Unfallverursachung: Umdrehen zu Kind auf der Rückbank
Ein vollständiges Umdrehen während der Fahrt mit einem Pkw auf der Autobahn im stockenden Verkehr zu einem auf dem rechten Rücksitz befindlichen achtjährigen Kind, das zu einem leichten Auffahren auf ein vorausfahrendes Motorrad führt, ist als grob fahrlässig anzusehen. Dass ein Kraftfahrer die vor ihm befindliche Fahrspur beobachten muss, um möglicherweise in hohem Maße gefährliche Situationen zu vermeiden, stellt eine einfachste ganz naheliegende Überlegung dar.
OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 12.2.2020 – 2 U 43/19
Rechtsschutzversicherung: Haftung des Rechtsanwalts
Die Pflicht des Rechtsanwalts, seinen Mandanten grundsätzlich umfassend und möglichst erschöpfend rechtlich zu beraten und, falls eine Klage oder Berufung nur wenig Aussicht auf Erfolg verspricht, hierauf und auf die damit verbundenen Gefahren hinzuweisen, gilt gleichermaßen auch dann, wenn der Mandant rechtsschutzversichert ist. Der Rechtsanwalt hat seinen Mandanten auch darüber zu belehren, dass der Rechtsschutzversicherer zur Gewährung von Deckungsschutz für aussichtslose Verfahren nach Maßgabe der § 3a ARB; § 128 VVG nicht verpflichtet ist.
OLG Köln, Urt. v. 3.3.2020 – 9 U 77/19
Besorgnis der Befangenheit: Eheleute als Richter
Die Besorgnis der Befangenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 ZPO ist begründet, wenn der abgelehnte Richter als Mitglied des Berufungsgerichts über die Berufung der ihn ablehnenden Partei gegen ein durch seine Ehefrau als Einzelrichterin ergangenes Urteil zu entscheiden hat.
BGH, Beschl. v. 27.2.2020 – III ZB 61/19
Standardisiertes Messverfahren: Speicherpflicht für Rohmessdaten
Es gibt keinen Rechtssatz, demzufolge staatlich erhobene Beweise stets vollständig rekonstruierbar sein müssen. Für standardisierte Verfahren der Geschwindigkeitsmessung bedeutet dies, dass die sog. Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang nicht stets gespeichert werden müssen. Im theoretisch denkbaren Fall einer Art gezielten staatlichen Beweisrekonstruktionsvereitelung kann etwas anderes gelten. Ein im Hauptverfahren beim Amtsgericht gegen eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde angebrachter „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ ist in der Regel nicht als ein solcher nach § 62 OWiG, sondern als (Beweis-)Anregung zu behandeln.
KG, Beschl. v. 24.1.2020 – 3 Ws (B) 12/20
Einsatzfahrzeug auf der BAB: Martinshorn und Blaulicht
Verhindern Eigengeräusche des Fahrzeuges die Wahrnehmbarkeit des mit eingeschaltetem Martinshorn herannahenden Einsatzfahrzeuges („Freiebahnschaffen“ nach § 38 Abs. 1 S. 2 StVO) durch den Betroffenen, ist dieses Defizit durch besondere aufmerksame Beobachtung der Verkehrslage auszugleichen.
KG, Beschl. v. 18.2.2020 – 3 Ws (B) 11/20
Unverwertbarkeit von Messergebnissen: Widerspruch
Soll die Unverwertbarkeit von Messergebnissen gerügt werden, bedarf es des (protokollierten) Widerspruches bis zu dem in § 257 StPO bezeichneten Zeitpunkt. Der Widerspruch ist mit der Verfahrensrüge vorzutragen.
KG, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 Ws (B) 18/20
Ablehnung: Besorgnis der Befangenheit
Allein das unbestrittene Vorliegen einer engen Freundschaft zwischen dem Richter und dem Verteidiger reicht noch nicht aus, aus der Sicht eines der Verfahrensbeteiligten, bei vernünftiger Würdigung aller Umstände an einer Unvoreingenommenheit dieses Richters zu zweifeln.
AG Torgau, Beschl. v. 24.2.2020 – 2 Ds 950 Js 41188/19
Trennungsgebot: Ärztliche Verordnung von Medizinalcannabis
Bei einer ärztlichen Verordnung von Medizinalcannabis kommt es auf die Frage, ob der Betroffene den Konsum von Cannabis und das Führen von Kfz trennen kann, nicht an. Stattdessen ist maßgeblich, ob der Betroffene im zugrunde liegenden Einzelfall Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind und die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt; zudem darf nicht zu erwarten sein, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird.
VG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2019 – 6 K 4574/18
Vergütungsvereinbarung: Formularmäßige Regelungen; Mindestvergütung
Eine formularmäßige Vergütungsvereinbarung, welche eine Mindestvergütung des Rechtsanwalts in Höhe des Dreifachen der gesetzlichen Vergütung vorsieht, ist jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern wegen unangemessener Benachteiligung des Mandanten unwirksam, wenn das Mandat die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Mandanten betrifft und die Vergütungsvereinbarung zusätzlich eine Erhöhung des Gegenstandswertes um die Abfindung vorsieht. Die formularmäßige Vereinbarung eines Zeithonorars, welche den Rechtsanwalt berechtigt, für angefangene 15 Minuten jeweils ein Viertel des Stundensatzes zu berechnen, benachteiligt den Mandanten jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sieht eine Vergütungsvereinbarung ein Zeithonorar für Sekretariatstätigkeiten vor und eröffnet sie dem Rechtsanwalt die an keine Voraussetzungen gebundene Möglichkeit, statt des tatsächlichen Aufwandes pauschal 15 Minuten pro Stunde abgerechneter Anwaltstätigkeit abzurechnen, gilt insoweit die gesetzliche Vergütung als vereinbart.
BGH, Urt. v. 13.2.2020 – IX ZR 140/19