Beitrag

Faustschlag eines Amateurboxers

1. Erforderlich, aber auch genügend ist für die „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangene gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet ist, das Leben zu gefährden.

2. Zwar können grundsätzlich auch mit Hand oder Faust in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers geführte Schläge eine das Leben gefährdende Behandlung sein. Dies setzt jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu dem Grundtatbestand deutlich erhöhen.

3. Da die nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangene Körperverletzung „mittels“ einer das Leben gefährdenden Behandlung erfolgen muss, darf der Körperverletzungserfolg nicht erst als mittelbare Folge der gefährlichen Behandlung eingetreten sein. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB liegt daher nicht vor, wenn nicht die Körperverletzungshandlung selbst lebensbedrohlich ist, sondern erst eine durch diese ausgelöste Gefahr.

(Leitsätze des Gerichts)

KG, Urt. v. 1.6.20233 ORs 24-25/23 – 161 Ss 56/23

I. Sachverhalt

Schlag eines Amateurboxers

Das AG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG diesen nur wegen (einfacher vorsätzlicher) Körperverletzung verurteilt. Vom Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs hat sich die Strafkammer nicht überzeugen können. In den Urteilsgründen heißt es: „Als der Angeklagte kurz darauf auf Höhe des – sodann links von ihm befindlichen – Zeugen pp. angekommen war, versetzte er diesem in einer schnellen Drehung seines Oberkörpers mit der rechten Faust einen kräftigen Schlag gegen den linken Unterkiefer, wobei er seine als Amateurboxer erworbenen Erfahrungen und Fertigkeiten nutzte. Infolge der Schlagwirkung ging der Zeuge pp. zu Boden. Es ist nicht auszuschließen, dass er dabei mit seinem Kopf im Bereich des linken Unterkiefers auf eine am Boden liegende Metallhantelscheibe seines Trainingsgeräts aufschlug. Er versuchte, umgehend aufzustehen und seinerseits den Angeklagten anzugreifen, wozu er jedoch nicht mehr in der Lage war, weil er aufgrund eines erlittenen Bruchs des linken Unterkiefers im Bereich des Kieferwinkels mit sofort eingetretenen starken Blutungen im Mundinnenraum, in deren Folge er 500 bis 600 mg Blut verlor, sich an seinem Blut verschluckte und nicht mehr aufstehen konnte. Es war nicht festzustellen, dass der Angeklagte den Geschädigten bei dem Schlag etwa anstatt mit der Faust mit einer Hantelscheibe – diese etwa in ein Handtuch gewickelt – getroffen hätte. Zudem war nicht auszuschließen, dass die Fraktur des Kiefers nicht bereits durch die Krafteinwirkung des Schlags des Angeklagten, sondern erst durch ein Auftreffen des Kopfs des Geschädigten auf dem Boden, etwa auf einer dort liegenden Hantelscheibe, entstanden ist.“

Hiergegen richten sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Beide Revisionen bleiben ohne Erfolg.

II. Entscheidung

Revision der StA unbegründet

Die Revision der Staatsanwaltschaft sei unbegründet. Denn das Urteil zeige keinen zugunsten des Angeklagten begangenen sachlich-rechtlichen Fehler. Die Urteilsfeststellungen würden eine Verurteilung nach § 223 Abs. 1 StGB, nicht aber eine solche nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB tragen

„Eine das Leben gefährdende Behandlung“

§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setze voraus, dass die Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen wird. Erforderlich, aber auch genügend sei hierfür, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet sei, das Leben zu gefährden (sog. Eignungsdelikt, vgl. BGH NStZ 2013, 345; BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5 Lebensgefährdung 1; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 224 Rn 12 m.w.N.). Dabei sei vor allem die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 2013, 345; BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 1). Einer konkreten Gefährdung bedürfe es nicht. Erst recht müsse sich die Gefahr nicht realisiert haben, sodass zwischen einer Ex-post-Betrachtung des Handlungserfolgs und einer Ex-ante-Betrachtung der Handlung zu unterscheiden sei (vgl. zu allem Fischer, a.a.O., § 224 Rn 27 m.w.N.). Es komme immer auf die Gefährlichkeit der Handlung an, nicht auf diejenige einer tatsächlich eingetretenen Verletzung (vgl. BGH StV 1988, 65; NStZ 2012, 345). Zwar können grundsätzlich auch mit Hand oder Faust in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers geführte Schläge eine das Leben gefährdende Behandlung in diesem Sinne sein. Dies setze jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen“ Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöhen. Die Rechtsprechung habe dies etwa angenommen bei mehreren wuchtigen Faustschlägen gegen den Kopf eines neun Wochen alten Säuglings (BGH, Beschl. v. 6.6.2007 – 2 StR 105/07), bei massiven Schlägen gegen den Kopf des (alkoholisierten) Tatopfers (BGH NStZ 2005, 156) sowie bei zahlreichen Schlägen in das Gesicht und gegen den Kopf einer an einer Hauswand fixierten Geschädigten, die zu längerer Bewusstlosigkeit und schweren Verletzungen führten (OLG Köln NJW 1983, 2274). Für nicht verwirklicht habe die Rechtsprechung hingegen einen „mit großer Wucht“ versetzten Faustschlag in das Gesicht bewertet, als dessen Folge der Geschädigte einen Bruch von Jochbein und Kiefer erlitt und zwei Zähne verlor, weshalb er dreimal operiert werden musste, mehrere Tage nicht sprechen konnte und zwei Monate nur flüssige Nahrung aufnehmen konnte (vgl. BGH, Beschl. v. 1.12.2022 – 3 StR 471/21).

Urteilsfeststellungen

Die Urteilsfeststellungen belegen nach Auffassung des KG solche eine Gefahr für das Leben des Opfers potentiell begründenden Umstände nicht. Dass es „individuelle Besonderheiten beim Tatopfer“ gegeben hätte, die „das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer ‚einfachen‘ Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöht“ hätten (vgl. BGH, Beschl. v. 6.6.2007 – 2 StR 105/07), habe die Strafkammer nicht festgestellt. Das Urteil lege eher nahe, dass der Geschädigte, der Krafttraining betrieb und sich nach dem Schlag wieder aufrichten wollte, um „seinerseits den Angeklagten anzugreifen“, über eine stabile Konstitution verfügte. Der medizinische Sachverständige habe ausdrücklich bekundet, bei dem „betroffenen Kiefer“ sei „alles normal, auch die Knochendichte“.

Auch die in der Urteilsurkunde festgestellten „Umstände in der Tatausführung“ ließen – so das KG – das Gefahrenpotential der Tathandlung im Vergleich zu einer „einfachen“ Körperverletzung nicht als deutlich erhöht erscheinen. Danach habe der Angeklagte, der vor seiner Inhaftierung im Amateurbereich Boxsport betrieb, einen „kräftigen Schlag“ gegen den „linken Unterkiefer“ des Geschädigten geführt und zwar „in einer schnellen Drehung seines Oberkörpers mit der rechten Faust“, wobei er „seine als Amateurboxer erworbenen Erfahrungen und Fertigkeiten“ nutzte.

Diese Feststellungen belegen nach Ansicht des KG keine gegenüber § 223 StGB signifikant erhöhte und das Merkmal der lebensgefährdenden Behandlung erfüllende Gefährlichkeit der Tathandlung. Zwar lasse sich den Feststellungen entnehmen, dass der Schlag angesichts der „schnellen Drehung“ des Oberkörpers für den Geschädigten überraschend gekommen sein muss und dass er auch „kräftig“ war. Das LG habe es aber bei dem Adjektiv „kräftig“ belassen und dieses z.B. nicht mit den Steigerungsadverbien „sehr“, „äußerst“, „außerordentlich“, „enorm“ oder „überaus“ ergänzt. Von „voller Wucht“ o.Ä. ist keine Rede. Ausdrücklich ist auch festgestellt worden, dass es sich um einen und nicht um mehrere Schläge gehandelt hat. Bei der Bewertung der Schlagintensität ist zwar in Rechnung zu stellen, dass der Schlag dazu führte, dass der Kontrahent zu Boden ging. Dieser Umstand lasse einen gewissen, aber keinen präzisen Rückschluss auf die Härte des Schlags zu. Gewiss würde ein nur mit einer Ohrfeige vergleichbarer Schlag nicht zu einem Niedergehen führen; andererseits kann der Sturz auch einer Ausweichbewegung o.Ä. geschuldet gewesen sein, ohne dass dies zwingend Eingang in die Urteilsfeststellungen hätte finden können oder müssen.

Blutverlust

Schließlich ließen auch die festgestellten Verletzungen mit einem Blutverlust von immerhin „500 bis 600 mg“ aus dem „Mundinnenraum“ und einer Fraktur des linken Unterkiefers im Bereich des Kieferwinkels keinen Rückschluss auf eine im Vergleich zu einer „einfachen“ Körperverletzung deutlich erhöhte Gefährlichkeit zu. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass es für § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB immer auf die Gefährlichkeit der Handlung ankommt, nicht auf diejenige einer tatsächlich eingetretenen Verletzung (vgl. BGH StV 1988, 65; NStZ 2012, 345). Dieser Umstand erlange hier ausschlaggebende Bedeutung, weil die Strafkammer nicht ausschließen konnte, dass „die Fraktur des Kiefers nicht bereits durch die Krafteinwirkung des Schlags des Angeklagten, sondern erst durch ein Auftreffen des Kopfs des Geschädigten auf dem Boden, etwa auf einer dort liegenden Hantelscheibe“, entstanden sei. Ebendies sei hier zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass nämlich nicht der Schlag (unmittelbar) die Verletzungen hervorgerufen hat, sondern erst der Aufprall auf dem Boden, wo ein harter Gegenstand, z.B. eine Hantelscheibe, gelegen haben könnte.

Vorbringen der Revision

Indem die Revision geltend mache, es sei „sicher zu erwarten gewesen“, dass der Geschädigte „mit seinem Kopf auf einen harten Gegenstand … prallt“, entferne sie sich von den bindend getroffenen Feststellungen. Als fraglich müsse schon die Annahme gelten, dass der Sturz sicher zu erwarten gewesen sei, erst recht aber, dass der Aufprall auf einen harten Gegenstand mit Sicherheit erfolgen würde. Die Strafkammer habe hierzu und namentlich zu den Zuständen im Sportraum zwar zunächst keine näheren Feststellungen getroffen, allerdings bei der Beweiswürdigung mitgeteilt, wie die Zeugin pp. die Einrichtung beschrieben hat; in diesem Zusammenhang werde auch wirksam auf Lichtbilder verwiesen. Diese zeigen jedenfalls keine Situation, die, wie die Revisionsführerin meine, einen Sturz auf eine Hantelscheibe oder einen anderen „harten Gegenstand“ sicher erwarten ließe. Der Sportraum wirke im Gegenteil ausgesprochen aufgeräumt; auf dem Boden liegt eine Langhantelstange, sonst nichts. Die Annahmen der revidierenden Staatsanwaltschaft seien damit bereits in tatsächlicher Hinsicht als urteilsfremd anzusehen. Allerdings könnten sie auch rechtlich nicht tragen. Denn nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB müsse die Körperverletzung „mittels“ einer das Leben gefährdenden Behandlung geschehen. Dies bedeute, dass der Körperverletzungs-Erfolg nicht erst als mittelbare Folge der gefährlichen Behandlung eingetreten sein dürfe (vgl. BGH NZV 2006, 483; NStZ 2007, 34; Fischer, a.a.O., § 224 Rn 28 m.w.N.). § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB liege daher nicht vor, wenn nicht die Körperverletzungshandlung selbst lebensbedrohlich ist, sondern erst eine durch diese ausgelöste Gefahr (vgl. BGH NStZ 2007, 34 [Stoßen auf Autobahn]).

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

Die Entscheidung ist zutreffend. Sie wertet die zu § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung aus und kommt zum richtigen Ergebnis, dass es sich „nur“ um eine einfache Körperverletzung gehandelt hat.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…