Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht besonders hoch zu veranschlagen ist.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Angeklagte nennt polizeiliches Vorgehen rassistisch und „racial profiling“
Das AG hat die Angeklagte wegen Beleidigung verurteilt. Der Angeklagte fielen Polizeibeamte auf, die Polizeikontrollen durchführten und insbesondere eine Person festnehmen wollten, die dann flüchtete. Die Angeklagte bemerkte, dass die Polizeibeamten vor allem dunkelhäutige Personen kontrollierten. Ohne den Grund dafür, nämlich einen Konzepteinsatz gegen Drogenhändler aus einer bestimmten Gruppierung, zu kennen und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen aufgrund ihrer ebenfalls dunklen Hautfarbe empfand sie dies als ein einseitig und damit ungerechtfertigt gegen dunkelhäutige Personen gerichtetes polizeiliches Vorgehen. Sie sprach die beiden Polizeibeamten an, warum sie nicht auch „Lisa“ und „Peter“ kontrollierten, sondern nur „Schwarze“. Obwohl die beiden Beamten versuchten, ihr die Maßnahmen zu erklären, gab sich die Angeklagte mit den Erklärungen nicht zufrieden und bezeichnete das Vorgehen der Beamten wiederholt und mit zunehmender Lautstärke als rassistisch und als „racial profiling“. Nicht festzustellen war, ob die Angeklagte die Polizeibeamten auch als Rassisten bezeichnete. Die Polizeibeamten empfanden die Äußerung als ungerechtfertigte, von vielen umstehenden Personen wahrzunehmende Unterstellung, sie seien in der Durchführung ihrer Arbeit an einer Geringschätzung einer bestimmten Ethnie orientiert, und fühlten sich hierdurch in ihrer Ehre verletzt. Auf die Berufung der Angeklagten hat das LG sie freigesprochen.
II. Entscheidung
Wahrnehmung berechtigter Interessen
Der Begriff „Rassist“ bezeichne eine Person, die eine andere Person aufgrund ihrer Herkunft oder Ethnie geringschätzt und sich ihr gegenüber aus diesem Grund anders verhält als gegenüber anderen Personen. Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich nach den Umständen um eine Tatsachenbehauptung handele oder um ein Werturteil. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Schwerpunkt der Äußerung in der Kundgabe einer ehrverletzenden Meinung liege, bleibe die Äußerung unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB straflos. Die Angeklagte habe von ihrem verfassungsmäßig garantierten Recht aus Art. 5 GG auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Sie habe ihre Äußerung im Zusammenhang mit den polizeilichen Maßnahmen getätigt, die vor allem dunkelhäutige Menschen betrafen, und habe diese ersichtlich kritisieren wollen. Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht besonders hoch zu veranschlagen sei. Die Meinungsfreiheit erlaube es insbesondere nicht, den Betroffenen auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen. Teil dieser Freiheit sei, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (std. Rspr. des BVerfG NJW 2017, 2606; NJW 2019, 2600).
Persönlichkeitsrecht der Polizeibeamten tritt hinter Meinungsfreiheit zurück
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit finde seine Grenzen in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere in den Grundrechten der von der Äußerung Betroffenen. Bei der Abwägung der Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Polizeibeamten aus Art. 2 GG sei Erstere höher zu gewichten, trotz der Äußerung im öffentlichen Raum. Die Angeklagte habe über die Behauptung rassistischen Vorgehens hinaus keine ehrverletzenden Äußerungen getätigt, sondern nur dieses postuliert. Auch wenn sich die Polizeibeamten hierdurch in ihrer Ehre verletzt fühlten, sei ihnen aufgrund der faktisch mächtigen Position der Amtsträger zuzumuten, zu erkennen, dass sich in einer solchen — wenn auch im Einzelfall unberechtigten und emotional geäußerten — Kritik weniger eine Ehrverletzung ihrer Person als vielmehr eine gewisse Hilflosigkeit und Betroffenheit äußert, die durch die schwierigen Umstände von Migranten entstehe, die sich mit Amtsträgern oft nicht adäquat auseinandersetzen können, und von dunkelhäutigen Personen, die sich in ihrem Alltag häufig mit Diskriminierung konfrontiert sehen.
III. Bedeutung für die Praxis
Nicht recht überzeugend
Das Urteil entspricht sicher dem Zeitgeist. So recht zu überzeugen vermag es nicht. Schon der methodische Ansatz ist fragwürdig, denn die Angeklagte hat die Beamten eben nicht als Rassisten bezeichnet, sondern das Verhalten (Polizeikontrolle) als rassistisch und racial profiling. Das spricht mehr für eine Tatsachenbehauptung. Auch ergibt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG, dass im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen der Meinungsfreiheit ein hoher Stellenwert zukommt (hierzu m. Nw. Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 193 Rn 17a ff. zur Kritik Rn 25 ff.). Die vom LG genannten Entscheidungen des BVerfG passen in zweierlei Hinsicht aber nicht auf den vorliegenden Sachverhalt. Zum einen ging es dort um Äußerungen von Rechtsanwälten in laufenden Gerichtsverfahren (NJW 2017, 2606: „Musikantenstadel“; NJW 2019, 2600: Verhandlungsführung erinnere „stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“). Zum anderen erfolgten die Erklärungen dort von Verfahrensbeteiligten, während die Angeklagte hier von der Polizeikontrolle nicht betroffen war und sich lediglich aufgrund ihrer eigenen Hautfarbe durch das polizeiliche Vorgehen getriggert fühlte. Hätten sich hier die von der Kontrolle betroffenen Personen entsprechend geäußert, wäre dem LG sicher uneingeschränkt zuzustimmen. Zudem war ihr der jedenfalls nach dem mitgeteilten Sachverhalt nachvollziehbare Hintergrund der Maßnahme erläutert worden, sodass es sich eben nicht um ein willkürliches racial profiling gehandelt hat. Ob Polizeibeamte ihren Ehrenschutz in einer solchen Konstellation hinter der Meinungsfreiheit Unbeteiligter zurückstellen müssen, die sich nur subjektiv betroffen fühlen wie hier, erscheint mir zweifelhaft.
RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum