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Keine Rettungsgasse auf autobahnähnlicher innerörtlicher Straße

Es überschreitet die Grenzen zulässiger Auslegung, entgegen dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 StVO die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse auf einer autobahnähnlich ausgebauten innerörtlichen Straße anzunehmen. (Leitsatz des Gerichts)

BayObLG, Beschl. v. 26.9.2023201 ObOWI 971/23

I. Sachverhalt

Rettungsgasse auf Bundesstraße nicht gebildet

Das AG hat den Betroffenen wegen der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit, auf einer Autobahn oder Außerortsstraße keine vorschriftsmäßige Gasse zur Durchfahrt von Polizei- oder Hilfsfahrzeugen gebildet zu haben, begangen auf einer Bundesstraße im Stadtgebiet, zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt. Seine Rechtsbeschwerde war erfolgreich.

II. Entscheidung

Grundlagen zur Auslegung vs. Analogie

Die Urteilsfeststellungen trügen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen §§ 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 11 StVO nicht, da auch bei Befahren einer autobahnähnlich ausgebauten Straße innerorts der Tatbestand nicht erfüllt ist. Maßgebend für die Auslegung einer Norm sei in erster Linie der Wortlaut (BGHSt 34, 211 = NJW 1987, 1280), wobei der Wortsinn einerseits die Grenze der Auslegung bestimmt, andererseits aber bei der Auslegung zwischen den möglichen Wortbedeutungen bis zur „äußersten sprachlichen Sinngrenze“ gewählt werden darf, jenseits dieser beginne der Bereich der Analogie. Eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung sei dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird. Richterliche Rechtsfortbildung überschreite die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (BVerfG NJW 2012, 669, 671). Dies gelte für die Auslegung von Verordnungen in gleicher Weise (BayObLG NStZ 2022, 495 = VRR 4/2022, 24 0 StRR 6/2022, 33 [jew. Burhoff]).

Innerstädtischer Verkehr auf Bundesstraße nicht erfasst

Die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse gelte dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 2 StVO nach nicht für den innerstädtischen Verkehr auf einer Bundesstraße (LG Hamburg DAR 2022, 390 m. Anm. König). Der autobahnähnliche Ausbau ändere daran nichts. § 11 Abs. 2 StVO benenne lediglich Autobahnen sowie Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung. Eine Autobahn könne zwar auch innerstädtisch verlaufen, dies ist hier aber nicht festgestellt. Die Eigenschaft einer Straße als Autobahn werde nicht durch begriffliche Merkmale oder ihren Ausbau, sondern durch die rechtsgestaltende Wirkung des Verkehrszeichens Z 330.1 der Anlage 3 zur StVO begründet. Hier habe es sich nach den Feststellungen bei der von dem Betroffenen befahrenen Straße um eine Bundesstraße mit baulich getrennten, zweistreifigen Richtungsfahrbahnen im Bereich einer geschlossenen Ortschaft gehnadelt. Damit lag weder das Befahren einer Autobahn noch einer Außerortsstraße vor. Für dieses Ergebnis sprächen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 11 Abs. 2 StVO. Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 StVO diene dazu, bei Unfällen auf der Autobahn oder Außerortsstraßen den Sicherungs- und Rettungskräften einen schnellen und möglichst sicheren Zugang zu ermöglichen, um einerseits schneller bei Verletzungen tätig werden zu können und andererseits auch sicherzustellen, dass der Unfall und seine Auswirkungen auf den Verkehr schnell beseitigt werden. Der Seitenstreifen außerorts müsse für Pannenfahrzeuge freigehalten werden und sei teilweise zu schmal für Einsatzfahrzeuge. Innerorts und auf einspurigen Straßen werde für die Rettungs- und Polizeifahrzeuge die Fahrt regelmäßig dadurch geschaffen, dass die Fahrzeuge an den rechten Rand fahren. Somit gebietet es auch der Zweck des § 11 Abs. 2 StVO nicht, die Bildung einer Rettungsgasse innerorts verpflichtend anzunehmen. Soweit das Tatgericht darauf abgestellt hat, dass eine Rettungsgasse auch innerorts auf einer autobahnähnlich ausgebauten Kraftfahrstraße zu bilden sei, überschreitet eine derartige Auslegung des § 11 Abs. 2 StVO die Grenze des möglichen Wortsinns, so dass ein Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG geregelten Bestimmtheitsgrundsatz bzw. gegen das Analogieverbot durch die bußgeldrechtliche Ahndung vorliege. Da der Betroffene ein aufgrund eines Verkehrsunfalls zum Einsatz gekommenes Polizeifahrzeug für mindestens fünf Minuten an der Weiterfahrt gehindert hat, komme aber die Begehung einer Ordnungswidrigkeit des Betroffenen nach §§ 38 Abs. 1 Satz 2, 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO in Betracht.

III. Bedeutung für die Praxis

Nichts hinzuzufügen

Angesichts des klaren Wortlauts des § 11 Abs. 2 StVO ist der Begründung und Entscheidung des BayObLG nichts hinzuzufügen. Lediglich ergänzend ist hinzuweisen auf OLG Oldenburg DAR 2022, 704 = VRR 1/2023, 23 = StRR 3/2023, 33 [jew. Burhoff] = NZV 2023, 139 [Krenberger]): Die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse (Regelfahrverbot nach Nrn. 50.1 – 50.3 BKat) greift sofort ein, wenn die in § 11 Abs. 2 StVO beschriebene Verkehrssituation eingetreten ist.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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