Beitrag

Zwangsweises Entsperren eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten

Der Versuch der Ermittlungsbehörden, Zugang zu den auf einem Mobiltelefon eines Beschuldigten gespeicherten Daten durch zwangsweises Auflegen von dessen Finger auf den Fingerabdrucksensor zu erlangen, ist von § 81b Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 94 ff. StPO als Ermächtigungsgrundlage jedenfalls dann gedeckt, wenn eine zuvor nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO richterlich angeordnete Durchsuchung gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dient und der beabsichtigte Datenzugriff trotz seiner Eingriffsintensität verhältnismäßig ist.

(Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 13.3.20252 StR 232/24

I. Sachverhalt

Zwangsweise Entsperrung des Mobiltelefons

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Herstellens und Besitzes kinderpornografischer Inhalte verurteilt. Bei einer aufgrund richterlich wegen des Verdachtes eines Verstoßes gegen das Berufsverbot gem. § 145c StGB angeordneten Durchsuchung, die u.a. dem Auffinden von Mobiltelefonen dienen sollte, fanden die Polizeibeamten zwei Mobiltelefone. Da der Angeklagte nicht bereit war, die Mobiltelefone freiwillig zu entsperren, ordnete ein Polizeibeamter an, dass der rechte Zeigefinger des Angeklagten durch unmittelbaren Zwang auf den Fingerabdrucksensor der Mobiltelefone gelegt werden solle, um die Sperre aufzuheben. Die Maßnahme wurde entsprechend der Anordnung umgesetzt. Bei der nachfolgenden Auswertung der sichergestellten Mobiltelefone des Angeklagten wurde jenes kinderpornografische Material gefunden, welches später zur Verurteilung führte. Am ersten Hauptverhandlungstag widersprach der Verteidiger des Angeklagten der Erhebung und Verwertung dieser Beweise. Der Vorsitzende ordnete die Inaugenscheinnahme der auf den Mobiltelefonen gefundenen Lichtbilder an. Diese Anordnung bestätigte die Strafkammer mit Beschluss. Die Lichtbilder wurden sodann in Augenschein genommen. Die Strafkammer hat sie der Verurteilung des Angeklagten zugrunde gelegt. Die auf eine Verwertungsverbot gestützte Revision des Angeklagten blieb erfolglos.

II. Entscheidung

Ausgangspunkt

Die Rüge habe keinen Erfolg. Die Beweismittelgewinnung sei rechtmäßig gewesen. Dient das zwangsweise Entsperren eines Mobiltelefons den Strafverfolgungsbehörden dazu, für die Zwecke strafrechtlicher Ermittlungen Zugang zu den auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten zu erlangen, sei der Anwendungsbereich der RL 2016/680/EU eröffnet (EuGH NVwZ 2025, 321, 323 Rn 77). Ein Versuch, Zugang zu auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten zu erlangen, sei als „Verarbeitung“ dieser Daten i.S.d. Richtlinie einzustufen. Bei einer Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen polizeilicher Ermittlungen zur Ahndung einer Straftat – wie einem Versuch, auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten zuzugreifen – sei jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass sie einer anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung tatsächlich entspricht (EuGH a.a.O. Rn 86). Auch der Umstand, dass das zwangsweise Führen des Fingers auf den Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons, um Zugriff auf die darauf befindlichen Daten zu erlangen, eine Maßnahme von besonderer Eingriffsintensität ist, stehe ihrer Zulässigkeit nicht grundsätzlich entgegen. Die besondere Eingriffsintensität folge allerdings nicht schon aus dem Vorgang selbst. Die Maßnahme gehe nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht mit erheblichen Belastungen einher. Dass der Körper des Beschuldigten dadurch, dass sein Finger als „Schlüssel“ zur Entsperrung des Mobiltelefons verwendet wird, zum Mittel der Überführung werden kann, verletze auch nicht die Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten, da diese lediglich vor der aktiven Mitwirkung an der eigenen Überführung, nicht aber vor dem Dulden von Ermittlungsmaßnahmen schützt (BVerfGE 56, 37, 42; BGHSt 34, 39, 45 f.; BGHSt 49, 56, 57 f.). Der einwilligungslose Zugriff auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten stelle aber einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG) sowie in die auch von Art. 7 und 8 GRC (Europäische Grundrechtecharta) verbürgten Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens beziehungsweise auf Schutz personenbezogener Daten dar. Auch hieraus könne jedoch nicht gefolgert werden, das zwangsweise Entsperren mittels Fingerabdrucks bzw. das Auslesen der so erlangten Daten eines Mobiltelefons sei generell unzulässig.

§ 81b Abs. 1 StPO als Ermächtigungsgrundlage

Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die zwangsweise Entsperrung eines biometrisch gesperrten Mobiltelefons mit dem Finger der beschuldigten Person sei § 81b Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 94 ff. StPO (OLG Bremen NJW 2025, 847 = StRR 6/2025, 24, in dieser Ausgabe [Deutscher]; LG Ravensburg NStZ 2023, 446 = StRR 5/2023, 26 [Deutscher]). Den dies ablehnenden Stimmen in der Literatur (Tillmann, NStZ 2023, 447; Horter, NStZ 2023, 447 f.), die einwenden, eine solche Maßnahme sei mit den in § 81b Abs. 1 StPO ausdrücklich genannten und vom Gesetzgeber in den Blick genommenen Maßnahmen nicht vergleichbar, die hier gegebene Eingriffsintensität erfordere eine speziellere Ermächtigungsgrundlage, vermöge der Senat nicht zu folgen. Das Auflegen des Fingers eines Beschuldigten auf den Sensor des Mobiltelefons sei vom Wortlaut des § 81b Abs. 1 StPO umfasst. Es könne dahinstehen, ob das Führen des Fingers auf den Sensor des Mobiltelefons bereits eine Aufnahme von Fingerabdrücken i.S.d. § 81b Abs. 1 StPO darstellt. Die Maßnahme erweise sich nämlich jedenfalls als „ähnliche Maßnahme“ im Sinne der Norm. Hierzu zählten solche, die der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit eines Beschuldigten dienen (BGHSt 34, 39, 44 f.). Eine solche Feststellung äußerer, dauerhafter Körpermerkmale erfolge bei der Entsperrung eines Mobiltelefons mittels biometrischer Daten durch den Sensor des Smartphones. Denn dieser gleiche die Merkmale des Fingers mit jenen Merkmalen ab, die – gleich einem Schlüssel – im Gerätespeicher hinterlegt sind. Dass der Gesetzgeber Maßnahmen wie die hier in Rede stehende ersichtlich nicht im Blick hatte, vielmehr erkennungsdienstliche Zwecke im Vordergrund standen, stehe der Anwendung der Norm auf die Entsperrung eines Mobiltelefons mittels des Fingers eines Beschuldigten nicht entgegen. Auch nach seinem Sinn und Zweck sei § 81b Abs. 1 StPO nicht auf bestimmte erkennungsdienstliche Maßnahmen beschränkt. Vielmehr spreche die Norm in der ersten Alternative offen von der „Durchführung des Strafverfahrens“ als zulässigem Zweck. Damit seien auch solche Maßnahmen umfasst, die allgemein zum Beweis der Schuld oder Unschuld des Beschuldigten dienen. § 81b Abs. 1 StPO wolle durch die Aufnahme der „ähnlichen Maßnahmen“ in den Gesetzeswortlaut dem Gesetzesanwender einen weitreichenden, dem jeweiligen Stand der Technik im Rahmen neuer Entwicklungen angepassten Handlungsspielraum mit Blick auf die zulässigen Ermittlungsmöglichkeiten einräumen. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus der 2015 eingeführten gesetzlichen Überschrift des § 81b StPO. Der Zulässigkeit der zwangsweisen Entsperrung eines biometrisch gesperrten Mobiltelefons mit dem Finger der beschuldigten Person stehe auch nicht entgegen, dass § 81b Abs. 1 StPO weder auf bestimmte (schwere) Straftaten beschränkt ist noch den durch den Fingerabdruck ermöglichten Zugriff auf die Daten des Mobiltelefons erfasst, sondern nur zur Vornahme des eigentlichen Entsperrvorgangs des Mobiltelefons ermächtigt. Denn insoweit werde § 81b Abs. 1 StPO flankiert durch §§ 110 Abs. 1 und 3, 94 Abs. 1 und 2 StPO, die – wie bei nicht mit PIN oder Fingerabdrucksensor gesicherten Daten – ergänzende Rechtsgrundlage für die Auslesung des Mobiltelefons und die anschließende Sicherung der Daten sind. Es entspreche gefestigter Rechtsprechung, dass die auf Mobiltelefonen gespeicherten Daten gem. § 94 Abs. 1 StPO beschlagnahmefähig sind (BVerfGE 113, 29, 50 ff.). Die regelhaft vor der Beschlagnahme erfolgende Durchsicht der auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten könne im Einklang damit auf § 110 StPO gestützt werden (BVerfGE 115, 166, 198 f.). Dies habe in der Neufassung des § 110 Abs. 3 S. 1 StPO Bestätigung gefunden, die hinsichtlich der Zulässigkeit einer Durchsicht von elektronischen Speichermedien nur der Klarstellung diente (BT-Drucks 19/27654, S. 74). §§ 94 ff. StPO und §§ 102 ff. StPO genügten den verfassungsrechtlichen und den sich aus der RL 2016/680/EU ergebenden Anforderungen hinsichtlich der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten. Für den vom Datenzugriff Betroffenen sei hinreichend erkennbar, dass die §§ 94 ff. StPO die Sicherstellung und Beschlagnahme des Datenträgers und der hierauf gespeicherten Daten ermöglichen (BVerfGE 113, 29, 51).

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen seien nur zulässig, soweit dies zur Vorbereitung der anstehenden Entscheidungen im Hinblick auf die in Frage stehende Straftat nötig ist. Darüber hinaus sei der auf §§ 94 ff., 102 ff. StPO gestützte staatliche Zugriff auf Datenträger durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (BVerfGE 124, 43, 61 ff.). Die Schwere der Straftat, die Gegenstand der Ermittlungen ist, stelle dabei einen zentralen Parameter dar. Bestimmender Gesichtspunkt sei die potenzielle Beweisbedeutung der auf dem Mobiltelefon vermuteten Daten. In Betracht zu ziehen sei auch, ob die in Rede stehenden Straftaten mittels eines Mobiltelefons begangen oder angebahnt wurden. Denn wenn der Beschuldigte bewusst ein Medium als Tatmittel seiner strafbaren Handlung einsetzt, müsse er es eher hinnehmen, dass sich die Strafverfolgungsbehörden des darauf befindlichen Datenbestandes bedienen (BVerfG NJW 2006, 3197, 3198 Rn 17). Auch die RL 2016/680/EU fordere nicht, dass der Zugang zu auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten nur zur Bekämpfung bestimmter, schwerer Kriminalität zugelassen wird. Eine im Lichte der RL 2016/680/EU gebotene gesetzliche Eingriffsermächtigung (Gesetzesvorbehalt) werde den an sie zu stellenden Erfordernissen auch dann gerecht, wenn sie – wie nach dem aufgezeigten Regelungskonzept der deutschen StPO – die Begrenzung der Eingriffsbefugnisse einer aufgrund objektiv nachvollziehbarer Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden, gesetzlich verankerten Zweckbindung und Verhältnismäßigkeitsprüfung und deren gerichtlicher Überprüfung überantwortet (EuGH NVwZ 2025, 321, 325 Rn 102, 104). Dies werde durch eine nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO – bei hinreichendem Tatverdacht und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit – richterlich angeordnete Durchsuchung gewährleistet, die gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dient. Ausgehend hiervon sei das verfahrensgegenständliche Vorgehen der Polizeibeamten rechtlich nicht zu beanstanden. Dass der Durchsuchungsbeschluss nicht ausdrücklich eine Maßnahme nach § 81b Abs. 2 StPO vorsah, sei unschädlich. Denn mit der Entscheidung, dass die Durchsuchung dem Auffinden von Mobiltelefonen bzw. der auf diesen gespeicherten Daten dienen solle, habe der Ermittlungsrichter den Zugriff auf das Mobiltelefon gebilligt. Ob der Zugriff dann ohne Weiteres oder unter Aufhebung einer numerischen oder einer biometrischen Verschlüsselung erfolgen konnte bzw. auf welche Weise diese vorzunehmen war, sei nicht von entscheidender Relevanz. Die Maßnahme sei hier auch verhältnismäßig gewesen.

Ohnehin kein Beweisverwertungsverbot

Ohnehin ergäbe sich aus der zwangsweisen Entsperrung kein Beweisverwertungsverbot. Dem Strafverfahrensrecht sei ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehe, fremd. Hiervon ausgehend wären die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Lichtbilder auch dann verwertbar, wenn §§ 81b Abs. 1, 94 ff. StPO zu Maßnahmen wie der hier in Rede stehenden nicht ermächtigen würde. Für die Durchsicht des Mobiltelefons und die spätere Beschlagnahme der Dateien sei mit §§ 110 Abs. 1 und 3, 94 StPO eine gesetzliche Grundlage vorhanden. Ein schwerwiegender, bewusster oder objektiv willkürlicher Rechtsverstoß sei nicht zu besorgen (BGH NStZ-RR 2024, 124), zumal Instanzrechtsprechung und Literatur die vorgenommene Maßnahme als ohne Weiteres von § 81b Abs. 1 StPO gedeckt angesehen hatten (s.o.).

III. Bedeutung für die Praxis

Richtungsweisend

Der außergewöhnlich umfangreiche und mit besonderer Begründungstiefe versehene Beschluss ist hier nur stark verkürzt dargestellt worden, Eigenlektüre ist empfohlen. Mit der für BGHSt vorgesehenen, richtungsweisenden Entscheidung bestätigt der 2. Senat die einschlägige Rechtsprechung von OLG Bremen und LG Ravensburg. Im Kern ist dem nichts hinzuzufügen (s. näher Deutscher a.a.O. in den Besprechungen der beiden Entscheidungen). Bedauerlich ist allerdings das obiter dictum zur apodiktischen Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots, was sich etwa in Fällen auswirken kann, in denen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme anders als hier fraglich ist.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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