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VRRKompakt 2023_11

Unzulässige Abschalteinrichtung: Kühlmittelsolltemperatur-Regelung

Die Kühlmittelsolltemperatur-Regelung stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, wegen derer den Fahrzeughersteller in der Regel zumindest eine Schadensersatzhaftung wegen fahrlässigen Verhaltens trifft. Demgegenüber vermag sich dieser nicht mit Erfolg darauf zu berufen, dass entgegen der Annahme des BGH für eine Fahrlässigkeitshaftung im deutschen Recht kein Bedürfnis bestehe, da ausreichende andere Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Der Annahme der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung steht auch nicht entgegen, dass durch ihre Abschaltung zwar die ausgestoßene Stickoxidmenge erhöht, die anderer Emissionen jedoch verringert werde (sog. Trade off). Das europäische Emissionsrecht sieht eine solche Kompensationsmöglichkeit nicht vor. Diesbezüglich ist auch trotz der Vorlage dieser Frage an den Europäischen Gerichtshof durch das LG Duisburg (Beschl. v. 6.6.2023 – 1 O 55/19) eine Aussetzung des Verfahrens nicht geboten. Eine vollständige Vorteilsausgleichung kommt auch bei einem Software-Update, das die unzulässige Abschalteinrichtung vollständig beseitigt, für gewöhnlich nicht in Betracht, sofern der Kläger einen nicht geringen Zeitraum seit dem Erwerb des Fahrzeugs der latenten Gefahr der Stilllegung desselben durch das Kraftfahrt-Bundesamt ausgesetzt war.

OLG Hamm, Urt. v. 13.9.2023 – 30 U 81/21

Dieselfall: Großer Schadensersatz

Der große Schadensersatz in einem „Dieselfall“ ist bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Kläger auf Ersatz des Nettokaufpreises (abzüglich der Nutzungsentschädigung) gerichtet. § 17 UStG führt nicht zu einer anderen Bewertung. Auch bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Kläger schätzt der Senat die Nutzungsentschädigung auf Grundlage des Bruttokaufpreises, weil dieser den zugrunde zu legenden Marktwert bestimmt. Steuervorteile des Klägers aufgrund einer Absetzung für Abnutzung (AfA) sind nicht schadensmindernd zu berücksichtigen. Es handelt sich nicht um außergewöhnliche Steuervorteile, weil die Schadensersatzleistung wegen der Aufdeckung von stillen Reserven steuerpflichtig ist.

OLG Hamm, Urt. v. 25.9.2023 – 22 U 32/23

Rücktritt von Buchung: Außergewöhnliche Umstände bereits bei Buchung

Die Qualifikation eines Umstands als außergewöhnlich im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn dieser Umstand bereits im Zeitpunkt der Buchung vorlag oder absehbar war. Bei der Beurteilung, ob unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände dazu führen, dass die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigt ist, kann von Bedeutung sein, ob die mit der Durchführung verbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits bestanden oder zumindest absehbar waren. Einem Reisenden, der eine Reise bucht, obwohl Umstände vorliegen oder absehbar sind, die der Durchführung der Reise zwar nicht zwingend entgegenstehen, aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte, ist es in der Regel zumutbar, die Reise anzutreten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen.

BGH, Urt. v. 19.9.2023 – X ZR 103/22

Prozessführungsbefugnis: Übergang der Forderung auf den Kaskoversicherer

Mit dem Übergang der in gewillkürter Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend gemachten Forderung auf einen neuen Gläubiger endet die Prozessführungsbefugnis des Prozessstandschafters, sofern er nicht ebenso von dem neuen Gläubiger ausdrücklich zur Prozessführung ermächtigt wird. Eine gesetzliche Prozessstandschaft durch eine entsprechende Anwendung von § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO tritt nicht an deren Stelle.

OLG Celle, Urt. v. 5.10.2023 – 5 U 30/21

Geschwindigkeitsüberschreitung: Vorsatz; Zeitablauf; Regelbuße

Bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 40 % kann in der Regel von vorsätzlicher Tatbegehung des Betroffenen ausgegangen werden, wenn dieser die zulässige Höchstgeschwindigkeit kannte (u.a. Anschl. an KG, Beschl. v. 27.2.2023 – 122 Ss 16/23; OLG Hamm, Beschl. v. 5.12.2019 – 2 Rbs 267/19; OLG Zweibrücken DAR 2022, 401; OLG Celle NStZ-RR 2017, 388). Erst ab einem Zeitraum von zwei Jahren zwischen der Tat und der letzten tatrichterlichen Verhandlung ist allein wegen der Verfahrensdauer die Herabsetzung eines mehrmonatigen Regelfahrverbots in Betracht zu ziehen, wenn sich der Betroffene in der Zwischenzeit verkehrsordnungsgemäß verhalten hat (u.a. Anschl. an OLG Zweibrücken zfs 2019, 173; BayObLG, Beschl. v. 19.2.2004 – 1 ObOWi 40/04). Solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene, nicht mehr geringfügige Regelgeldbuße verhängt wird, sind Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht zwingend geboten, solange sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese außergewöhnlich schlecht sind (u.a. Anschluss an OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.5.2023 – 1 Ss [OWi] 8/23; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.5.2022 – 1 OWi 2 Ss Bs 89/21; KG, Beschl. v. 26.1.2022 – 3 Ws [B] 1/22; OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.10.2015 – 1 Ss [OWi] 156/15).

BayObLG, Beschl. v. 10.7.2023 – 201 ObOWi 621/23

Nimmt der Richter, ohne den Betroffenen und seinen Verteidiger zu informieren, im Bußgeldverfahren unter Ausschluss des Betroffenen und seines Verteidigers die Messörtlichkeit in Augenschein und führt dort die Vernehmung/Befragung von Zeugen des Verfahrens durch, kann das beim Betroffenen zur Besorgnis der Befangenheit führen.

AG Schwerin, Beschl. v. 25.10.2023 – 35 OWi 295/23

Wiedererlangung der Fahreignung: Konsum harter Drogen

Materiellrechtlich verlangt die Wiedererlangung der Fahreignung nach dem Konsum harter Drogen – also der Nachweis, dass kein Konsum mehr besteht – eine Abstinenz über einen ausreichend langen Zeitraum sowie einen motivational gefestigten Verhaltens und Einstellungswandel. Für eine positive Verkehrsprognose ist wesentlich, dass zur positiven Veränderung der körperlichen Befunde einschließlich der Laborbefunde ein tiefgreifender und stabiler Einstellungswandel hinzutritt, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene die notwendige Abstinenz auch in Zukunft einhält.

BayVGH, Beschl. v. 5.10.2023 – 11 CS 23.1413

Einnahme eines Medikaments: Blutprobe

Ohne eine gaschromatographische Untersuchung der Blutprobe steht nicht hinreichend sicher fest, ob im Blut nachgewiesenes Amphetamin auf einer Einnahme des Medikaments Elvanse 70 mg Hartkapseln oder (zusätzlich) auf einem sonstigen Amphetaminkonsum beruht.

VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.9.2023 – 6 L 2377/23

Vollstreckungsverfahren: Kostenentscheidung

Auch für das Bußgeldverfahren ist nach § 464a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO davon auszugehen, dass die Kosten des Vollstreckungsverfahren von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren umfasst werden.

AG Friedberg (Hessen), Beschl. v. 29.9.2023 – 47 a OWi 179/23

Rahmengebühr: Mittelgebühr

In straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ist grundsätzlich die Mittelgebühr anzusetzen. Abweichung davon sind im Einzelfall denkbar.

AG Leipzig, Beschl. v. 7.8.2023 – 227 OWi 953/23

Erstattung von Kosten: Vergütungsvereinbarung mit dem Rechtsanwalt

Auf der Grundlage von § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind nur die gesetzlich vorgesehenen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig.

OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.10.2023 – 4 OA 39/23

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