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Desinfektionskosten keine erforderliche Reparaturmaßnahme im Jahr 2023

1. Angesichts der zunehmenden Lockerung im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist zumindest im Jahr 2023 nicht mehr davon auszugehen, dass in Werkstätten noch regelmäßig entsprechende Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt werden und diese erforderlich sind.

2. Bei einer fiktiven Abrechnung kommt es im Hinblick darauf, ob Desinfektionskosten noch als erforderlich anzusehen sind und üblicherweise berechnet werden, auf den Schluss der mündlichen Verhandlung an.

LG München, Beschl. v. 4.1.2023XVII S 11554/22
LG München, Beschl. v. 11.11.202217 S 9980/22

I. Sachverhalt

Streit über Erforderlichkeit von Desinfektionsmaßnahmen im Jahr 2022

Das Landgericht München I hatte als Berufungsgericht in zwei Fällen darüber zu entscheiden, ob dem Kläger jeweils im Rahmen einer fiktiven Abrechnung bei den Reparaturkosten auch die in Rechnung gestellten Kosten für eine Desinfektion des Fahrzeuges als Schadensersatz von der beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung erstattet werden können. Das Amtsgericht hatte dies bei einer Reparaturmaßnahme im April 2022 mit dem Hinweis auf die Weggefallenen Corona-Schutzmaßnahmen bereits abgelehnt.

II. Entscheidung

Keine Üblichkeit einer solchen Abrechnung

Das Landgericht München I hat also als Berufungskammer in beiden Fällen darauf hingewiesen, dass es zumindest derzeit nicht von einer Erstattungsfähigkeit der Desinfektionskosten als Reparaturkosten ausgeht, da diese zum einen nicht mehr als erforderlich anzusehen sind und zum anderen erhebliche Zweifel daran bestehen, ob derartige Kosten üblicherweise vor dem Hintergrund der umfassend weggefallenen Corona-Schutzmaßnahmen überhaupt noch in entsprechenden Fachwerkstätten abgerechnet werden. Dabei geht das Landgericht auch davon aus, dass im Rahmen der von der Klägerseite gewählten fiktiven Abrechnung der entscheidende Moment für die Überprüfung dieses Umstandes der Schluss der mündlichen Verhandlung ist. Anders als noch das Amtsgericht stellt das Landgericht mithin auf das Datum der Entscheidung im Januar 2023 ab und gelangt so erst Recht zu dem Ergebnis, dass Desinfektionskosten unter den oben genannten Gesichtspunkten nicht zu erstatten sind.

III. Bedeutung für die Praxis

Fehlende Erforderlichkeit und Erkennbarkeit für den Geschädigten

Ob und in welchem Umfang sogenannte Covid-Schutzmaßnahmen und insbesondere damit angefallene Kosten für die Desinfektion bestimmter Teile eines Fahrzeuges im Rahmen einer Reparatur einen erstattungsfähigen Fahrzeugschaden darstellen, wird in Rechtsprechung und Literatur seit langem kontrovers erörtert (vgl. die Übersicht bei Böhm/Nugel, zfs 2021, 244). Vor dem Hintergrund der aktuell weggefallenen Schutzmaßnahmen in der Öffentlichkeit steht hier allerdings zu erwarten, dass sich dieser Streitstand in Zukunft entschärfen wird – wenn derartige Schutzmaßnahmen in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens weggefallen sind und auch medizinische Erkenntnisse nicht mehr zwingend für eine derartige Durchführung sprechen, dürfte sowohl unter dem Gesichtspunkt der fehlenden medizinischen Erforderlichkeit als auch der fehlenden Üblichkeit bei einer Abrechnung einer Erstattungsfähigkeit nach einem Verkehrsunfall abzulehnen sein. Dies entspricht auch den ersten Urteilen der Rechtsprechung zu diesem Themenkreis (vgl. LG Wuppertal, Urt. v. 24.3.2022 – 9 S 172/21) und diese Tendenz dürfte sich fortsetzen.

Unabhängig von dem sogenannten Gesichtspunkt des „Werkstattrisikos“ dürfte von einem Geschädigten bei dem aktuellen Stand der Pandemie auch erwartet werden können, dass er erkennt, dass derartige Maßnahmen bei dem aktuellen Stand weder erforderlich sind noch üblicherweise angerechnet werden. Sowohl unter dem Gesichtspunkt der üblichen Vergütung derartiger Maßnahmen mit einer Pauschale auf der werkvertraglichen Seite als auch der Erkennbarkeit für den Geschädigten, dass diese Maßnahmen nicht mehr erforderlich sind, dürfte eine Erstattungsfähigkeit als Schadensersatz aktuell kritisch beurteilt werden können (vgl. auch zu diesem Maßstab BGH, Urt. v. 13.12.2022 – VI ZR 324/21).

RA Dr. Michael Nugel, FA für VerkehrsR und VersR, Essen

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