1. Entgangene Nutzungsmöglichkeiten sind nach dem StrEG grundsätzlich erstattungsfähig, wenn der Betroffene auf die Nutzung des Gegenstandes für die eigene Lebensführung in dem Sinne angewiesen ist, dass die ständige Verfügbarkeit des Gegenstandes erforderlich ist. Nach den heutigen Lebensumständen zählen insbesondere Tablets/Computer bzw. internetfähige Mobiltelefone zu den Gegenständen, auf die der Betroffene für die eigenwirtschaftliche Nutzung typischerweise angewiesen ist.
2. Zur (verneinten) Erforderlichkeit der Beiziehung eines Rechtsanwalts für einen ausländischen Beschuldigten im Entschädigungsverfahren.
(Leitsätze des Verfassers)
I. Sachverhalt
In dem gegen den Antragsteller wegen des Verdachts des Missbrauchs von Ausweispapieren geführten Ermittlungsverfahren wurde durch Beschluss des AG die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen des Antragstellers angeordnet. Bei der daraufhin am 10.11.2021 erfolgten Durchsuchung wurde u.a. ein iPhone inklusive Ladekabel sichergestellt. Die Rückgabe an den Antragsteller erfolgte am 24.1.2023.
Der Antragsteller macht nun Ansprüche nach dem StrEG geltend. Das Ermittlungsverfahren ist mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20.12.2022 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Durch Beschluss des AG vom 22.2.2023 wurde festgestellt, dass der Antragsteller für den durch die Strafverfolgungsmaßnahme der am 10.11.2021 erfolgten Durchsuchung seiner Wohnung und die am 10.11.2021 erfolgte und bis zum 20.12.2022 andauernde Beschlagnahme erlittenen Schaden dem Grunde nach aus der Staatskasse zu entschädigen ist. Die StrEG-Grundentscheidung ist seit 14.3.2023 rechtskräftig. Die Belehrung gemäß § 10 Abs. 1 StrEG vom 12.5.2023 wurde dem Antragsteller am 22.5.2023 zugestellt.
Der Antragsteller hat die Erstattung der Kosten für den Nutzungsausfall aufgrund des beschlagnahmten Mobiltelefons in Höhe von 3.797,31 EUR sowie Rechtsanwaltskosten im Ermittlungsverfahren in Höhe von 453,87 EUR beantragt. Diese Kosten sind (nur) teilweise festgesetzt worden.
II. Entscheidung
Grundsätzlich seien die Durchsuchung und die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme entschädigungsfähige Maßnahmen i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG. Eine Entschädigung stehe dem Antragsteller gemäß § 7 StrEG jedoch nur insoweit zu, als ihm tatsächlich finanzielle Mehraufwendungen oder sonstige wirtschaftliche Nachteile entstanden sind (BGHZ 65, 170, 172).
1. Nutzungsausfall für das beschlagnahmte/sichergestellte Mobiltelefon
Grund des Anspruchs
Nach der den Umfang des Entschädigungsanspruchs regelnden Vorschrift des § 7 StrEG sei jeder durch die Strafverfolgungsmaßnahme in zurechenbarer Weise verursachte Vermögensschaden zu ersetzen. Der Begriff und Umfang des Vermögensschadens sei nach den §§ 249 ff. BGB zu bestimmen, soweit sich aus dem Sinn des StrEG nicht ausdrücklich Abweichungen ergeben (Meyer, StrEG-Kommentar, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn 5, 11). Demnach sei ein Vermögensschaden jede in Geld bewertbare Einbuße, die der Berechtigte an seinem Vermögen oder an seinen sonstigen rechtlich geschützten Gütern erleidet und durch die ihm tatsächliche wirtschaftliche Nachteile entstanden sind (BGHZ 65, 170, 172). Den Eintritt des Schadens sowie sämtliche Tatsachen, die die haftungsausfüllende Kausalität begründen, habe der Berechtigte darzulegen und nachzuweisen. Insoweit gelten die Darlegungs- und Beweispflichten des Zivil- und Zivilverfahrensrechts (Meyer, a.a.O., § 7 Rn 55, 57; BGHZ 103, 113).
Der Antragsteller mache eine Entschädigung für die Beschlagnahme des Mobiltelefons iPhone 7 im Umfang von 407 Tagen x 9,33 EUR, mithin in Höhe von 3.797,31 EUR geltend. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung sei eine Orientierung am marktüblichen Mietpreis vergleichbarer Geräte geboten. Entgangene Nutzungsmöglichkeiten seien nach dem StrEG grundsätzlich erstattungsfähig, wenn der Betroffene auf die Nutzung des Gegenstandes für die eigene Lebensführung in dem Sinne angewiesen sei, dass die ständige Verfügbarkeit des Gegenstandes erforderlich ist. Nach den heutigen Lebensumständen zählen insbesondere Tablets/Computer bzw. internetfähige Mobiltelefone zu den Gegenständen, auf die der Betroffene für die eigenwirtschaftliche Nutzung typischerweise angewiesen ist (Meyer, a.a.O., § 7 Rn 30). Das sei demnach bei dem im Ermittlungsverfahren beschlagnahmten Mobiltelefon iPhone 7 der Fall. Nach den heutigen Lebensumständen sei die Nutzung eines internetfähigen Smartphones wesentlicher Bestandteil der eigenwirtschaftlichen Lebenshaltung. Zudem sei der Ermittlungsakte nicht zu entnehmen, dass dem Antragsteller im entschädigungspflichtigen Zeitraum ein internetfähiges Zweitgerät zur Verfügung gestanden habe. Der Entschädigungsanspruch sei daher grundsätzlich gegeben.
Höhe des Anspruchs
Der vom Antragsteller zugrunde gelegte Sicherstellungszeitraum könne jedoch nicht vollumfänglich anerkannt werden. Ausweislich der Akten sei die Beschlagnahme des Mobiltelefons am 10.11.2021 und die Rückgabe am 20.12.2022 erfolgt. Der laut der StrEG-Grundentscheidung des AG vom 22.2.2022 festgelegte Beschlagnahmezeitraum umfasse den Zeitraum vom 10.11.2021 bis 20.12.2022, mithin 406 Tage. Hinsichtlich der Höhe der vom Antragsteller angenommenen Entschädigungspauschale von 9,33 EUR/Tag sei nach einem Urteil des LG Stuttgart vom 26.5.2009 (LG Stuttgart, Beschl. v. 26.5.2009 – 15 0 306/08, NStZ-RR 2010, 128 [Ls.]) ein Abschlag für den im Mietpreis enthaltenen –nicht erstattungsfähigen – Gewinn der Vermieter in Ansatz zu bringen. Mangels vorliegender Zahlen zu den konkreten Gewinnspannen der Vermieter erscheine ein Abschlag von fast 20 % auf 7 EUR/Tag als angemessen. Der Antragsteller ist demnach nur wie folgt zu entschädigen: 406 Tage x 7 EUR/Tag = 2.842,00 EUR. Darüber hinaus ist der Anspruch zurückzuweisen.
2. Rechtsanwaltskosten im Entschädigungsverfahren
Rechtsanwaltskosten im Entschädigungsverfahren
Die Erstattung der Kosten für die anwaltliche Inanspruchnahme im Entschädigungsverfahren in Höhe von 453,87 EUR ist abgelehnt worden.
Soweit sich der Antragsteller im Entschädigungsverfahren der Hilfe eines Rechtsanwalts bedient, seien die Kosten hierfür Teil des angemeldeten Schadens, sofern die anwaltliche Inanspruchnahme notwendig sei (Meyer, a.a.O., § 7 Rn 17). Die Ersatzfähigkeit sei vorliegend nicht gegeben, da es dem Antragsteller objektiv ohne Weiteres zumutbar gewesen sei, die beantragte Entschädigung ohne anwaltliche Hilfe selbst einzufordern. Der Antrag betreffe lediglich eine Schadensposition, nämlich den zu behandelnden Nutzungsausfall zu einem elektronischen Gerät, hier Mobiltelefon. Der zugrunde zu legende Zeitraum hinsichtlich der Dauer des Nutzungsausfalls könne der StrEG-Grundentscheidung des AG vom 22.2.2023 entnommen werden. Eine Recherche zu den aktuellen Mietpreisen eines iPhone 7 sei ebenfalls zumutbar, bedürfe jedenfalls nicht der Hilfe eines Rechtsanwalts. Zwar sei dem Berechtigten im Zusammenhang mit der Wohnungsdurchsuchung ein Dolmetscher für die arabische Sprache zur Seite gestellt worden, sodass anzunehmen sei, dass der Antragsteller der deutschen Sprache in Wort und Schrift nicht ausreichend mächtig sei. Indes habe unter Hinweis auf die nachfolgenden Ausführungen gleichwohl keine Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung der Ansprüche zu beauftragen, bestanden, wenngleich seinerzeit die StrEG-Grundentscheidung nicht übersetzt worden ist.
Die Notwendigkeit zur Beauftragung des Bevollmächtigten des Antragstellers ergebe sich auch nicht, wenn der Antragsteller der deutschen Sprache in Wort und Schrift nicht ausreichend mächtig sei. Den Anforderungen des § 187 Abs. 2 GVG und dem Gebot des fairen Verfahrens werde bei einem verteidigten Angeklagten, der der deutschen Sprache nicht mächtig sei, regelmäßig dadurch genügt, dass ihm die mündliche Urteilsbegründung durch einen Dolmetscher übersetzt werde und er die Möglichkeit habe, das abgesetzte schriftliche Urteil zusammen mit seinem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich in diesem Zusammenhang auch das Urteil zumindest auszugsweise übersetzen zu lassen. Einer schriftlichen Übersetzung des vollständigen Urteils bedürfe es dann nicht (OLG Hamm, Beschl. v. 11.3.2014 – 2 Ws 40/14). Nichts anderes kann dann gelten, wenn – wie vorliegend – das Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei. Denn mit Bekanntgabe des Beschlusses des AG vom 22.2.2023 an den Verteidiger wäre es dem Antragsteller objektiv möglich gewesen, die StrEG-Grundentscheidung zusammen mit einem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich in diesem Zusammenhang auch zumindest auszugsweise übersetzen zu lassen. Weiterhin hätte der Antragsteller den einfach gelagerten Entschädigungsantrag auch in seiner Muttersprache stellen können. Die Übersetzung des Antrags wäre sodann von der Staatsanwaltschaft oder der entscheidenden Justizverwaltungsbehörde veranlasst worden. Die Hinzuziehung des Rechtsanwalts durch den Antragsteller sei daher nicht notwendig gewesen. Mit der anwaltlichen Beauftragung habe der Antragsteller somit gegen seine auch im StrEG ausnahmslos geltende Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB; Meyer, a.a.O., § 7 Rn 51; BGH VersR 1975, 257, 258) verstoßen, indem er sich für einen einfach gelagerten Antrag der Hilfe eines Rechtsanwalts bedient habe.
III. Bedeutung für die Praxis
M.E. kann man gegen die Entscheidung Bedenken erheben.
1. Nutzungsausfall für das beschlagnahmte/sichergestellte Mobiltelefon
Nutzungsausfall für das beschlagnahmte/sichergestellte Mobiltelefon
Zu folgen ist der GStA, soweit grundsätzlich Nutzungsausfall für die Beschlagnahme/Sicherstellung des Mobiltelefons gewährt wird. Internetfähige Geräte, wie z.B. ein Smartphone, gehören heute sicherlich zu den Gegenständen des alltäglichen Lebens, bei denen die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit einen ersatzfähigen Schaden darstellt. Allerdings habe ich Bedenken, wenn sich die GStA auf eine LG-Entscheidung aus dem Jahr 2009, die also 15 Jahre alt ist, bezieht und den im Hinblick auf die „Vermieterspanne“ erforderlichen Abschlag mal eben auf 20 % schätzt. Ich habe erhebliche Zweifel, ob die Spanne tatsächlich so hoch ist. M.E. hätte die GStA hier bei „Vermietern“ nachfragen müssen, wenn es denn überhaupt „Vermieter“ von Mobiltelefonen gibt (vgl. zu allem auch OLG München StRR 2010, 425 m. Anm. Burhoff und Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, Rn 1055).
2. Rechtsanwaltskosten
Rechtsanwaltskosten
Ganz erhebliche Bedenken habe ich gegen die Ablehnung der Erstattung der Rechtsanwaltskosten. Dazu muss man festhalten: Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen der deutschen Sprache nicht mächtigen – arabisch sprechenden – Ausländer. Von dem verlangt die GStA, dass er seine Entschädigungsansprüche ggf. selbst oder (nur) unter Zuhilfenahme eines Dolmetsches geltend macht. Der nicht der deutschen Sprache mächtige Ausländer soll sich also allein auf dem Gebiet der strafverfahrensrechtlichen Entschädigung bewegen, einem Gebiet, mit dem sich ggf. selbst Rechtsanwälte schwertun. Zudem ist die GStA an der Stelle auch widersprüchlich, wenn sie davon ausgeht, dass „es dem Antragsteller objektiv möglich gewesen [wäre], die StrEG-Grundentscheidung zusammen mit einem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen“. Wieso „zusammen mit einem Verteidiger“, wenn dessen Hinzuziehung doch nicht erforderlich gewesen sein soll? Meint die GStA ggf., dass der Verteidiger ohne Vergütung tätig werden soll/muss? Wohl kaum. Auch greift der Hinweis auf die Entscheidung des OLG Hamm, Beschl. v. 11.3.2014 – 2 Ws 40/14 zu kurz. Denn die Frage, ob und welche Aktenbestandteile dem Beschuldigten übersetzt werden müssen, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (wegen der Einzelheiten Burhoff, a.a.O., Rn 4616 m.w.N.). Die GStA hätte sich mit den abweichenden Auffassungen auseinandersetzen müssen. Sie macht es sich zu einfach, wenn sie sie noch nicht einmal erwähnt. Schließlich verfängt der Einwand der GStA, der Antragsteller hätte den Antrag auch in seiner Muttersprache stellen können, m.E. nicht. Gerichtssprache ist nun mal nach § 184 GVG deutsch.
3. Rechtsbehelf
Rechtsbehelf
Was könnte der Antragsteller gegen die für ihn nachteilige Entscheidung nun noch tun? Ihm bleibt jetzt im Betragsverfahren nur noch die Klage. Eröffnet ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten. Die Klage ist gemäß § 13 StrEG innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Entscheidung der GStA ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes beim zuständigen LG zu erheben (zum Verfahren Schütz, StV 2008, 52; Kotz, StRR 2010, 244 ff.; Kotz, in: Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil I Rn 449 ff.; zur ordnungsgemäßen Klageerhebung BGH NJW 2016, 2747 [keine bloße Bezugnahme auf die Akten des Betragsverfahrens]; KG JurBüro 2015, 545; OLG Hamm, Urt. v. 29.1.2021 – 11 U 41/20, AGS 2021, 284). Die Frist wird durch einen innerhalb der Ausschlussfrist eingereichten PKH-Antrag gewahrt (OLG München OLGR München 2007, 284; OLG Schleswig SchlHA 2000, 68).