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Verweigerte Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren wegen Nichtäußerung?

Allein die Tatsache, dass sich ein Betroffener vor Erlass des Bußgeldbescheides nicht geäußert hat, begründet keine schuldhafte Säumnis im Sinne des § 467a Abs. 2 StPO. (Leitsatz des Verfassers)

AG Borna, Beschl. v. 23.5.20233 OWi 43/23

I. Sachverhalt

Die Verwaltungsbehörde hat nach dem Einspruch der Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid, in dem ihr vorgeworfen wurde, es unterlassen zu haben, die Ladeeinrichtung eines Kraftfahrzeugs bzw. des Anhängers verkehrssicher zu verstauen oder gegen Verrutschen, Umfallen, Hin- und Herrollen oder Herabfallen besonders zu sichern, das Verfahren nach § 47 Abs. 1 OWiG eingestellt. Die Kosten des Verfahrens wurden der Bußgeldstelle auferlegt. Es wurde festgestellt, dass die notwendigen Auslagen die Betroffene selbst zu tragen hat. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Gründe, die zur Einstellung des Verfahrens führten, vor Erlass des Bußgeldbescheides nicht vorgetragen worden seien.

Antrag auf gerichtliche Entscheidung erfolgreich

Dagegen hatte die Betroffene Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Der hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Schweigen ist keine schuldhafte Säumnis

Nach Auffassung des AG hat die Verwaltungsbehörde/Bußgeldstelle auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen zu tragen. Dies ergebe sich aus § 105 OWiG, § 467a StPO. Ein Fall, der eine abweichende Kostenentscheidung entsprechend der Vorschriften §§ 467a, 467 Abs. 2 bis 5 StPO, der eine abweichende Entscheidung gerechtfertigt hätte, liege nicht vor. Insbesondere sei der Betroffenen keine schuldhafte Säumnis im Sinne des § 467 Abs. 2 StPO vorzuwerfen. Allein die Tatsache, dass sich die Betroffene vor Erlass des Bußgeldbescheides nicht geäußert habe, begründet diesen Fall nicht. Auch habe die Betroffene im Einspruch gegen den Bußgeldbescheid keine Angaben zu Tatsachen gemacht, die die Bußgeldstelle nicht schon hätte vorher feststellen können. Es sei lediglich darauf hingewiesen geworden, dass der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit schon nicht erfüllt sei.

III. Bedeutung für die Praxis

„nemo-tenetur-Grundsatz“

Auch hier: Die Latte für die Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Betroffene liegt zu hoch (vgl. dazu auch AG Oranienburg AGS 2023, 361 = VRR 11/2023, 28). Das gilt hier erst recht. Denn wenn sich der Betroffene im Bußgeldverfahren nicht äußert, ist das keine vorwerfbare Säumnis i.S. des § 467 Abs. 2 StPO, sondern Ausübung des verfassungsrechtlich verbürgten und geschützten Rechts der Selbstbelastungsfreiheit. Der „nemo-tenetur-Grundsatz“ gilt auch im Bußgeldverfahren. Es liegt im Risikobereich der Verwaltungsbehörde, wenn sie das Bußgeldverfahren einstellen muss, weil sie dem/der Betroffenen die diesem/dieser vorgeworfene Tat nicht nachweisen kann. Der/die Betroffene muss jedenfalls nicht an seiner Überführung/Verurteilung mitwirken.

Einstellung des Verfahrens
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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