Beitrag

Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach eingestelltem Bußgeldverfahren

Zur Erstattung der Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens im Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Bielefeld,Beschl. v.19.12.2019–10 Qs 425/19

I. Sachverhalt

Gegen den Betroffenen ist von der Verwaltungsbehörde wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Die zugrunde liegende Geschwindigkeitsmessung wurde mit dem Lasermesssystem TraffiStar S 350 des Unternehmens Jenoptik vorgenommen. Der Verteidiger hatte fristgerecht Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt.

Er hat von der Verwaltungsbehörde Datensätze und Informationen zur Überprüfung der Messung angefordert und mitgeteilt, dass ein Sachverständiger mit der Überprüfung des Messvorgangs beauftragt worden sei. Nach Fertigstellung des Gutachtens durch den Sachverständigen übersandte es der Verteidiger. Als Ergebnis der Begutachtung wurde dabei u.a. mitgeteilt, dass die Angaben im Messprotokoll Unstimmigkeiten aufwiesen bzw. unzutreffend seien. Zudem wurde auf Unstimmigkeiten hinsichtlich der verwandten Softwareversion hingewiesen. Im Hauptverhandlungstermin hat das AG die Hauptverhandlung zunächst ausgesetzt und die Verwaltungsbehörde um Stellungnahme u.a. dazu gebeten, welche Softwareversion zum Zeitpunkt der Messung auf dem Messgerät aufgespielt war. Hierauf wurde durch den zuständigen Messbeamten dahingehend Stellung genommen, dass versehentlich die falsche Software-Version in das Messprotokoll eingetragen worden sei. In Folge wurde das Bußgeldverfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft eingestellt, wobei die Kosten des Verfahrens wie auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt wurden.

Daraufhin beantragte der Verteidiger mit seinem Kostenfestsetzungsantrag u.a. die Festsetzung der durch die Erstellung des Sachverständigen entstandenen Kosten i.H.v. 1.974,51 EUR. Der Kostenbeamte hat eine dienstliche Stellungnahme der erkennenden Richterin hinsichtlich der Frage eingeholt, ob die Einholung eines Privatgutachtens zweckdienlich gewesen sei. Diese äußerte sich dahingehend, dass nach ihrer Auffassung ohne sachverständige Hilfe hätte auffallen können, dass im Messprotokoll und im beigefügten Beiblatt des Unternehmens Jenoptik unterschiedliche Softwareversionen genannt waren. Vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, dass man hätte davon ausgehen müssen, ohne ein Gutachten keinen Einfluss auf das weitere Verfahren nehmen zu können. Weiter sei die Einstellung zwar aus Gründen erfolgt, die auch in dem Gutachten aufgezeigt worden seien, entscheidungserheblich sei das Gutachten allerdings nicht gewesen, da „die Problematik“ aus Parallelverfahren bereits hinlänglich bekannt gewesen sei. Der Kostenfestsetzungsantrag ist daraufhin hinsichtlich der Sachverständigenkosten zurückgewiesen worden. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verteidigers hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das LG hat die entstandenen Kosten für die Einholung des privaten Sachverständigengutachtens als notwendige Auslagen i:S.d. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464a Abs. 2 StPO angesehen. Im Ausgangspunkt zutreffend gehe die angefochtene Entscheidung davon aus, dass die Aufwendungen des Betroffenen für eigene Ermittlungen oder Beweiserhebungen nur in Ausnahmefällen notwendig und damit erstattungsfähig seien (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 464a Rn 16; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464a Rn 7 m.w.N.). Dies folge daraus, dass die Ermittlungsbehörden von Amts wegen zu ermitteln und die Beweise auch zugunsten des Beschuldigten zu erheben haben. Die Interessen des Betroffenen sind im Grundsatz ausreichend durch das Prinzip der allseitigen Aufklärung, das Recht zur Stellung von Beweisanträgen und den Zweifelssatz geschützt (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn 69). Demgegenüber seien Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens ausnahmsweise aber dann als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen seien oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex-ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464a Rn 7 m.w.N.; LG Wuppertal RVGreport 2018, 223 = VRR 8/2018, 17 = Sonderausgabe StRR 12/2018, 7 = RVG professionell 2019, 8). In Rechtsprechung und Literatur werde teilweise darüber hinaus angenommen, dass Erstattungsfähigkeit gegeben sei, wenn sich die Einholung eines Gutachtens zwar nicht ex-ante betrachtet als notwendig darstelle, aber ex-post tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen ausgewirkt hat (LG Dresden NStZ-RR 2010, 61; w. Nachw. bei KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn 69).

Hier hat das LG die Einholung eines Sachverständigengutachtens jedenfalls ex-ante betrachtet aus Sicht des Betroffenen als notwendig angesehen. Insofern sei zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei den Fragen, wie ein Lasermesssystem zur Geschwindigkeitsüberwachung überhaupt funktioniere, wie es einzurichten sei und ob darauf fußend tatsächlich eine ordnungsgemäße Messung stattgefunden habe, um schwierig zu beurteilende technische Sachverhalte handele. Hinzu komme, dass die Gründe, auf denen die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für private Sachverständigengutachten beruhen, nämlich, dass der Betroffene darauf vertrauen könne, dass von Amts wegen alle erforderlichen Ermittlungen erfolgen und er im Übrigen das Recht und die Pflicht habe, Beweisanträge zu stellen, in Fällen wie dem vorliegenden nur eingeschränkt zur Geltung kommen (LG Wuppertal, a.a.O.). Im Bußgeldverfahren seien nämlich dann, wenn ein standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen ist, die Anforderungen an die Darlegung einer Fehlmessung, die weitere Beweiserhebung durch das Gericht nach sich ziehen würde, erhöht. Hier müssten von Seiten der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorgebracht werden, um eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts zu begründen. Insofern sei die Amtsermittlungspflicht eingeschränkt (Krenberger/Krumm, OWiG, § 77 Rn 48 m.w.N.). Bei dem zum Einsatz gekommenen System TraffiStar S350 handele es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Somit habe der Betroffene davon ausgehen müssen, dass keine Beweiserhebung zur Ordnungsgemäßheit der Messung erfolgen würde, wenn er keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler vorbringt. Da nicht ersichtlich sei, dass solche vor Beauftragung des Gutachtens vorgelegen hätten, seien aus der maßgeblichen ex-ante Sicht des Betroffenen ohne die Einholung eines privaten Gutachtens seine Verteidigungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt (gewesen).

III. Bedeutung für die Praxis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Sie setzt die Tendenz in der Rechtsprechung der Instanzgerichte fort, in den Fällen des „Standardisierten Messverfahrens“ ggf. entstandene SV-Kosten zu ersetzen (vgl. dazu z.B. die vom LG angeführte Entscheidung des LG Wuppertal; vgl. auchBurhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 4554 m.w.N. aus der Rechtsprechung; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A: Kostenfestsetzung in Bußgeldsachen, Rn 1304; s. auch noch LG Hannover DAR 2019, 358 = RVGreport 2019, 429 = VRR 11/2019, 14 = Sonderausgabe StRR 12/2019, 6; LG Oldenburg AGS 2019, 94 = JurBüro 2019, 309 = RVGreport 2019, 145 = VRR 11/2019, 15; AG Senftenberg VRR 4/2017 3, [LS; aufgehoben durch LG Cottbus, Beschl. v. 22.6.2017 – 22 Qs 85/17]; s. aber auch LG Aachen, Beschl. v. 30.9.2019 – 66 Qs 58/19; LG Essen DAR 2020, 155; zu allem auchStaubDAR 2020, 169). Und das ist nur konsequent. Man kann nicht einerseits dem Betroffenen contra legem eine Beweislast auferlegen, ihn dann aber später auf den Kosten sitzen lassen. Hinterher ist man ggf. immer/meist/häufig schlauer.

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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