1. Die Frist zur Anbringung von Beweisanträgen nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO kann ohne Begründung gesetzt werden.
2. Zum Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO.
3. Stellt ein Verfahrensbeteiligter nach Fristablauf einen Beweisantrag, sind mit diesem sämtliche Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, welche die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben (§ 244 Abs. 6 S. 5 StPO).
(Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Beweisanträge nach Ablauf der gesetzten Frist
Der Vorsitzende der Strafkammer setzte am 11. Hauptverhandlungstag den Verfahrensbeteiligten eine Frist bis 11.7.2022, Beweisanträge zu stellen. Diese Anordnung wurde auf Initiative der Verteidigung mehrfach verlängert. Am 15. Hauptverhandlungstag, an dem diese Frist ablief, beantragte der Verteidiger des Angeklagten Y, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die Strafkammer lehnte den Antrag am 4.10.2022 (16. Hauptverhandlungstag) ab. Nach Ablauf der vom Vorsitzenden gesetzten Frist stellte der Verteidiger des Angeklagten Y am 17. Hauptverhandlungstag drei Beweisanträge. Am folgenden Sitzungstag gab der Vorsitzende bekannt, dass die Strafkammer diese Anträge erst im Urteil bescheiden werde. Dies beanstandete der Verteidiger des Angeklagten Y. Die Strafkammer wies die Beanstandung zurück und lehnte die Anträge in den schriftlichen Urteilsgründen wegen Bedeutungslosigkeit ab. Die Revisionen der Angeklagten blieben hinsichtlich dieses Verfahrensgeschehens erfolglos.
II. Entscheidung
Keine Begründung der Fristsetzung erforderlich
Das LG habe durch die Bescheidung der drei nach Fristablauf gestellten Anträge in den Urteilsgründen § 244 Abs. 6 S. 1 StPO nicht verletzt. Der Vorsitzende habe die Frist nach § 244 Abs. 6 wirksam gesetzt. Hierfür sei der konkrete Verdacht einer Verschleppungsabsicht nicht erforderlich. Der Senat schließe sich der Ansicht und Begründung des 3. Strafsenats an (BGH StraFo 2024, 105 = StRR 3/2024, 17 [Burhoff]). Der Beschwerdeführer beanstande zudem ohne Erfolg, dass der Vorsitzende seine Anordnung nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO nicht begründet hat. Bei der Fristbestimmung nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO handele es sich um eine Prozesshandlung des Vorsitzenden in Ausübung seiner Sachleitungsbefugnis (§ 238 Abs. 1 StPO), für die weder Gesetzeswortlaut noch systematische Erwägungen eine Begründung verlangen. Anderes folge auch nicht aus § 34 StPO, weil die Anordnung nicht mit einem Rechtsmittel anfechtbar ist. Schließlich ergebe die Entstehungsgeschichte der Norm keine Anhaltspunkte für eine Begründungspflicht (wird ausgeführt). Diese Auslegung korrespondiere mit der Tatsache, dass die Fristbestimmung an keine begründungsbedürftigen prozessualen Voraussetzungen oder Anlässe, etwa Anhaltspunkte für Verfahrensverschleppung, geknüpft ist. Schließlich seien Ausführungen dazu, dass im Zeitpunkt der Anordnung die von Amts wegen vorgesehenen Beweiserhebungen abgeschlossen sind, ebenfalls nicht veranlasst. Denn die Fristsetzung sei erst ab diesem Verfahrensstand möglich. Mit ihr komme stets zugleich zum Ausdruck, dass aus Sicht des Vorsitzenden der Amtsaufklärungspflicht genügt worden ist. Dies entspreche im Übrigen den für sitzungsleitende Anordnungen allgemein geltenden rechtlichen Maßgaben (§ 238 Abs. 1 StPO). Bei diesen werden Vorsitzenden vielfach Freiräume in der Gestaltung zugebilligt (BGHSt 42, 73), deren Nutzung im Interesse einer straffen Durchführung der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht schriftlich zu begründen ist. Vor diesem Hintergrund sei eine Begründung auch aus Fairnessgründen nicht geboten. Die Verfahrensbeteiligten könnten mittels des Zwischenrechtsbehelfs gemäß § 238 Abs. 2 StPO jederzeit eine gerichtliche Überprüfung erwirken, die im Falle der Bestätigung der Anordnung zu begründen ist. Anders als etwa bei der Zurückweisung von Fragen nach § 241 StPO könne sich insbesondere der verteidigte Angeklagte bei § 244 Abs. 6 S. 3 StPO überdies auch ohne Begründung auf die neue Prozesslage einstellen. Aus denselben Erwägungen müsse schließlich auch die Dauer der bestimmten Frist regelmäßig nicht begründet werden. Dies gelte erst recht, wenn sich diese erkennbar an der Frist des § 217 StPO oder aber, im Ausnahmefall, an der gesetzlichen Höchstdauer einer Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO orientiert.
Abschluss der vorgesehenen Beweisaufnahme
Es bedürfe keiner Entscheidung, ob die von Amts wegen vorgesehene Beweisaufnahme (vgl. § 244 Abs. 6 S. 3 StPO) im Zeitpunkt der Fristbestimmung abgeschlossen war, weil dies nicht beanstandet wurde. Unabhängig davon könnte der Senat der überwiegenden Ansicht im Schrifttum nicht beitreten, die dafür auch die Bescheidung sämtlicher gestellter Beweisanträge als notwendig ansieht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 244 Rn 95b; Mosbacher, NStZ 2018, 9, 10). Bereits der Gesetzeswortlaut gebe Anlass zu einer zumindest differenzierten Sichtweise. Anders als bei § 258 Abs. 1 StPO sei nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO der Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme maßgeblich. Damit sei gesetzlich ein tragfähiger Anhalt dafür gegeben, hierfür allein den durch § 244 Abs. 2 StPO verlangten gerichtlichen Beweis zu verstehen. Verdeutlicht werde dies überdies durch das Partizip „vorgesehen“; hierdurch wird die Erledigung des durch den Vorsitzenden bereits zu Beginn des Hauptverfahrens geplanten und strukturierten (BGHSt 66, 96, 99 = StRR 10/2021, 17 [Hillenbrand]) oder aber in späterer Prozesslage modifizierten Beweisprogramms (BGH StraFo 2024, 105 = StRR 3/2024, 17 [Burhoff]) in Bezug genommen. Dieses restriktive Begriffsverständnis werde durch das Ergebnis einer gesetzessystematischen Betrachtung bestätigt. Im Anschluss an § 243 StPO regele § 244 Abs. 1 StPO den weiteren Ablauf der Hauptverhandlung, in der das Gericht – in den Grenzen des § 244 Abs. 2 StPO – mit den zulässigen Beweismitteln des Strengbeweises die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung schafft. Hingegen behandele § 244 Abs. 3 bis 5 StPO, auf welche Art und Weise und in welchem Umfang die Verfahrensbeteiligten auf das gerichtliche Beweisprogramm Einfluss nehmen und einen geltend gemachten Beweiserhebungsanspruch durchsetzen können. Der noch nicht beschiedene oder abgelehnte Antrag selbst sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht Teil der Beweisaufnahme. Für dieses Verständnis der Norm sprächen auch ihr Sinn und Zweck. Bei der teleologischen Auslegung sei zu berücksichtigen, dass die Fristsetzung nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO dem Tatgericht ermöglichen soll, nach Durchführung der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme den Abschluss des Verfahrens zügig herbeizuführen. Dieser Zweck würde konterkariert, wenn die Verfahrensbeteiligten die Fristbestimmung durch sukzessives Anbringen von Beweisanträgen vereiteln könnten (BGH StraFo 2024, 105 = StRR 3/2024, 17 [Burhoff]).
Fristgerechte Antragstellung nicht unmöglich
Das LG ist schließlich auch ohne Rechtsfehler zu der Auffassung gelangt, dass eine fristgerechte Antragstellung nicht gemäß § 244 Abs. 6 S. 4 Hs. 2 StPO unmöglich war. Stellt ein Verfahrensbeteiligter nach Fristablauf einen Beweisantrag, seien mit diesem die Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, welche die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben (§ 244 Abs. 6 S. 5 StPO). Dem werde der in den Beweisanträgen enthaltene Tatsachenvortrag nicht gerecht (wird ausgeführt). Im Übrigen sei die hiesige Konstellation auch mit einem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme (BVerfG StV 2020, 805 Ls.; BGHSt 66, 96, 99 = StRR 10/2021, 17 [Hillenbrand]) nicht vergleichbar. Die Strafkammer habe mit ihrem Ablehnungsbeschluss nach § 244 Abs. 6 S. 1 StPO lediglich eine durch Prozesserklärung der Beschwerdeführer erwirkte Entscheidung getroffen. Der durch den fristgerecht gestellten Antrag ausgelösten Begründungspflicht (§ 244 Abs. 6 S. 1 StPO) habe die Strafkammer entsprochen, nicht aber dadurch die Frist nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO nachträglich teilweise desavouiert. Dem vom Beschwerdeführer im Kern geltend gemachten Anspruch auf die Fortführung des „formalisierten Dialogs“ stehe die wirksam gesetzte Frist des Vorsitzenden gerade entgegen (BGHSt a.a.O., Rn 16).
Kein unfaires Verfahren
Durch dieses Ergebnis werde der Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren nicht verletzt (zu etwaigen Bedenken BVerfG a.a.O.). Den Verfahrensbeteiligten werde durch die Fristsetzung nach § 244 Abs. 6 S. 3 StPO die Möglichkeit nicht genommen, Beweisanträge zu stellen, über die das Gericht befinden muss. Beschränkt werde allein der Anspruch, etwaige Ablehnungsgründe noch vor Abschluss der Beweisaufnahme zu erfahren. Vor dieser Begrenzung erhielten die Beteiligten angesichts der Fristsetzung Gelegenheit, in der Hauptverhandlung zu bescheidende Beweisanträge zu stellen. Machen sie hiervon nicht Gebrauch, liege dies in ihrem Verantwortungsbereich. Ergibt sich allerdings aus erneuten Beweiserhebungen oder gerichtlichen Hinweisen nach Fristablauf das Bedürfnis weiterer Beweisanträge, sei gewährleistet, dass darüber wie sonst auch noch während der Hauptverhandlung befunden wird (BGHSt a.a.O. Rn 23; BGVH NStZ-RR 2022, 344).
III. Bedeutung für die Praxis
Grundgerüst für die Praxis
Der zu Leitsatz 1 für BGHSt vorgesehene Beschluss ist im Kontext mit dem kurz zuvor ergangenen Beschluss (StraFo 2024, 105 = StRR 3/2024, 17 [Burhoff]) zu betrachten. Dort hat der 3. Senat geurteilt, dass für die Fristsetzung keine Absicht der Prozessverschleppung vorliegen muss. Nunmehr hat der 6. Senat erklärt, dass die Fristsetzung als solche sowie auch im Grundsatz die Dauer der Frist keine Begründung erfordern. Zusammen mit den Darlegungen zum Abschluss der vorgesehenen Beweisaufnahme und zur Unmöglichkeit fristgerechter Antragstellung bilden beide Entscheidungen ein Grundgerüst für die praktische Handhabung durch Gerichte und Verteidiger dieser erst im Jahr 2017 eingeführten Möglichkeit zur Zurückweisung von Beweisanträgen.