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Verstoß gegen aktive Nutzungspflicht wegen krankheitsbedingtem Ausfall des Rechtsanwalts

1. Eine Ausnahme von der seit dem 1.1.2022 bestehenden Verpflichtung der Rechtsanwälte, vorbereitende Schriftsätze nur noch als elektronisches Dokument bei Gericht einzureichen (§§ 130a, 130d ZPO), besteht gemäß § 130d Satz 2 ZPO nur dann, wenn dies aus technischen Gründen nicht möglich ist, weil entweder das Gericht auf diesem Wege nicht erreichbar ist oder bei dem Rechtsanwalt ein vorübergehendes technisches Problem aufgetreten ist.

2. Sieht sich der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen (hier: ausstehendes Ergebnis eines PCR-Testes zum Ausschluss eines Coronaleidens) nicht in der Lage, seine Kanzleiräume aufzusuchen und den Schriftsatz dort elektronisch zu übermitteln, stellt dies keine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen dar.

3. Die technische Störung ist gemäß § 130d Satz 3 ZPO unmittelbar bei der Ersatzeinreichung auf herkömmlichem Wege oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; die Mitteilung von Gründen erst 20 Tage nach Einreichung des Originalschriftsatzes genügt diesen Anforderungen nicht.

4. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

(Leitsätze des Gerichts)

KG, Beschl. v. 25.2.20226 U 218/21

I. Sachverhalt

Berufung gegen Klageabweisung

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Unfallversicherung. Seine Klage ist abgewiesen worden. Das Urteil des LG ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4.10.2021 zugestellt worden. Der Rechtsanwalt hat für den Kläger gegen das Urteil des LG am 4.11.2021 mit per Telefax übermittelten Schriftsatz Berufung eingelegt. Am gleichen Tag ist auch der Originalschriftsatz bei Gericht eingegangen. Auf Antrag vom 29.11.2021 ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 4.1.2022 verlängert worden.

Berufungsbegründung geht per Fax ein

Am 4.1.2021 ist um 15.25 Uhr der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung als Telefax beim KG eingegangen. Am gleichen Tag ist auch der Originalschriftsatz mit der Berufungsbegründung eingegangen. Der Kläger hat auf einen Hinweis des Gerichts mit Schriftsatz vom 7.1.2022 vorgetragen, dass sich sein Prozessbevollmächtigter vom 26.12.2021 bis zum 2.1.2022 im Weihnachtsurlaub in Österreich befunden habe. Dort sei der Prozessbevollmächtigte am 1.1.2022 erkrankt. Es seien eine leicht erhöhte Temperatur, Schnupfen, Gliederschmerzen und ein Kratzen im Hals aufgetreten. Diese Symptome seien erst am 6.1.2022 abgeklungen. Um ein Coronaleiden auszuschließen, habe der Prozessbevollmächtigte am 2.1.2022 einen Antigen-Schnelltest durchgeführt, der wiederholt kein eindeutiges Ergebnis gezeigt habe. Deshalb habe er am 3.1.2022 eine PCR-Testung in Anspruch genommen, wobei ihm das Negativ-Testat am 6.1.2022 vorgelegen habe. Die Berufungsbegründungsschrift habe der Prozessbevollmächtigte am 3. und 4.1.2022 zuhause gefertigt, ausgedruckt und unterschrieben. Eine elektronische Versendung von zuhause aus sei nicht möglich gewesen, da die beA-Hardware und Software am Arbeitsplatz im Büro in Berlin installiert seien. Auch ein Fax-Gerät habe dem Prozessbevollmächtigten zuhause nicht zur Verfügung gestanden. Die Berufungsbegründungsschrift sei daher am Nachmittag von einem Boten in das Büro des Prozessbevollmächtigten in Berlin gebracht worden, in dem er mit einer Steuerberatungs-GmbH in Bürogemeinschaft zusammenarbeite. Über den Faxanschluss der GmbH sei die Begründung an das KG versandt worden. Anschließend sei die Begründung in den Briefkasten des Justizboten in der Littenstraße beim LG Berlin eingeworfen worden zur Versendung an das KG.

Elektronisches Dokument wird nachgereicht

Auf rechtlichen Hinweis des Gerichts vom 11.1.2022 hat der Kläger die Berufungsbegründung am 24.1.2022 als elektronisches Dokument übermittelt und vorgebracht, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument am 4.1.2022 aus technischen Gründen nicht möglich gewesen sei Sein Prozessbevollmächtigter hat daraufhin mit per beA am 24.1.2022 eingegangenem Schriftsatz vom „4.1.2022“ anwaltlich versichert, für seinen Verhinderungsfall Vorkehrungen getroffen zu haben. Er arbeite in Bürogemeinschaft mit einem anderen Rechtsanwalt zusammen. Beide seien als Einzelanwälte ohne Büropersonal tätig. Es bestehe die Absprache, dass bei Abwesenheit des einen Rechtsanwaltes der andere Rechtsanwalt als Unterbevollmächtigter für diesen tätig wird, soweit dies erforderlich sei. Er selbst habe am 2.1. wieder im Büro sein wollen. Der andere Rechtsanwalt sei am 4.1.2022 wegen eigener Urlaubsabwesenheit für den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht erreichbar gewesen

II. Entscheidung

Das KG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden ist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist könne nicht erfolgen.

Berufungsbegründungsfrist versäumt

Die Frist zur Begründung der Berufung sei von der Vorsitzenden auf den fristgerecht gestellten Antrag des Klägers mit Verfügung vom 30.11.2021 bis zum 4.1.2022 verlängert worden. Bis zum Ablauf des 4.1.2022 sei eine Berufungsbegründung als elektronisches Dokument nicht übermittelt worden. Die an diesem Tag eingegangene Begründung als Originalschriftsatz und als Telefax habe die Form des § 130d Satz 1 ZPO nicht gewahrt. Die Einreichung als elektronisches Dokument stelle eine Zulässigkeitsvoraussetzung dar und sei nach dem Willen des Gesetzgebers von Amts wegen zu beachten. Bei Nichteinhaltung sei die Prozesserklärung nicht wirksam (vgl. BT-Drucks 17/12634, S. 27; Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., § 130d Rn 1).

Kein Ausnahmefall

Der Ausnahmefall, in dem eine Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ist, liege nicht vor. Gemäß § 130d Satz 2 ZPO sei dies nur zulässig, wenn die Übermittlung eines elektronischen Dokumentes aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Dem liege die Überlegung des Gesetzgebers zugrunde, dass die zwingende Benutzung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht gelten könne, wenn die Justiz aus technischen Gründen nicht auf elektronischem Weg erreichbar sei. Dabei solle es keine Rolle spielen, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichers zu suchen ist. Denn auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts solle dem Rechtssuchenden nicht zum Nachteil gereichen (BT-Drucks 17/12634, S. 27). Eine vorübergehende technische Störung am 4.1.2022 sei vom Kläger jedoch weder im Kanzleibereich seines Prozessbevollmächtigten noch im Bereich des KG behauptet oder glaubhaft gemacht worden. Der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gesehen habe, seine Kanzleiräume in Berlin aufzusuchen und die Berufungsbegründung von dort als elektronisches Dokument zu übermitteln, stelle keine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung aus technischen Gründen dar.

Fehlende Glaubhaftmachung

Der Kläger habe – so das KG – auch nicht bei der Einreichung der Berufungsbegründung glaubhaft gemacht, welche Gründe für das Unterbleiben der Übermittlung eines elektronischen Dokumentes bestanden. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers der Auffassung gewesen sei, dass ein Ausnahmefall vorgelegen habe, der die Einreichung der Berufungsbegründung als Telefax und Schriftsatz rechtfertigte, hätte er die Gründe bei der Einreichung glaubhaft machen müssen. Für eine spätere Begründung habe hier kein Raum bestanden angesichts des Umstandes, dass die Fax-Übermittlung am 4.1.2022 um 15.25 Uhr erfolgte. Es habe vielmehr die Möglichkeit zur gleichzeitigen Glaubhaftmachung des Ausnahmefalls bestanden. Die Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO seien ebenfalls nicht erfüllt.

Keine Wiedereinsetzung

Das KG hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO nicht gewährt. Denn die Fristversäumung sei nicht unverschuldet, wobei sich der Kläger das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen müsse (§ 85 Abs. 2 ZPO). Ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) liegt nämlich dann nicht vor, wenn der Rechtsanwalt vor dem Fristablauf nicht alle ihm noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, wie etwa die Suche nach einem vertretungsbereiten Kollegen zur formwirksamen Einreichung der fertigen Berufungsbegründungsschrift. Das habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers hier versäumt.

III. Bedeutung für die Praxis

Auch in anderen Verfahrensarten anwendbar

1. Eine weitere Entscheidung eines Obergerichts zu der seit dem 1.1.2022 geltenden Neuregelung des § 130d StPO. Die Entscheidung des KG ist zwar im Zivilrecht ergangen, sie hat aber auch im Straf-/Bußgeldverfahren oder im Verwaltungsverfahren Bedeutung, da die Regelungen in § 32d StPO bzw. in § 55d VwGO ähnlich formuliert sind wie § 130d ZPO. Kann also in Zusammenhang mit einem Rechtsmittel die aktive Nutzungspflicht im Hinblick auf das beA nicht erfüllt werden, muss sofort vorgetragen, warum die Pflicht nicht erfüllt werden konnte. Es liegt m.E. im Übrigen auf der Hand, dass eine Erkrankung des Verteidigers, die ihn an der Nutzung des beA hindert, keine technische Störung im Sinne der Neuregelungen ist.

Entscheidung zur Wiedereinsetzung entspricht BGH-Rechtsprechung

2. Im Zivilverfahren musste das KG dann untersuchen, ob dem Kläger nicht ggf. Wiedereinsetzung (§ 233 Satz 1 ZPO) zu gewähren war. Das hat es unter Auswertung der Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung wegen Fristversäumung aufgrund krankheitsbedingten Ausfalls des Rechtsanwalts (am letzten Tag der Frist) verneint (vgl. dazu die auch vom KG zitierte Rechtsprechung BGH NJW-RR 2021, 625 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BGH; BGH NJW-RR 2019, 691; NJW 2020, 157).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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