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Verkehrsstrafrechtrechtliche Rechtsprechung in den Jahren 2017-2020 (Teil II)

V.Verbotenes Rennen (§ 315d StGB)

Die am 13.10.2017 in Kraft getretene (neue) Vorschrift des § 315d StGB verbietet Kraftfahrzeugrennen und hat aus der früheren Verkehrs-OWi nach § 29 StVO nun einen Straftatbestand gemacht (vgl. dazu u.a. Stam StV 2018, 464 ff.). In § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist – auf Vorschlag des Rechtsausschusses erst im Gesetzgebungsverfahren eingefügt – das sog. Alleinrennen unter Strafe gestellt worden. Die Anwendung dieser Vorschrift macht in der Praxis (erhebliche) Probleme. Zu der Vorschrift des § 315d StGB liegt inzwischen einiges an Rechtsprechung vor, die wir hier noch einmal zusammenfassend vorstellen:

Hinweis:

Inzwischen hat der BGH zu den Fragen Stellung genommen (vgl. VRR 4/2021, 13).

Im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) ist eine zurückhaltende Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angezeigt (KG StraFo 2019, 342 = VRR 9/2019, 15 = StRR 11/2019, 21 = VA 2019, 140; Beschl. v. 20.12.2019 – [3] 161 Ss 134/19 [75/19], DAR 2020, 149 = VRR 2/2020, 15 = StRR 3/2020, 26). Das AG Villingen-Schwenningen geht inzwischen in einem umfangreich begründeten Beschluss davon aus, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt, und hat die Sache dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt (AG Villingen-Schwenningen, Beschl. v. 16.1.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19; Beschl. v. 20.12.19 – [3] 161 Ss 134/19 [75/19], DAR 2020, 218 = StRR 3/2020, 32 = VRR 3/2020, 18; a.A. KG DAR 2020, = VRR 2/2020, 15 = StRR 372020, 26; OLG Köln, Urt. v. 5.5.2020 – III-1 RVs 45/20, NStZ-RR 2020, 224) ; auch BGH VRR 4/2021, 13.

Ein verbotenes Kfz-Rennen gem. § 315d StGB liegt vor, wenn die Fahrweise der Täter belegt, dass beide ihre Fahrzeuge auf möglichst hohe Geschwindigkeiten beschleunigten, um dann z.B. bei möglichst hoher Geschwindigkeit in rennähnlicher Weise Überholvorgänge auf einer Landstraße durchzuführen. So grob verkehrswidriges Fahrverhalten bei Nacht und im Übrigen regennasser Fahrbahn indiziert die erforderliche Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern (vgl. u.a. KG, Beschl. v. 15.4.2019 – (3) 161 Ss 36/19 (25/19), StraFo 2019, 342; OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.7.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19, NJW 2019, 2787; LG Aurich VA 2019, 103; LG Berlin VRS 133, 15 = NZV 2018, 481; LG Stade DAR 2018, 577 = VRR 11/2018, 18 = StRR 11/2018, 19; AG Essen VA 2019, 30). Für die Rennähnlichkeit spricht dabei insbesondere auch eine zeitweise erreichte Höchstgeschwindigkeit von ca. 149 km/h, bei welcher dann riskante Fahrmanöver – Überholen bei geringem Sicherheitsabstand wie aus einem Windschatten – ausgeführt wurden (LG Aurich, a.a.O.). Die Einstufung eines Geschehensablaufs als Kfz-Rennen i.S.v. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt nach der Gesetzgebungshistorie und dem Schutzzweck der Vorschrift nicht voraus, dass zwischen den Rennteilnehmern ein Sieger ermittelt wird (LG Deggendorf, Urt. v. 22.11.2019 – 1 Ks 6 Js 5538/18). Eine sog. Poserfahrt ist aber kein Kfz-Rennen (OLG Hamburg VA 2019, 162).

Mit höchstmöglicher Geschwindigkeit i.S.v. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nicht die Geschwindigkeit gemeint, die ein Fahrzeug bauartbedingt auf freier Strecke maximal erreichen kann, sondern die nach den objektiven Umständen, insbesondere dem Streckenverlauf maximal erreichbare Geschwindigkeit (BayObLG, Beschl. v. 22.7.2020 – 207 StRR 245/20; KG VA 19, 145; OLG Köln, Urt. v. 5.5.2020 – III-1 RVs 45/20, NStZ-RR 2020, 224 = NZV 2020, 436 = VA 2020, 163); von Bedeutung ist auch, ob die Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.5.2020 – 1 OLG 2 Ss 34/20, zfs 2020, 528 = NZV 2020, 538).

Bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen reichen zur Erfüllung des Tatbestands des „Alleinrennens“ nicht aus (KG, Beschl. v. 20.12.2019 – [3] 161 Ss 134/19 [75/19], DAR 2020, 218 = StRR 3/2020, 32 = VRR 3/2020, 18; OLG Köln, Urt. v. 5.5.2020 – III-1 RVs 45/20, NStZ-RR 2020, 224). Von einem „Alleinrennen“ ist aber auszugehen, wenn der Angeklagte bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h, um sich zu profilieren, mit mindestens 150 km/ fährt (KG VA 19, 145; vgl. auch KG, Beschl. v. 15.4.2019 – [3] 161 Ss 36/19 [25/19]; OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.7.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19; LG Aurich VA 2019, 103; LG Berlin VRS 133, 15 = NZV 2018, 481; LG Stade DAR 2018, 577 = VRR 11/2018, 18 = StRR 11/2018, 19; AG Essen VA 2019, 30).

Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein, vielmehr kann das Bestreben, möglichst schnell voranzukommen, auch von weitergehenden Zielen begleitet sein, ohne dass dadurch der Renncharakter verloren geht (OLG Köln, Urt. v. 5.5.2020 – III-1 RVs 45/20, NStZ-RR 2020, 224; OLG Stuttgart NJW 2019, 2767 = VRR 9/2019, 16 = StRR 11/2019, 23 für sog. Polizeiflucht). Das Anstreben einer höchstmöglichen Geschwindigkeit im Straßenverkehr stellt sich bei gleichzeitiger Wahrnehmung eines polizeilichen Blinklichts und Signalhorns als ein rennartiges strafbares Fluchtverhalten des Fahrzeugführers dar (LG Berlin NZV 2019, 315; ähnlich AG Waldbröl NZV 2019, 317).

§ 315d Abs. 5 StGB setzt Vorsatz nicht nur in Bezug auf die höchstmögliche Geschwindigkeit i.S.v. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB voraus, sondern auch in Bezug auf die Herbeiführung einer konkreten Gefährdung (BayObLG, Beschl. v. 22.7.2020 – 207 StRR 245/20; zum Tötungsvorsatz beim Kfz-Rennen mit Todesfolge LG Kleve, Urt. v. 17.2.2020 – 140 Ks – 507 Js 281/19 – 6/19). Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, erfordert dolus directus ersten Grades (Beschl. v. 20.12.2019 – [3] 161 Ss 134/19 [75/19], DAR 2020, = VRR 2/2020, 15 = StRR 3/2020, 26).

Als ermessensleitende Kriterien für die Einziehung eines Kfz nach einem verbotenen Rennen kommen die Gefahr weiterer verkehrsrechtlicher Verstöße des Täters, die Länge der gefahrenen Strecke, Art und Weise des Renngeschehens, das Ausmaß der Gefährdung anderer sowie die Frage, ob etwa die Familie des Täters auf das Fahrzeug angewiesen ist, in Betracht (LG Berlin NZV 19, 541; zur Einziehung von Fahrzeugen bei verbotenen Kfz-Rennen s. auch OLG Hamm, Urt. v. 18.8.2020 – 2 Ws 107-109/20). Es verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB), wenn dem Täter eines verbotenen Kfz-Rennens ohne die Benennung weiterer tatprägender Umstände die von ihm erzielte Geschwindigkeit strafschärfend entgegengehalten wird (OLG Köln, Urt. v. 5.5.2020 – III-1 RVs 40/20, StRR 7/2020, 17 m. Anm. Deutscher).

VI.Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB)

1. Tatbestand

Hält das Tatgericht bei einem Radfahrer gegen gefestigte Rechtsprechung (vgl. dazu BayObLG BA 30, 254; OLG Celle NJW 1992, 2169; OLG Hamm NZV 1992, 198; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 356; OLG Zweibrücken NZV 1992, 372; Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 316 Rn 27 m.w.N.) eine über 1,6 ‰ liegende BAK für kein unwiderlegliches Indiz der Fahrunsicherheit, so muss es dies im Urteil ausführlich begründen. Gegebenenfalls abweichende wissenschaftliche Erkenntnisse der experimentellen Alkoholforschung sind eingehend darzustellen und zu würdigen (KG NZV 2017, 587 = VA 2017, 217).

Hat der alkoholisierte Angeklagte lediglich schlafend in seinem Fahrzeug gesessen, hat er das Fahrzeug nicht geführt; dies gilt auch dann, wenn der Motor in Betrieb war (BGH DAR 2019, 38). Das bloße Sitzen im unbewegten Fahrzeug fällt auch dann nicht unter den Begriff des „Führens“ eines Kfz, wenn der Motor in Betrieb ist (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1992, 197 f.; Fischer, a.a.O., § 315c Rn 3b).

Die Fahruntüchtigkeit lässt sich nicht allein aus einem bestimmten Blutwirkstoffgehalt ableiten. Es bedarf stets einer Gesamtwürdigung des Blutwirkstoffbefunds und weiterer festzustellender Beweisanzeichen (wie der Fahrweise), die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kfz-Führers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (OLG Düsseldorf DAR 2019, 578).

Ein zwei- bis dreimaliges Überfahren der Spurbegrenzungslinie auf einer Strecke von mehreren Kilometern mit einem problemlosen und zügigen Zurücklenken in die eigene Fahrspur stellen kein klassisches Schlangenlinienfahren dar. Dazu ist ein deutlich häufigeres Überfahren der Spurbegrenzungslinien sowie ein entweder sehr langsames oder ein ruckartiges Zurücklenken zu erwarten (AG Tiergarten, Urt. v. 31.8.2018 – 343 Cs 3034 Js 7166/18 [112/18], VRR 11/2018, 19 = StRR 11/2018, 21 = VA 2018, 138). Nach Auffassung des AG Tiergarten (Urt. v. 6.11.2018 – [311 Cs] 3024 Js 6441/18 [145/18], VA 2019, 28), genügt es bei einer BAK von 0,88 Promille auch nicht, die relative Fahruntüchtigkeit mit dem Gang und der Aussprache des Angeklagten zu begründen, wenn die herangezogene Gangart für den Angeklagten normal ist und die Aussprache auf die Herkunft des Angeklagten (Italien) zurückzuführen ist.

Zwei OLG haben sich noch einmal mit dem Urteil des BGH vom 9.4.2015 (4 StR 401/14, BGHSt 60, 227, 229 ff.) zur Frage des Vorsatzes bei einer Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB auseinandergesetzt (OLG Dresden, Beschl. v. 10.10.2018 – 2 OLG 22 Ss 399/18, VA 2019, 66; OLG Düsseldorf zfs 2017, 590 = StV 2018, 445 = VRR 2/2018, 14). Das OLG Düsseldorf (a.a.O.) sieht diese Entscheidung nicht im Sinne einer grundsätzlichen Abkehr von der bislang herrschenden Entscheidungspraxis (vgl. Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 316 StGB Rn 29 f.; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 316 StGB Rn 76; ders. DAR 2015, 737, 740; Sandherr NZV 2015, 400, 402; MüKo-StVR/Hagemeier, 1. Aufl. 2016, § 316 Rn 20 ff.; Fischer, a.a.O., § 316 Rn 45 f.; Görlinger, in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 316 StGB Rn 49). Es bleibe daher dabei, dass allein aus einer hohen Blutalkoholkonzentration des Täters zur Tatzeit nicht auf einen Vorsatz hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit geschlossen werden könne. Die Vorsatzbeurteilung habe auf der Basis einer Feststellung und Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten Umstände des Einzelfalls zu erfolgen. Dabei können – neben der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit – insbesondere der Trinkverlauf und das Trinkende, die Alkoholgewöhnung des Täters, der Fahrtverlauf (etwa im Hinblick auf wahrgenommene Fahrfehler) und das Nachtatverhalten sowie das Vorhandensein oder aber Fehlen einschlägiger Vorstrafen von Bedeutung sein (OLG Düsseldorf, a.a.O., m.w.N. aus der OLG-Rspr.). Das hat zur Folge, dass der Sachverhalt einer Vorverurteilung ggf. in den Urteilsgründen in ausreichender Weise mitgeteilt werden muss (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.4.2019 – 2 Rv 4 Ss 105/19, VA 2019, 142 = DAR 2019, 579).

VII.Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB)

1. Voraussetzungen des § 69 StGB

Soll dem Angeklagten wegen einer Nichtkatalogtat i.S.d. § 69 Abs. 2 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden, muss der Tatrichter eine Gesamtwürdigung der Tatumstände und der Täterpersönlichkeit vornehmen, mit der die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen belegt wird, wobei der Umfang der Darlegung vom Einzelfall abhängt (BGH zfs 2018, 49 = NZV 2018, 193 = StV 2018, 414; NStZ-RR 2019, 209). In dem Zusammenhang belegt das Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem deutlichen und zumindest mitunfallursächlichen Einfluss von Amphetaminen in aller Regel eine erhebliche charakterliche Unzuverlässigkeit, die auch die Ungeeignetheit des Täters zum Führen eines Kraftfahrzeugs nahelegt. Dies rechtfertigt jedoch kein Absehen von jeglicher Begründung (BGH a.a.O.). Erforderlich ist eine einzelfallbezogene Begründung der fehlenden Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr (BGH NStZ-RR 2019, 209).

Trotz einer Trunkenheitsfahrt mit Unfallverursachung und einer festgestellten BAK des alkoholgewöhnten Angeklagten von 3,12 ‰ kann ausnahmsweise von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden, wenn die Regelvermutung des § 69 StGB widerlegt ist. Dies ist der Fall, wenn der Angeklagte selbstständig, ohne dass es eines äußeren sozialen Drucks bedurfte, seit mehr als einem Jahr keinen Alkohol mehr konsumiert und erfolgreich eine verkehrspsychologische Einzeltherapie absolviert hat, in der er sich intensiv mit dem Umgang mit Alkohol und seiner Tat auseinandergesetzt hat (AG Tiergarten VA 2017, 125).

2. Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO)

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis setzt die Annahme voraus, dass dem Beschuldigten demnächst die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird (LG Darmstadt VA 2018, 84). Das kann bei einer BAK von nur 0,54 ‰ fraglich sein (LG Darmstadt a.a.O.; ähnlich AG Mönchengladbach, Beschl. v. 19.2.2018 – 59 Gs 151/18). Die Rechtfertigung des mit § 111a Abs. 1 S. 1 StPO verbundenen Grundrechtseingriffs setzt eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür voraus, dass dem Täter später gem. § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden wird. Das entziehende Gericht darf sich dieser Prognose nicht mit dem Hinweis auf eine etwaige spätere Hauptverhandlung entziehen, sondern muss auf der Basis des Stands der Ermittlungen in die Prüfung der Voraussetzungen des § 69 Abs. 1, 2 StGB eintreten (BVerfG, Beschl. v. 8.11.2017 – 2 BvR 2129/16, zfs 2018, 47 = StRR 3/2018, 14 = VRR 3/2018, 14).

Hinweis:

Auch wenn die Voraussetzungen einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO vorliegen, ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erst längere Zeit nach Tatbegehung wegen Unverhältnismäßigkeit nicht mehr gerechtfertigt, weil der Sinn und Zweck der Maßnahme, die Allgemeinheit vor Gefahren durch einen ungeeigneten Kraftfahrer schon vor dem rechtskräftigen Urteil zu schützen, nach diesem Zeitablauf nicht mehr erreicht werden kann (LG Görlitz StV 2018, 403 = VA 2017, 217 für ein Jahr; LG Koblenz VA 2018, 28 für neun Monate).

3. Sperrfristabkürzung (§ 69a StGB)

Die Rechtsprechung der LG muss sich immer wieder mit der Frage der vorzeitigen Aufhebung einer nach § 69a StGB festgesetzten Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis befassen. So auch das LG Heilbronn (Beschl. v. 27.4.2018 – 3 Qs 17/18). Festgesetzt war in dem vom LG Heilbronn entschiedenen Fall nach einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) eine Sperrfrist von zehn Monaten. Der ehemalige Angeklagte beantragte dann nach Teilnahme an einer Nachschulungsmaßnahme die „schnellstmögliche Verkürzung“. Zugleich legte er ein Teilnahme-Zertifikat des TÜV-Süd vor, das seine erfolgreiche Teilnahme an einem Kurs „Mainz 77“ (Modell zur Sperrfristverkürzung) bescheinigt. Das LG Heilbronn (a.a.O.) weist zunächst darauf hin, dass eine Sperrfrist nach § 69a StGB nicht abgekürzt werden kann (vgl. auch OLG Celle VRS 115, 410; LG Fulda VA 2018, 49). In der Sache kommt das LG Heilbronn (a.a.O.) dann aber zur Aufhebung der Sperre, u.a. weil der ehemalige Angeklagte an dem Kurs „Mainz 77“ teilgenommen hat und aufgrund „einer konkreten Einzelfallprüfung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden [konnte], dass der Verurteilte nicht länger ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.“

Auf der gleichen Linie liegt dann auch der Beschluss des LG Görlitz vom 6.8.2018 (13 Qs 48/18). Dort hatte der ehemalige Angeklagte an einer verkehrspsychologischen Maßnahme der AFN teilgenommen, die aus zwei Einzelgesprächen von jeweils einer Stunde sowie einem AFN-Kurs (ALFA) mit insgesamt zehn Gruppenstunden bestanden hatte (ähnlich LG Berlin VA 2017, 218).

4. Exkurs: Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter

Der E-Scooter ist in der Rechtsprechung angekommen (vgl. dazu auch Deutscher ZAP F. 9, S. 1105; dersBurhoff VA 2020, 16 ff.). Das merkt man deutlich daran, dass auch im strafrechtlichen Bereich Gerichtsentscheidungen zunehmen, die sich mit dem E-Scooter befassen. Dabei geht es derzeit vornehmlich um die Frage, ob nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden kann. Die bekannt gewordenen Entscheidungen sind in der nachfolgenden Übersicht zusammengestellt.

(Fast) alle Entscheidungen gehen (im § 111a StPO-Verfahren) davon aus, dass es sich bei einem E-Scooter um ein Kfz handelt und daher § 69 StGB anwendbar ist. Das wird entweder ausdrücklich begründet (vgl. dazu insbesondere BayObLG, Beschl. v. 24.7.2020 – 205 StRR 216/20; LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, VRS 138, 20 = StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16; LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 35 Qs 3/20, StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16; LG Dortmund, Beschl. v. 11.2.2020 – 43 Qs 5/20, DAR 2020, 374 = StRR 3/2020, 30 = VRR 3/2020, 14; LG München I, Beschl. v. 30.10.2019 – 1 J Qs 24/19 jug, VRS 138, 29; LG München I, Beschl. v. 29.11.2019 – 26 Qs 51/19, DAR 2020, 111; AG Dortmund, Urt. v. 21.1.2020 – 729 Ds – 060 Js 513/19 – 349/19, NZV 2020, 270 = VRR 3/2020, 3 [Ls.]; vgl. auch BR-Drucks 158/2019, S. 31; Burhoff VA 2020, 16; Huppertz, NZV 2019, 558) oder stillschweigend vorausgesetzt (AG Dortmund, Urt. v. 21.1.2020 – 729 Ds – 060 Js 513/19 – 349/19, NZV 2020, 270). Damit greift im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis an sich die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Argumentiert werden muss also bei der Frage, ob diese aufgrund der Umstände des Einzelfalls ggf. widerlegt ist.

Ebenso übereinstimmend legt die Rechtsprechung die 1,1 %-Grenze zugrunde (BayObLG, Beschl. v. 24.7.2020 – 205 StRR 216/20; LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, VRS 138, 20 = StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16; LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 35 Qs 3/20, StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16; LG Dortmund, Beschl. v. 11.2.2020 – 43 Qs 5/20, DAR 2020, 374 = StRR 3/2020, 30 = VRR 3/2020, 14; LG München I (Beschl. v. 30.10.209 – 1 J Qs 24/19 jug, VRS 138, 29; LG München I, Beschl. v. 29.11.2019 – 26 Qs 51/19, DAR 2020, 111; AG Dortmund, Urt. v. 21.1.2020 – 729 Ds – 060 Js 513/19 – 349/19, NZV 2020, 270 = VRR 3/2020, 3 [Ls.]).

Nicht ganz einheitlich wird die Widerlegung der Regelvermutung gesehen. Die wird verneint vom BayObLG (Beschl. v. 24.7.2020 – 205 StRR 216/20) bei einer Strecke von ca. 300 m und der Fahrt auf dem Bürgersteig, der zum Tatzeitpunkt von Fußgängern nicht benutzt wurde, oder vom LG München I (Beschl. v. 30.10.209 – 1 J Qs 24/19 jug, VRS 138, 29) bei einer Fahrt um 0.12 Uhr, BAK 1,49 ‰ unter Hinweis darauf, dass das Gefährdungspotenzial nicht dem eines Fahrrads, sondern eher einem Mofa entspreche, vom LG München I (Beschl. v. 29.11.2019 – 26 Qs 51/19, DAR 2020, 111) mit der weiteren Begründung, dass Tatsache, dass E-Scooter einfach gestartet werden können und bereits ab 14 Jahren sowie ohne Helm gesteuert werden dürfen, den Eignungsmangel ggf. nicht widerlege oder vom LG Dortmund (Beschl. v. 11.2.2020 – 43 Qs 5/20, DAR 2020, 374 = StRR 3/2020, 30 = VRR 3/2020, 14), wenn auch die für Fahrräder geltende 1,6 ‰-Grenze überschritten ist; den Irrtum über den Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit bei der Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter sieht das LG als einen vermeidbaren Verbotsirrtum an.

Bejaht wird die Widerlegung der Regelvermutung hingegen vom LG Dortmund (Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, VRS 138, 20 = StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16) bei einer kurzen Fahrt um 1.10 Uhr auf dem Gehweg einer innerstädtischen Straße mit einer BAK von 1,56 ‰ unter Hinweis darauf, dass das Gefährdungspotenzial eher dem eines Pedelec entspreche, so dass die Regelvermutung (daher) bei einer Fahrt über eine Wegstrecke von einigen Metern und/oder zu verkehrsarmer Zeit widerlegt werden könne (ähnlich LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 35 Qs 3/20, StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16) oder vom LG Halle (Beschl. v. 16.7.2020 – 3 Qs 81/20) bei einer nächtlichen Fahrt innerorts um 1.55 Uhr mit einer BAK von 1,28 % unter Hinweis auf das geringe, mit einem Fahrrad vergleichbare Gefährdungspotenzial). Das AG Dortmund (Urt. v. 21.1.2020 – 729 Ds – 060 Js 513/19 – 349/19, NZV 2020, 270 = VRR 3/2020, 3 [Ls.]) hat ausgeführt, dass bei einer nächtlichen Fahrt zu verkehrsarmer Zeit auf einer Verkehrsfläche ohne jeden Bezug zum fließenden Straßenverkehr und ohne tatsächlich feststellbare oder auch nur abstrakt drohende Beeinträchtigung Rechtsgüter Dritter durch einen nicht vorbelasteten und geständigen Täter nicht von einer Ungeeignetheit zum Führen von Kfz ausgegangen werden könne. Das AG Frankfurt am Main hat die Regelvermutung bei einer nächtlichen Fahrt mit einer BAK von 1,13 ‰ und einer Fahrtstrecke von 150–200 m ebenfalls als widerlegt angesehen (AG Frankfurt am Main NZV 2020, 598).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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