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Kein Widerruf eines mehrstufigen Anwaltsvertrages

Handelt es sich bei einem Anwaltsvertrag um einen mehrstufigen Vertrag, bei dessen Abschluss nicht ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet wurden, kann dieser Vertrag nicht nach den Regeln über Fernabsatzverträge widerrufen werden.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Mannheim, Urt. v. 23.6.202317 C 1517/23

I. Sachverhalt

Klage und Widerklage

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von restlichem Anwaltshonorar für die strafrechtliche Verteidigung der Tochter der Beklagten. Die Beklagte macht mit der Widerklage die Rückzahlung eines Vorschusses geltend.

Telefonischer Auftrag, nach Akteneinsicht ggf. ein Pauschalhonorar

Am 5. oder 6.9.2022 wurde der Kläger von der Beklagten telefonisch mit der Verteidigung ihrer minderjährigen Tochter in einem Ermittlungsverfahren beauftragt. Hierzu wurde unter anderem ein Stundenhonorar in Höhe von 300 EUR zzgl. 19 % MwSt. vereinbart. Ferner wurde vereinbart, dass der Beklagten nach Akteneinsicht ein Pauschalhonorar angeboten werde und sie einen Vorschuss von 892,50 EUR brutto zu zahlen habe. Dieser wurde auch ausgeglichen.

Nachdem Akteneinsicht gewährt und der Arbeitsaufwand abgeschätzt werden konnte, wurde mit der Beklagten am 16.12.2022 in den Kanzleiräumlichkeiten des Klägers eine Pauschalhonorarvereinbarung für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren über 1.700 EUR zzgl. 19 % MwSt. und Auslagen getroffen. Rechengrundlage für die Höhe des Pauschalhonorars war das zuvor vereinbarte Stundenhonorar. Unter Berücksichtigung des Aktenumfangs (255 Seiten), der administrativen Tätigkeiten, der notwendigen Abstimmung mit Kollegen (mehrere Beschuldigte), der ausführlichen Besprechung mit der Beklagten und deren Tochter sowie des Aufwands für die Erstellung der Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft wurde ein Gesamtaufwand zwischen fünf und sieben Stunden geschätzt.

Mit Schreiben vom 17.12.2022 wurde der Beklagten die Abrechnung übersandt. Nach Abzug des bereits geleisteten Vorschusses verblieb ein Rechnungsbetrag in Höhe von 1.168,58 EUR. Dieser Restbetrag war bis spätestens zum 30.12.2022 auszugleichen, da bis zum 6.1.2023 die Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft hätte abgegeben werden müssen. Nachdem die Zahlungsfrist ohne Zahlungsausgleich verstrich, wurde das Mandat vom Kläger mit Schreiben vom 6.1.2023 niedergelegt.

Kläger stützt sich auf Vergütungsvereinbarung

Der Kläger hat sich im Verfahren zur Begründung seiner (Rest-)Forderung auf die in seinen Kanzleiräumlichkeiten geschlossene Vergütungsvereinbarung vom 16.12.2022 gestützt. Es liege – so der Kläger – ein gestreckter bzw. mehrstufiger Vertragsschluss vor, der nicht ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden sei. Die eigentliche Beratung in der Sache sei erst an diesem Tag im Rahmen des persönlichen Gesprächs erfolgt. Schließlich liege bei ihm kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vor.

Beklagte wendet Fernabsatz ein

Die Beklagte hatte sich demgegenüber darauf berufen, dass sie, nachdem der Rechtsberatungsvertrag unter ausschließlicher Nutzung von Fernkommunikationsmitteln mit der Beklagten als Verbraucherin geschlossen worden sei, ein Fernabsatzwiderrufsrecht habe. Sie hätte zudem auch belehrt werden müssen, was hier noch nicht der Fall sei, sodass die Widerrufsfrist frühestens nach einem Jahr und 14 Tagen ablaufe. Dementsprechend widerrufe sie sämtliche auf Abschluss eines Rechtsberatungsvertrages gerichtete Willenserklärungen. Danach habe der Kläger auch den bezahlten Vorschuss zurückzugewähren. Ein späterer persönlicher Kontakt, eine spätere nochmalige Beauftragung und Ähnliches heile den ursprünglichen Verstoß nicht. Der Kläger sei tätig geworden, habe Vorschuss gefordert und Akteneinsicht genommen. Es habe sich gerade nicht um eine bloße Voranfrage oder Terminsanfrage gehandelt. Hätte sie vor dem ersten persönlichen Treffen vom Vertrag Abstand genommen, hätte der Kläger sicherlich auf einem Vertragsschluss bestanden und den entstandenen Arbeitsaufwand abgerechnet.

Klage stattgegeben; Widerklage abgewiesen

Das AG hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Nach seiner Auffassung stellt der zwischen den Parteien zustande gekommene Anwaltsvertrag einen mehrstufigen Vertrag dar, bei dem nicht ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet wurden. Damit habe die Beklagte den Vertrag nicht nach den Regeln über Fernabsatzverträge widerrufen können.

II. Entscheidung

Mehrstufiger Anwaltsvertrag

Zwar sei der als Mandatsvertrag bezeichnete Anwaltsvertrag vom 5.9.2022 zwischen den Parteien zunächst unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln gemäß § 312c BGB zustande gekommen. Das Erstgespräch habe telefonisch stattgefunden und die Vollmacht vom 6.9.2022 sowie der unterzeichnete Mandatsvertrag vom 5.9.2022 seien per E-Mail versandt worden.

Allerdings sei die „ergänzende Vergütungsvereinbarung“ vom 13.12.2022 bei persönlicher Anwesenheit beider Parteien in den Kanzleiräumlichkeiten des Klägers unterzeichnet worden. Diese Vergütungsvereinbarung ist nach Auffassung des AG kein eigenständiger Vertrag, sondern als Teil des Anwaltsvertrags vom 5.9.2022 zu qualifizieren. Dies ergebe sich bereits aus der Bezeichnung als „ergänzende Vergütungsvereinbarung“ sowie aus dem Einleitungssatz, wonach sie „in Ergänzung des Mandatsvertrags mitsamt Vergütungsvereinbarung vom 5.9.2022“ vereinbart worden sei. Der Kläger habe zudem nachvollziehbar vorgetragen, dass die Rechengrundlage für die Höhe des Pauschalhonorars in der ergänzenden Vergütungsvereinbarung das zuvor vereinbarte Stundenhonorar gewesen sei. Außerdem werde bereits im Mandatsvertrag vereinbart, dass nach erfolgter Akteneinsicht dem Auftraggeber – also der Beklagten – ein Pauschalhonorar angeboten werde. Gegen die Annahme eines eigenständigen Vertrags spreche auch, dass die „ergänzende Vergütungsvereinbarung“ nicht alle essentialia negotii enthalte. So fehle insbesondere der Auftragsgegenstand, welcher lediglich im Mandatsvertrag bezeichnet werde.

Somit sei der Anwaltsvertrag in seiner Gesamtheit, d.h. unter Berücksichtigung der dazugehörigen Pauschalvergütungsvereinbarung, nicht unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden. Denn die hinsichtlich des Pauschalhonorars seitens der Beklagten abgegebene Willenserklärung sei in Form einer Unterschrift im Rahmen eines persönlichen Kontakts in den Kanzleiräumlichkeiten des Klägers erfolgt.

Schließlich spreche auch das Gesamtbild des streitgegenständlichen Anwaltsvertrags nicht für die Annahme eines einheitlichen Fernabsatzvertrags. Denn die Konkretisierung der vertraglichen Leistung sei im Rahmen eines persönlichen Gesprächs am 16.12.2022 erfolgt. Dementsprechend sei die Konkretisierung der Leistung und ggf. die gesamte Leistungserbringung gerade nicht fernkommunikativ erfolgt – wie etwa im Rahmen einer Rechtsberatung über eine „Anwalts-Hotline“ (MüKo-BGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312c Rn 17).

Keine eigenständigen Verträge

Der Vortrag der Beklagten überzeugte das AG nicht. Sie meine, der spätere Abschluss einer Vergütungsvereinbarung ändere nichts daran, dass die ursprüngliche Beauftragung unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erfolgt sei und sie insoweit nicht belehrt worden sei. In diesem Fall wären zwar die ursprüngliche Beauftragung in Form des Anwaltsvertrags und die spätere Vergütungsvereinbarung zwei voneinander zu unterscheidende eigenständige Verträge. Danach könnte dann zwar der Anwaltsvertrag als Fernabsatzvertrag widerrufen werden, die später geschlossene Vergütungsvereinbarung bliebe jedoch als eigenständiger Vertrag bestehen und diene dem Kläger weiter als Rechtsgrundlage für seine Forderung. Dementsprechend bleibe die Beklagte die Beantwortung der Frage, was bei Zugrundelegung ihrer Auffassung mit der Vergütungsvereinbarung passiert, die unstreitig nicht unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden sei, schuldig.

Im Ergebnis sei die „ergänzende Vergütungsvereinbarung“ entweder ein Teil des Anwaltsvertrags, der dann nicht ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden sei und dann nicht widerrufen werden könne, oder sie sei eine eigenständige Vereinbarung, die bei Widerruf des Anwaltsvertrags wirksam bleibe und den Kläger berechtige, das vereinbarte Pauschalhonorar zu fordern. Das Gericht bevorzuge die erste Auffassung. Letztlich kämen jedoch beide zum gleichen Ergebnis, dass der Kläger einen Anspruch auf das vereinbarte Pauschalhonorar abzüglich des bereits geleisteten Vorschusses besitzt.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

1. Bei dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt handelt es sich sicherlich um eine Konstellation, die in der Praxis nicht so selten ist. Die daraus entstehenden Fragen hat das AG überzeugend gelöst. Denn es ist davon ausgegangen, dass sich die Parteien am 5.9.2022 über die Vergütungsfrage gerade noch nicht abschließend geeinigt hatten, da die Vereinbarung eines Pauschalhonorars noch vorbehalten blieb. Damit liegt kein einheitlich unter Fernabsatzmitteln geschlossener Vertrag mit der Widerrufsmöglichkeit nach den Regeln des Fernabsatzrechts vor. Geht man hingegen von der der Ansicht der Beklagten – also Vertragsschluss am 5.9.2022 – aus, dann ist die Vergütungsvereinbarung ein davon unabhängiger Vertrag, der dann auch eigenen Regeln folgt, und zwar nicht auch denen des Fernabsatzrechts. Ein Widerruf scheidet dann aus. Letztlich hat das AG Recht: Die Zahlungsverpflichtung der Beklagten bestand auf jeden Fall.

Geltung der Regeln des Fernabsatzes

2. Wegen der Geltung der Regeln des Fernabsatzes verweise ich auf Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2433 f.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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