1. Dem Verkehrsteilnehmer im ruhenden Verkehr ist es zuzumuten, sich nach etwa vorhandenen Verkehrszeichen sorgfältig umzusehen und eingehend zu prüfen, ob er sein Fahrzeug an der von ihm gewählten Stelle abstellen darf.
2. Zu den „Abschleppkosten“ gehören auch die Kosten für eine Leerfahrt des Abschleppunternehmens, dessen Fahrzeug bereits ausgerückt ist, dann aber nicht mehr benötigt wird. Kostenersatz für einen sogenannten abgebrochenen Abschleppvorgang kann jedenfalls dann verlangt werden, wenn die Kosten bereits angefallen waren und die Beauftragung des Abschleppunternehmens nicht mehr rechtzeitig storniert werden konnte. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Klage gegen Gebühren einer Abschleppmaßnahme
Der Kläger wendet sich gegen die vom Beklagten im Zusammenhang mit einer polizeilichen Abschleppmaßnahme erhobenen Gebühren und Auslagen.
Parken auf Sonderparkplatz für Schwerbehinderte
Nach den Feststellungen des Beklagten parkte der Pkw des Klägers am 28.5.2021 seit spätestens 11:24 Uhr auf einem allgemeinen Sonderparkplatz für Schwerbehinderte, Z. 314 StVO mit Zusatzzeichen, mit Sonderparkausweis. Ein Parkschein war hinter der Windschutzscheibe zurückgelassen worden. Nachdem dies durch einen anwesenden Polizeivollzugsbeamten um 11.24 Uhr festgestellt wurde, wurde um 11:39 Uhr ein Abschleppdienst zur Sicherstellung mit dem Zielort polizeiliche Verwahrstelle angefordert. Der Kläger kehrte gegen 12:23 Uhr zu seinem Fahrzeug zurück, der Abschleppvorgang wurde daraufhin abgebrochen.
Leistungsbescheid über rund 400 EUR
Mit Leistungsbescheid aus September 2021 wurden für die angeordnete Sicherstellung und (beabsichtigte) Verbringung des Kfz zur polizeilichen Verwahrstelle Kosten i.H.v. 401,72 EUR (Gebühr gemäß § 1 Polizeikostenverordnung (PolkV) i.H.v. 59,00 EUR und Auslagen (Anfahrt mit Vorarbeiten) i.H.v. 342,72 EUR) gegenüber dem Kläger festgesetzt. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage, die keinen Erfolg hatte.
II. Entscheidung
Störung der öffentlichen Sicherheit eingetreten
Nach Auffassung des VG ist die Anordnung der Sicherstellung des Pkws zum Zwecke der Verbringung des Kfz zur polizeilichen Verwahrstelle nicht zu beanstanden. Eine auf Art. 9 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a PAG gestützte Abschleppmaßnahme wäre im maßgeblichen Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens rechtmäßig gewesen, denn die Polizei könne eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Eine gegenwärtige Gefahr für die Rechtsordnung stellen dabei u.a. auch bereits eingetretene und andauernde Störungen durch Verkehrsordnungswidrigkeiten dar. Hier sei eine Störung der öffentlichen Sicherheit bereits eingetreten gewesen, indem der Pkw entgegen dem Verbot des Verkehrsschildes parkte. Die Ausschilderung eines Behindertenparkplatzes sei bei Beachtung der im ruhenden Verkehr geltenden, gegenüber dem fließenden Verkehr erhöhten Sorgfaltsanforderungen deutlich zu erkennen gewesen. Denn dem Verkehrsteilnehmer im ruhenden Verkehr sei es zuzumuten, sich nach etwa vorhandenen Verkehrszeichen sorgfältig umzusehen und eingehend zu prüfen, ob er sein Fahrzeug an der von ihm gewählten Stelle abstellen darf. Dass das Parkverbot für Nichtberechtigte jedenfalls um die Mittagszeit galt, sei dabei dem Kläger auch klar gewesen, wie seinem Schreiben im Anhörungsverfahren zu entnehmen sei.
Verhältnismäßigkeit u.a.
Die Abschleppmaßnahme sei auch verhältnismäßig (Art. 4 PAG) und ermessensfehlerfrei (Art. 5 PAG, § 114 Satz 1 VwGO) gewesen. Sie sei geeignet und erforderlich gewesen, um die Beeinträchtigung des ausgeschilderten Behindertenparkplatzes zu beseitigen. Gegen die Kostenerhebung bestehen nach Auffassung des VG auch im Übrigen keine Bedenken. Aus der Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme folge allgemein die Möglichkeit einer kostenrechtlichen Inpflichtnahme des Verantwortlichen (BVerwG, Urt. v. 24.5.2018 – 3 C 25/16).
Höhe der Abschleppkosten
Das VK beanstandet auch die Höhe der Kostenerhebung nicht. Die Amtshandlungsgebühr i.H.v. 59 EUR bewege sich im unteren Bereich des in § 1 Nr. 1 PolKV für eine unmittelbare Ausführung einer Maßnahme genannten Rahmens. Gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 28 Abs. 3 Satz 4 PAG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 KG können an Auslagen insbesondere die anderen Personen für ihre Tätigkeit zustehenden Beträge erhoben werden. Dazu gehören – so das VG – auch die Kosten für eine Leerfahrt des Abschleppunternehmens, dessen Fahrzeug bereits ausgerückt sei, dann aber nicht mehr benötigt werde (BayVGH, Beschl. v. 16.5.2013 – 10 ZB 10.3162 und Urt. v. 12.11.2001 – 24 B 00.2655). Den Einwänden des Klägers bezüglich der Höhe der Abschleppkosten könne nicht gefolgt werden. Kostenersatz für einen sog. abgebrochenen Abschleppvorgang könne jedenfalls dann verlangt werden, wenn die Kosten bereits angefallen waren und die Beauftragung des Abschleppunternehmens nicht mehr rechtzeitig storniert werden konnte (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.6.2002 – 1 S 1531/01). Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Klägers um 12.23 Uhr sei der um 11.39 Uhr angeforderte Abschleppdienst ausweislich der Unterlagen bereits vor Ort gewesen und hatte mit Vorarbeiten begonnen. Dies sei dem Kläger, der erst nachträglich zum Abschlepport gestoßen sei, als der Abschleppunternehmer schon vor Ort gewesen sei, möglicherweise entgangen. Die aufgrund von zulässigen Pauschalsätzen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 15.12.2006 – 24 ZB 06.2743) errechneten Auslagen i.H.v. 342,72 EUR für den Abschleppdienst seien nicht zu beanstanden. Auslagen, die anderen Personen für ihre Tätigkeit zustehen (hier der Abschleppunternehmer), könne der Beklagte nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 KG vom Kostenpflichtigen erheben. Nach der Rechtsprechung des BayVGH ist grundsätzlich ein mit den Abschleppunternehmen geschlossener Rahmen-Tarifvertrag nicht zu beanstanden (BayVGH, Beschl. v. 15.12.2006 – 24 ZB 06.2743; Beschl. v. 16.5.2013 – 10 ZB 10.3162; Beschl. v. 18.11.2022 – 10 ZB 21.2465). Dies gelte insbesondere auch im Hinblick darauf, dass der dort geregelte Vergütungsanspruch an Dritte weitergegeben wird (a.a.O.); hierbei handele es sich nicht etwa um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter. Vielmehr regele der Rahmen-Tarifvertrag nur die vom Beklagten an den von der Polizei beauftragten Abschleppunternehmer zu entrichtende Vergütung, die der Beklagte dann kraft der gesetzlichen Ermächtigung in Art. 9 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 28 Abs. 3 Satz 4 PAG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 KG als Auslagen gegenüber dem als Handlungs- oder Zustandsstörer Verantwortlichen erheben kann. Darüber hinaus könne die Polizei mit Hilfe des Rahmen-Tarifvertrags angesichts der Vielzahl von Abschleppfällen durch eine generelle pauschalierte Regelung zu einer vereinfachten Handhabung gelangen. Ein effektiver Gesetzesvollzug erscheine mangels sachgerechter Alternativen auch nur möglich, wenn die Kosten nach pauschalierten Sätzen abgerechnet werden (a.a.O.).
III. Bedeutung für die Praxis
Teure Unachtsamkeit
1. Das war für den Kläger ein teures Parken bzw. eine teure Unachtsamkeit. Das VG setzt die vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung konsequent um.
Behinderung ist nicht erforderlich
2. In einer weiteren Entscheidung (VG München, Urt. v. 13.3.2023 – M 23 K 21.5650) hat das VG darauf hingewiesen, dass es für die Rechtsmäßigkeit einer Abschleppmaßnahme grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob aus der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit eine gegenwärtige konkrete Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer folgt. Denn es sei anerkannt, dass jedenfalls bei einer Beeinträchtigung der Funktion einer Verkehrsfläche das Abschleppen eines Fahrzeugs angemessen ist. In dem Fall war ein vor einer Bordsteinabsenkung parkendes Fahrzeug abgeschleppt worden (ebenso VG Potsdam, Urt. v. 31.5.2012 – 10 K 508/09).