Wir haben in VRR 01/2022 und 03/2022 eine Rechtsprechungsübersicht zur gebührenrechtlichen Rechtsprechung der letzten Jahre vorgestellt. Daran schließt dieser Beitrag an. Er enthält Entscheidungen zu § 14 RVG betreffend die Gebühren in Straf- oder Bußgeldsachen aus den Jahren 2021, 2022 und 2023 (wegen weiterer Einzelheiten zu § 14 RVG Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 1747 ff.).
LG Aachen, Beschl. v. 20.9.2021 – 60 Qs 46/2021, AGS 2021, 545; LG Aachen, Beschl. v. 26.5.2021 – 60 Qs 18/21, JurBüro 2021, 628; LG Chemnitz, Beschl. v. 8.8.2019 – 2 Qs 295/19; AGS 2020, 544, LG Hamburg 6.4.2022 – 628 Qs 19/2021, AGS 2022, 403; LG Leipzig, Beschl. v. 6.1.2023 – 5 Qs 66/22, AGS 2023, 220
Unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist eine Gebührenbestimmung, wenn sie um 20 % oder mehr von der Gebühr abweicht, die sich unter Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG genannten Bemessungsgrundlagen ergibt.
LG Hamburg, Beschl. v. 6.4.2022 – 628 Qs 19/2021, AGS 2022, 403
Der Rechtsanwalt darf nicht ohne Abwägung der Bemessungskriterien stets die Mittelgebühr abrechnen. Die Mittelgebühr ist lediglich Ausgangspunkt der Ermessensausübung des Rechtsanwalts. Soweit eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, ist dies Anlass für den Rechtsanwalt, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen.
LG Magdeburg, Beschl. v. 24.8.2023 – 25 Qs 273 Js 5753/22 (49/23), AGS 2023, 498
Das Vorliegen der Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung und der Beiordnung als Pflichtverteidiger begründen im Erstattungsfall nicht die Festsetzung der Gebühren mindestens in Höhe der Mittelgebühr.
LG Ravensburg, Besch. v. 16.5.2022 – 1 Qs 19/2022, AGS 2022, 304
Sind keine Umstände erkennbar, die eine Erhöhung oder Ermäßigung rechtfertigen, so steht dem Verteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des einschlägigen Gebührenrahmens zu.
LG Aachen, Beschl. v. 20.9.2021 – 60 Qs 46/2021, AGS 2021, 545
Der Ansatz der Höchstgebühr ist nicht gerechtfertigt, wenn zwar das Berufungsverfahren mit rund 2021 Monaten überdurchschnittlich lange gedauert hat und der zugrunde liegende Tatvorwurf bereits über drei Jahre zurücklag, eine besondere Schwierigkeit und Bedeutung der Angelegenheit, hingegen nicht anzunehmen ist. Dann ist das Verfahren als durchschnittlich einzustufen.
AG Linz, Beschl. v. 22.3.2023 – 3 Cs 2080 Je 32837/22, AGS 2023, 204
Der Umstand, dass sich der Verteidiger im Ermittlungsverfahren zur Beschlagnahme des Führerscheins bzw. vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis schriftsätzlich äußerte bzw. Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung i.S.d. § 111a StPO eingelegt, den Tatort besichtigte und Fotos von der Örtlichkeit gefertigt habe, rechtfertigt den Ansatz der Höchstgebühr nicht.
LG Hamburg, Beschl. v. 6.4.2022 – 628 Qs 19/2021, AGS 2022, 403
Ein Verfahren, welches bis zur Hauptverhandlung einen Aktenumfang von 62 Blatt aufweist und in dem sich das Beweisprogramm im Wesentlichen in zwei Zeugen erschöpft, ist als unterdurchschnittlich zu bewerten. Das gilt jedenfalls, soweit kein anderes Bemessungskriterium nach oben hin von der Norm abweicht. Dies gilt auch dann, wenn es im Rahmen des gleichen Lebenssachverhalts eine Gegenanzeige des mutmaßlich Geschädigten – und damit ein „gegenläufiges Ermittlungsverfahren“ – gibt.
LG Ravensburg, Beschl. v. 16.5.2022 – 1 Qs 19/2022, AGS 2022, 304
Hat der Ausgang des Strafverfahrens – von vornherein absehbar – erhebliche Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme des Angeklagten durch den Nebenkläger und ergibt sich eine besondere Erschwernis aus der Art und Weise, mit der sich der Angeklagte gegen den Tatvorwurf verteidigt dadurch, dass er schwerwiegende Vorwürfe gegen den Nebenkläger erhebt, ist die Bedeutung der Angelegenheit erheblich.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.2.2021 – 1 Ws 41/21, AGS 2021, 272; LG Aachen, Beschl. v. 20.9.2021 – 60 Qs 46/21, AGS 2021, 545
Zur Bemessung der Terminsgebühr bei der Strafkammer.
LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 23.2.2023 – 6 Qs 29/23, AGs 2023, 450
Erscheint ein in einem Strafverfahren geladener Angeklagter nicht und beschränkt sich deshalb die Hauptverhandlungsdauer auf 15 Minuten, so ist der Aufwand für die Bemessung der Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG als unterdurchschnittlich zu qualifizieren.
LG Ravensburg, Beschl. v. 16.5.2022 – 1 Qs 19/2022, AGS 2022, 304
Eine Hauptverhandlungsdauer von mehr als zwei Stunden rechtfertigt beim AG nicht ohne weiteres eine über der Mittelgebühr liegende Terminsgebühr.
LG Cottbus, Beschl. v. 20.1.2022 – 24 Kls 34/20, AGS 2022, 113
1. Als durchschnittlich und damit grundsätzlich die Mittelgebühr rechtfertigend ist eine ca. 5-stündige Hauptverhandlung vor der Strafkammer anzusehen.
2. Die Terminsgebühr für den gerichtlichen Termin erfasst neben der Teilnahme an gerichtlichen Terminen, auch solche Tätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der konkreten Vorbereitung des Termins stehen, wie z.B. die nochmalige Aktendurchsicht.
3. Die Dauer der Teilnahme eines Rechtsanwalts an der Hauptverhandlung bestimmt sich aus dem in der Sitzungsniederschrift vermerkten tatsächlichen Beginn der Sitzung. Gemäß § 243 Abs. 1 S. 1 StPO beginnt die Hauptverhandlung mit dem Aufruf der Sache. Verzögerungen können sich insoweit nicht auf die Terminsgebühr auswirken.
LG Aachen, Beschl. v. 20.9.2021 – 60 Qs 46/2021, AGS 2021, 545
Hat der Berufungshauptverhandlungstermin lediglich 16 Minuten gedauert, rechtfertigt das nur eine unterhalb der Mittelgebühr liegende Terminsgebühr, wenn nicht umfangreiche Terminsvorbereitungsarbeiten des Verteidigers dargetan sind.
OLG Celle, Beschl. v. 14.11.2019 – 3 Ws 323/19, RVGreport 2020, 55 = StraFo 2020, 173 = JurBüro 2020, 191 = Rpfleger 2020, 358
Der Rechtsanwalt ist an sein nach § 14 Abs. 1 RVG einmal ausgeübtes Ermessen bei der Bestimmung der angefallenen Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens gebunden. Eine Nachfestsetzung ist auch dann nicht möglich, wenn der Rechtsanwalt erkennbar entstandene Gebühren(tatbestände) fehlerhaft (nicht) geltend gemacht hat.
OLG Schleswig, Beschl. v. 26.7.2023 – 7 U 42/23, RuS 2023, 818
Eine einmal getroffene Gebührenbestimmung ist bindend; es sei denn der Rechtsanwalt hat einen Gebührentatbestand versehentlich übersehen oder wenn sich nachträglich wesentliche Änderungen hinsichtlich der für die Bestimmung des Gebührensatzes maßgeblichen Umstände ergeben haben, die bei Rechnungsstellung noch nicht bekannt gewesen sind.
LG Dresden, Beschl. v. 14.9.2023 – 5 Qs 56/23
Eine vom Gericht zu tolerierende Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts liegt nur vor, wenn sie aufgrund der Umstände des Einzelfalls in Verbindung mit den Bemessungskriterien getroffen worden ist.
LG Düsseldorf, Urt. v. 21.10.2021 – 20 S 97/20, AGS 2021, 576
Es besteht kein Anspruch auf Ladung der Gutachterin der Rechtsanwaltskammer, weil es sich bei dem Gutachten der RAK nicht um ein Sachverständigengutachten handelt.
AG Paderborn, Urt. v. 7.12.2021 – 5a C 113/2021, AGS 2022, 255
Übt der Rechtsanwalt sein Ermessen pflichtgemäß aus, so ist ihm ein Toleranzspielraum von bis zu 20 % zuzubilligen. Liegt die von dem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr noch innerhalb des Toleranzrahmens, so ist sie noch nicht unbillig
AG Bad Salzungen, Urt. v. 30.9.2021 – 1 C 121/2021, AGS 2021, 544
Auch im Bußgeldverfahren ist die zivilrechtliche Toleranzrechtsprechung des BGH anzuwenden.
AG Ratingen, Beschl. v. 25.11.2022 – 20 OWi 413/2021
Eine Angelegenheit hat wegen eines drohenden einmonatigen Fahrverbotes bei einer beruflichen Abhängigkeit vom Führerschein und daraus resultierenden persönlichen und wirtschaftlichen Härten mit einer möglichen Existenzgefährdung für den Betroffenen eine überdurchschnittliche Bedeutung.
AG Ratingen, Beschl. v. 25.11.2022 – 20 OWi 413/2021
Hat der Verteidiger wegen Aktenunvollständigkeit einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach. § 62 OWG stellen müssen, u.a., weil die Behörde sich weigerte, die Messreihe zur Verfügung zu stellen, und war im Verwaltungsverfahren eine mehrmalige Tätigkeit des Verteidigers gegenüber der Verwaltungsbehörde erforderlich, war das Verfahren überdurchschnittlich schwierig.
LG Braunschweig, Beschl. v. 8.6.2021 – 2b Qs 160/21, AGS 2021, 311
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist unterdurchschnittlich Angelegenheit, wenn im Ordnungswidrigkeitsverfahren inhaltlich lediglich zu klären war, ob der gemeinsame Aufenthalt von drei Personen in einem privaten Pkw einen Aufenthalt im öffentlichen Raum darstellt („Infektionsschutzverfahren“).
LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 4.5.2023 – 6 Qs 56/23, AGS 2023, 398
1. In Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist der Ansatz der sog. Mittelgebühr als Ausgangspunkt grds. gerechtfertigt; hiervon ausgehend sind in jedem Einzelfall die besonderen Umstände zu würdigen.
2. Den gesetzlichen Regelungen des RVG ist nicht zu entnehmen, dass in den Fällen straßenverkehrsrechtlicher Bußgeldverfahren grundsätzlich von einer unterdurchschnittlichen Bedeutung der Sache im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG auszugehen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Rahmen des Zwischenverfahrens die technischen Voraussetzungen der Messung, die der in einem Bußgeldbescheid vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde liegt, durch ein privates Sachverständigengutachten überprüft werden sollen.
LG Dresden, Beschl. v. 14.9.2023 – 5 Qs 56/23
Unterdurchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Fahreignungsregister sind grundsätzlich als unterdurchschnittliche Bußgeldsache anzusehen.
LG Heilbronn, Beschl. v. 21.3.2022 – 8 Qs 12/2022, Rpfleger 2022, 482
1. In den „Normalfällen“, in denen sämtliche nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, wird von der Mittelgebühr ausgegangen.
2. Jedoch kann jedes der Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG Anlass sein, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen. Dabei kann das geringere Gewicht eines Merkmals das überragende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren.
LG Itzehoe, Beschl. v. 18.2.2021 – 2 Qs 209/20, AGS 2021, 155
Zur Bemessung der Rahmengebühren in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren in Höhe der Mittelgebühr.
LG Koblenz, Beschl. v. 22.8.2023 – 6 Qs 38/23
In Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten können im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden.
AG Bad Salzungen, Urt. v. 30.9.2021 – 1 C 121/2021, AGS 2021, 544
Auch bei durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist grundsätzlich nur eine herabgesetzte Mittelgebühr anzusetzen.
AG Hamburg-Harburg, Beschl. v. 3.6.2021 – 621 OWi 128/21, AGS 2021, 302
In straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ist grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt.
AG Kaufbeuren, Urt. v. 3.3.2023 – 4 C 1117/22, AGS 2023, 111
Unabhängig von der Frage, ob Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten generell oder in bestimmten Fällen zu einer geringeren Gebühr führen müssen, weil es sich um unterdurchschnittliche Angelegenheiten handelt, ist das jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister droht.
AG Offenbach, Beschl. v. 15.7.2021 – 275 Owi 248/2021, AGS 2021, 556 = JurBüro 2022, 2022
Bei einem Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren, dem ein standardisiertes Messverfahren zugrunde liegt und dass bereits bei der Behörde wegen Verjährung eingestellt wird, sind in der Regel Gebühren deutlich unterhalb der Mittelgebühr festzusetzen.
AG Paderborn, Urt. v. 7.12.2021 – 51a C 113/2021, AGS 2022, 255; AG Leipzig, Beschl. v. 7.8.2023 – 227 OWi 953/23
In Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist der Ansatz der sog. Mittelgebühr als Ausgangspunkt grds. gerechtfertigt; hiervon ausgehend sind in jedem Einzelfall die besonderen Umstände zu würdigen.
AG Trier, Beschl. v. 8.12.2020 – 35a OWi 58/20, AGS 2021, 66
In Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist der Ansatz der sog. Mittelgebühr als Ausgangspunkt grds. gerechtfertigt; hiervon ausgehend sind in jedem Einzelfall die besonderen Umstände zu würdigen.
LG Dresden, Beschl. v. 14.9.2023 – 5 Qs 56/23
Eine vom Gericht zu tolerierende Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts liegt nur vor, wenn sie aufgrund der Umstände des Einzelfalls in Verbindung mit den Bemessungskriterien getroffen worden ist.
LG Bayreuth, Beschl. v. 13.10.2020 – 3 Qs 84/20
Eine Hauptverhandlungsdauer von 6 Minuten ist unterdurchschnittlich.