläger hat Wiedereinsetzung beantragt und dazu vorgetragen: Der Kartenleser für den beA-Zugang habe schon am Mittag nicht funktioniert. Deshalb sei ein Gerät eines Kollegen installiert worden, um sich ins beA einloggen zu können. Der Funktionstest auf der zweiten Ebene – Citrix Workspace (eine digitale Arbeitsumgebung) – sei aber negativ ausgefallen. Die Ursache dafür habe wohl in dem Server gelegen, der außerhalb der Kanzlei arbeitete. Er habe deshalb den Schriftsatz erstellen, dann in der Cloud abspeichern und dann über beA versenden wollen. Diese „Synchronisation“ dauere an sich nur wenige Sekunden. Im Verfahren „Denkmalbuch“ habe das auch geklappt. Dann habe er sich den Wecker auf fünf vor Mitternacht gestellt, um bis dahin noch an dem Schriftsatz zu arbeiten. Als es dann zur Versendung gekommen sei, habe die Synchronisation wesentlich länger als erwartet gedauert. Der VGH Baden-Württemberg hat den Antrag zurückgewiesen:
II. Entscheidung
Verschuldensmaßstäbe
Der Wiedereinsetzungsantrag sei abzulehnen, weil der Prozessbevollmächtigte des Kläger nicht ohne Verschulden verhindert gewesen sein, die gesetzliche Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, einzuhalten. Einem Verfahrensbeteiligten könne zwar nicht vorgeworfen werden, dass er bis zum letzten Tag der Frist abwartet, ehe er eine fristgebundene prozessrechtliche Erklärung abgibt. Werde eine Rechtsmittelfrist oder die Begründungsfrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft, so treffen den Verfahrensbeteiligten allerdings erhöhte Sorgfaltspflichten. Er müsse alle gebotenen und zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Gefahr einer Fristversäumnis zu vermeiden. Ein pflichtbewusster Rechtsanwalt sei daher kurz vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist verpflichtet, jedes Risiko zu meiden, das zu einer Fristversäumung führen oder beitragen könne (u.a. BVerfG, Beschl. v. 2.7.2014 – 1 BvR 862/13 m.w.N; BGH, Beschl. v. 9.5.2006 – XI ZB 45/04). Eine Fehlfunktion technischer Einrichtungen in der Anwaltskanzlei entlastet den Rechtsanwalt (nur) dann, wenn die Störung plötzlich und unerwartet aufgetreten ist und durch regelmäßige Wartung der Geräte nicht hätte verhindert werden können (BGH, Beschl. v. 18.2.2020 – XI ZB 8/19; Beschl. v. 15.12.2022 – I ZB 35/22). Dabei sei ein Rechtsanwalt bei Ausschöpfung einer Frist bis zum letzten Tag zwar nicht verpflichtet, die technischen Systeme stets vorsorglich auf dessen Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Er missachte aber dann die gebotene Sorgfalt, wenn er wegen eines Versagens des technischen Systems konkreten Anlass dafür habe, an dessen verlässlicher Funktionstauglichkeit zu zweifeln (BGH, Beschl. v. 16.11.2016 – VII ZB 35/14; Beschl. v. 18.2.2020, a.a.O., jeweils zum Telefax). Auch im elektronischen Rechtsverkehr muss mit einer nicht jederzeit reibungslosen Übermittlung gerechnet werden, und können z.B. Schwankungen bei der Internetverbindung oder eine hohe Belastung des Servers kurz vor Mitternacht etwa wegen einer großen Anzahl eingehender Nachrichten oder wegen der Durchführung von Software-Updates zu Verzögerungen führen, die einzukalkulieren seien (BVerwG, Beschl. v. 25.9.2023 – 2 C 11/19; Hess-VGH, Beschl. v. 24.8.2022 – 4 A 149/22.Z; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 3.11.2021 – 6 U 131/21). Dem sei durch eine zeitliche Sicherheitsreserve bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze Rechnung zu tragen (BVerwG, a.a.O.).
Hier Verschulden, da…
Nach diesem Maßstab hat der VGH hier die Versäumung der Begründungsfrist nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO als verschuldet angesehen. Ein Verschulden liege in mehrfacher Hinsicht vor. Jeder dieser Sorgfaltsverstöße führe bereits je für sich zur Ablehnung der Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO.
… Zeitpolster für Versendung zu gering
Der Rechtsanwalt habe mehr als nur fünf Minuten für die Versendung einkalkulieren müssen. Wer als Rechtsanwalt die Rechtsmittelfrist bis zum letzten Tag ausschöpfe, müsse zumindest eine Zeitreserve für eventuelle Störungen in der Übermittlung einplanen.
…Zeitpolster für Synchronisation zu gering
Auch die Kalkulation hinsichtlich der Synchronisation sei viel zu kurz. Nur wenige Minuten für die notwendige Synchronisation zwischen dem lokalen PC des Rechtsanwalts und einem Arbeitssystem auf einem Server in einem weit entfernten Rechenzentrum sei keine ausreichende Zeitreserve, da immer mit Übertragungsproblemen und schwankenden Internetverbindungen zu rechnen sei.
… Keine Vorsorgemaßnahmen getroffen
Und drittens habe der Rechtsanwalt schon mittags um die Probleme gewusst und hätte daher geeignete Maßnahmen treffen müssen, um die rechtzeitige Versendung sicherzustellen. Er haben z.B. den Schriftsatz auf dem lokalen Rechner erstellen und versenden können.
III. Bedeutung für die Praxis
Drei Verschuldensgründe sind zu viel
M.E. zutreffend. Es war in der Tat wohl ein wenig viel, was der Rechtsanwalt hier versäumt hatte, so dass man, selbst wenn man in einem der vom VGH angeführten Punkte anderer Auffassung sein sollte, immer noch von einem Verschulden ausgehen muss. Allerdings: Nach Auffassung des OLG Schleswig ist es einem Prozessbevollmächtigten nicht als Verschulden vorzuwerfen, dass er nicht mit dem automatischen Windows-Update rechnet und es deshalb nicht rechtzeitig verhindert, was zur Folge hat, dass ein fristgebundener Schriftsatz nicht mehr fristgemäß über das besondere elektronische Anwaltspostfach versandt werden kann (OLG Schleswig, Urt. v. 14.12.2021 – 11 U 19/21, VRR 4/2022, 16 = StRR 4/2022, 27).