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Entziehung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter

1. Für Führer eines als Elektrokleinstfahrzeug einzuordnenden E-Scooters kann zur Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit jedenfalls der für Fahrradfahrer geltende BAK-Grenzwert herangezogen werden.

2. Die Nutzung eines solchen E-Scooters an sich kann weder ein Absehen von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründen noch ist sie stets als mildernder Umstand für die Annahme eines Ausnahmefalles von dieser zu werten. Ob ausnahmsweise von der Regelvermutung abzusehen ist, hängt jeweils von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Braunschweig, Urt. v. 30.11.20231 ORs 33/23

I. Sachverhalt

E-Scooter mit 1,83 Promille geführt

Das AG hat den Angeklagten wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt und daneben ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten angeordnet. Der Angeklagte befuhr am Tattag gegen 00:15 Uhr spontan mit einem Miet-E-Scooter eine öffentliche Straße. Bei dem verwendeten E-Scooter handelte es sich um ein Elektrokleinstfahrzeug nach § 1 eKFV. Diesen nutzte der Angeklagte, um schneller bei einem Freund anzukommen, den er besuchen wollte. Der Angeklagte wurde nach ca. vier Minuten und einem Kilometer Fahrt kontrolliert. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte eine BAK von 1,83 Promille. Die Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Bestimmung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis lehnte das AG ab. Die auf Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der StA war erfolgreich.

II. Entscheidung

Absolute Fahruntüchtigkeit

Der Senat brauche nicht zu entscheiden, ob auch für Führer eines als Elektrokleinstfahrzeug einzuordnenden E-Scooters der für Kfz-Führer geltende Grenzwert von 1,1 Promille für die Begründung der absoluten Fahruntüchtigkeit heranzuziehen ist (dafür BayObLG VRR 10/2020, 15 = StRR 1/2021, 35 [jew. Deutscher;], offengelassen von BGH NStZ 2021, 608 = VRR 7/2021, 18 = StRR 9/2021, 23 [jew. Burhoff]). Dies könne der Senat vorliegend dahinstehen lassen, weil der Angeklagte sogar den für Fahrradfahrer geltenden Grenzwert für die Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit überschritten hat. Die beim Führen eines E-Scooters geforderte psycho-physische Leistungsfähigkeit sowie die von einem alkoholisierten Zustand eines E-Scooter-Führers für andere Verkehrsteilnehmer ausgehende Gefahr seien mit denen von Führern von Fahrrädern mindestens gleichzustellen. Das folge auch aus der Begründung der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr und zur Änderung weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (eKFV). Danach ähnelten Elektrokleinstfahrzeuge in ihren Fahreigenschaften und ihrer Verkehrswahrnehmung sowie einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h bis 20 km/h am stärksten denen des Fahrrads, weshalb für diese Elektrokleinstfahrzeuge verkehrs- und verhaltensrechtlich die Regelungen über Fahrräder mit Maßgabe besonderer Vorschriften gelten sollen (BR-Drucks 158/19, S. 23 und 38). Für ähnliche Fahreigenschaften sprächen die jeweilige Ausstattung mit zwei Rädern sowie einer Lenkstange (wird weiter ausgeführt). Für Fahrradfahrer habe der BGH den Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit auf 1,7 Promille festgelegt (BGHSt 34, 133 = NJW 1986, 2650). In der nachfolgenden obergerichtlichen Rechtsprechung werde dieser Grenzwert wegen eines nach neueren Erkenntnissen nur noch mit 0,1 Promille zu bemessenden Sicherheitszuschlags nunmehr weit überwiegend ab 1,6 Promille angenommen.

Entziehung der Fahrerlaubnis

Die Begründung, mit der das AG trotz Vorliegens eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB und der Bestimmung einer Sperre gemäß § 69a StGB abgesehen hat, halte rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kfz anzusehen, wenn die rechtswidrige Tat i.S.d. § 69 Abs. 1 StGB wie hier ein Vergehen der Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB ist. Ein Absehen von der in solchen Fällen indizierten Regelvermutung komme nur bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht und sei auf seltene Ausnahmen beschränkt, was auch für die Nutzung von E-Scootern bei einer Tat nach § 316 StGB gelte (OLG Frankfurt NJW 2023, 2441 = VRR 7/2023, 25 = StRR 7/2023, 28 [jew. Deutscher]). Die Nutzung eines E-Scooters als Kfz i.S.d. § 1 Abs. 2 StVG an sich könne ein Absehen von der Regelvermutung nicht begründen. Denn es handele sich hier um einen Umstand, der den Regelfall gerade begründet. Der Gesetzgeber habe für E-Scooter keine Ausnahmeregelung geschaffen. Die Nutzung eines E-Scooters zur Verwirklichung einer Straftat der Trunkenheit im Verkehr könne nicht stets als mildernder Umstand bewertet werden. Ob ausnahmsweise von der Regelvermutung abzusehen ist, hänge jeweils von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab, nicht aber von dem genutzten Kfz, das den Regelfall erst begründet. Für die Begründung eines Ausnahmefalles könne nicht darauf abgestellt werden, dass der Angeklagte lediglich eine kurze Fahrstrecke zurückgelegt hat. Zwar sei es im Ausgangspunkt zutreffend, dass es gegen die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB sprechen kann, wenn ein alkoholbedingt fahruntauglicher Täter sein Fahrzeug lediglich eine kurze Strecke bewegt. Bei einer Fahrdauer von ca. vier Minuten bzw. einer Fahrstrecke von ungefähr einem Kilometer handele es sich nicht mehr um eine kurze Strecke oder Fahrdauer. Rechtsfehlerhaft unbeachtet habe das AG bei seiner Bewertung schließlich das Motiv des Angeklagten für die Fahrt gelassen. Dieser wollte einen Freund besuchen und nutzte den E-Scooter, um schneller voranzukommen, was – anders als z.B. in der Fallkonstellation des Umparkens des Pkw zur Beseitigung eines verkehrswidrigen Zustandes – kein anerkennenswertes Motiv darstellt.

III. Bedeutung für die Praxis

Keine neuen Erkenntnisse

Man könnte meinen, das OLG Braunschweig sei unterbeschäftigt. Der Senat erörtert breit die hier bedeutungslose Frage des Grenzwerts für die absolute Fahruntüchtigkeit bei E-Scootern, zumal es Minimalkonsens ist, dass jedenfalls der hier überschrittene Grenzwert für Radfahrer gilt. Der BGH hat sich zu dieser Frage noch nicht abschließend geäußert (NStZ 2021, 608 = VRR 7/2021, 18 = StRR 9/2021, 23 [jew. Burhoff]; NStZ-RR 2023, 222 = NZV 2023, 418 m. Anm. Kerkmann = zfs 2023, 407 = VRR 7/2023, 21 = StRR 6/2023, 22 [jew. Niehaus]). Wichtiger, allerdings auch nicht neu, sind die Ausführungen zum Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Wie bereits das OLG Frankfurt a.a.O. lehnt auch das OLG Braunschweig die Annahme eines Ausnahmefalls ab. Diese Ansicht scheint sich bei den Obergerichten zu verfestigen, während die Tatgerichte hier großzügiger sind (Nachweise bei Deutscher, StRR 8/2023, 6, 10 f.; VRR 10/2023, 5, 10 f.).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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