Beitrag

Einsatz von privaten Dienstleistern zur Überwachung des ruhenden Verkehrs ist gesetzeswidrig

1. Die den kommunalen Polizeibehörden gesetzlich zugewiesene Verpflichtung der Überwachung des ruhenden Verkehrs und die Ahndung von Verstößen sind hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermächtigungsgrundlage dürfen sie nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden.

2. Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben ist unzulässig.

3. Die Bestellung privater Personen nach § 99 HSOG zu Hilfspolizeibeamten der Ortspolizeibehörden ist gesetzeswidrig.

4. Der von einer Stadt bewusst durch „privaten Dienstleister in Uniform der Polizei“ erzeugte täuschende Schein der Rechtsstaatlichkeit, um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln, ist strafbar.

Leitsätze des Gerichts

OLG Frankfurt,Beschl. v.3.1.2020–2 Ss-OWi 963/18

I. Sachverhalt

Der Oberbürgermeister der Stadt hat als Ortspolizeibehörde wegen unerlaubten Parkens im eingeschränkten Halteverbot gegen den Betroffenen ein Verwarngeld von 15 EUR verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das AG durch Urteil das Verwarngeld bestätigt. Die Feststellungen zu dem Parkverstoß beruhen auf der Angabe des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen B, der der Stadt durch „die Firma C überlassen“ und von der Stadt als „Stadtpolizist“ bestellt worden ist. Die Tätigkeit übt der Zeuge in Uniform aus. Das Innenministerium hat mitgeteilt, dass die Stadt für die Kontrolle des ruhenden Verkehrs Leiharbeitskräfte eines privaten Dienstleisters auf Basis einer Stundenvergütung einsetzt. Die von der privaten Firma überlassenen Leiharbeitskräfte würden „ unter dem Einsatz des AÜG sowie einer physisch-räumlichen und organisatorischen Integration in die Gemeindeverwaltung zu Hilfspolizeibeamtin und -beamten bestellt “. Diese Leiharbeitskräfte tragen in einigen Kommunen Uniformen, aber nicht in allen. Das OLG hat das Verfahren auf die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen eingestellt und tenoriert, die den Parkverstoß belegenden Beweismittel unterliegen einem Verwertungsverbot.

II. Entscheidung

Das Verfahren wird eingestellt, da die vorliegende Beweiserhebung vorsätzlich gesetzeswidrig durchgeführt worden ist und die so ermittelten Beweise einem absoluten Verwertungsverbot unterlägen. Unter Hinweis auf seine sog. „Lauterbach-Entscheidung“ (OLG Frankfurt NStZ 2017, 588 = DAR 2017, 386 = VRR 8/2017, 15 [Niehaus]) sowie den Beschl. v. v. 6.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19 (s.o., S. 20 [Deutscher]) wiederholt der Senat die in den Leitsätzen 1–3 aufgeführten Grundsätze. Die Stadt könne nach § 99 Abs. 3 für die eigene „Stadtpolizei“ „eigene Bedienstete“ bestellen. Das habe sie indes nicht getan. Stattdessen habe sie ihre hoheitliche Sanktionsmacht Verwarngelder zu erheben dazu verwendet, das Geschäftsmodell eines privaten Dienstleisters zu finanzieren. Damit dies nicht auffällt, lasse sie die Verkehrsüberwachung den privaten Dienstleister im strafbewehrten Gewand einer Polizeiuniform durchführen. Damit täusche die Stadt strukturell und systemisch den Bürger und die Gerichte und zwar im vollen Bewusstsein, dass sie geltendes Recht umgeht. Durch den gesetzeswidrigen Bestellungsakt eines zuvor rechtswidrig überlassenen Mitarbeiters eines privaten Dienstleisters zu einem „Hilfspolizeibeamten“ erhalte dieser (die Wirksamkeit der Bestellung unterstellt) die Aufgaben und die Befugnisse der Vollzugspolizei. Dies wird durch das Tragen der Uniform auch dem Bürger gegenüber nach Außen dokumentiert. Damit erhalt diese Privatperson u.a. folgende Kompetenzen: Personenüberprüfungen und Identitätsfeststellungen, vorläufige Festnahmen und Personalienfeststellung (Sistierung), Platzverweise und Verbringungsgewahrsam, Sicherstellungen, verkehrsregelnde Eingriffe in den Verkehr, Erteilen von polizeilichen Weisungen, Entgegennahme von Anzeigen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht und Anwendung unmittelbaren Zwanges mit körperlicher Gewalt, Hilfsmitteln und Waffen. Im Übrigen seien die Angehörigen der „Stadtpolizei“ nach dem Legalitätsprinzip zur Strafverfolgung verpflichtet. Der Bürger gehe davon aus, dass die die Uniform der Stadtpolizei tragende Person ein Polizist ist und die genannten Funktionen und Befugnisse hat. Dass ein „privater Dienstleister“ diese Befugnisse nicht haben darf, verstehe sich von selbst. Die Stadt habe bewusst eine „leere Hülle in Uniform“ geschaffen, die ausschließlich dazu dient, nach Außen den täuschenden Schein der Rechtsstaatlichkeit aufzubauen und den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln.

Die insoweit notwendige Abwägung führe dazu, dass die hier erzeugten rechtswidrigen Beweismittel für den Parkverstoß einem absoluten Verwertungsverbot unterliegen. Unter Berücksichtigung, dass die Stadt nach eigenen Angaben jährlich über 700.000 (Jahr 2018) Parkverstöße mit einem Sanktionsvolumen von über 1 Mio. EUR ahndet, offenbare dieser Fall, dass hier ein strukturelles System der wirtschaftlichen Verflechtungen entstanden ist, bei dem staatliche Verkehrsüberwachung und -sanktionierung zur Finanzierung privatwirtschaftlicher Geschäftsmodelle verwendet wird. Verschärfend komme vorliegend noch hinzu, dass anders als in den bisher von den Gerichten aufgedeckten Missbräuchen im fließenden Verkehr (vgl. Beschlüsse wie oben) hier zur Täuschung auch noch Mitarbeiter „privater Dienstleister“ strafbewehrt in Polizeiuniformen „Dienst“ tun“ (vgl. zur Strafbarkeit §§ 132, 132a StGB). Die Stadt habe damit nicht nur systemisch gegen geltendes Recht verstoßen, sondern darüber hinaus in Kenntnis dieses Verstoßes im Zusammenwirken mit einem privaten Dienstleister ein System der Verschleierung und Täuschung aufgebaut, das nicht nur den Bürger, sondern vorliegend auch die Gerichte über Jahre hin getäuscht hat. Durch das Vorspiegeln polizeilicher Beweiserhebung und Beweisermittlung habe das AG hier auch fälschlich die für polizeiliche Zeugen prozessual möglichen Regelungen zur Anwendung gebracht. Das Gericht habe die besondere „Glaubwürdigkeit“ des „polizeilichen Zeugen“ und die „Glaubhaftigkeit“ seiner Angaben, da er kein eigenes Interesse an der Verfolgung hat, dargelegt. Diese Annahme beruhe auf einer Täuschung, sodass das angefochtene Urteil des AG daher keinen Bestand haben kann. Da der hier vorgeworfenen Parkverstoß möglicherweise auch auf rechtsstaatliche Weise bewiesen werden könnte, dieser Aufwand aber außer Verhältnis zum behaupteten Verstoß steht, verweist der Senat das Verfahren nicht zur Neuverhandlung zurück, sondern stellt das Verfahren ein.

III. Bedeutung für die Praxis

Eine klare Ansage des OLG Frankfurt im Anschluss an seine o.g. Entscheidungen (gegenteilige Haltung auch zum AÜG jüngst beim BayObLG, Beschl. v. 29.10.2019, s.o., S. 18 [abl.Deutscher]), zugleich eine heftige Abreibung für die Stadt und das hessische Innenministerium, das diese Praxis wohl gedeckt hat. Gerade (aber nicht nur) in Hessen scheint bei den Gemeinden weit verbreitet Geschäftstüchtigkeit vor Gesetzestreue zu gehen, gepaart mit gezielter Täuschung von Bürgern und Gerichten. Der Private in Polizeiuniform oder besser noch in deren leerer Hülle ist dabei die bisherige Spitze der Dreistigkeit, zumal bei Gerichten damit eine besondere Glaubwürdigkeit eines solchen Zeugen gezielt vorgetäuscht wird. In der Tagespresse hat der Beschluss für erhebliches Aufsehen auch mit Blick auf die möglichen Folgen für laufende Verfahren geführt (näher https://www.waz.de/leben/knoellchen-warum-dieses-urteil-grosse-folgen-haben-kann-id228197543.html). Ein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid sollte hier in einschlägigen Fällen zur Einstellung des Verfahrens führen. Einer Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Verfahren steht bei Parkverstößen aber § 85 Abs. 2 Nr. OWiG entgegen, wonach dies bei einer Geldbuße bis zu 250,00 EUR unzulässig ist.

RiAGDr. Axel Deutscher, Bochum

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