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Vernehmungsterminsgebühr; Begriff der Vernehmung; Höhe der Gebühr

1. Unter dem Begriff der Vernehmung i.S.d. Nr. 4102 VV RVG ist eine Befragung zu verstehen, bei der der Vernehmende beim Vernommenen in offizieller Funktion Auskunft sucht beziehungsweise diesen anhört. Es ist nicht eine förmlich anberaumte Vernehmung erforderlich. Ein aktives Verhandeln ist seitens des anwesenden Verteidigers für das Entstehen der Gebühr nicht erforderlich.

2. Hinsichtlich der Höhe der Vernehmungsterminsgebühr ist maßgeblich auf die Dauer der Vernehmung abzustellen.

(Leitsätze des Verfassers)

LG Leipzig, Beschl. v. 6.1.20235 Qs 66/22

I. Sachverhalt

„Äußerung“ bei einem Polizeieinsatz

Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Nötigung. Im Rahmen der Ermittlungen fand am 7.11.2019 ein Polizeieinsatz am Tatort in Leipzig statt, in dessen Rahmen der Angeklagte mit seinem Wahlverteidiger erschien, sich u.a. auswies und sich nach entsprechender polizeilicher Belehrung nicht zu dem ihm vorgeworfenen Sachverhalt äußern wollte.

AG erstattet Vernehmungsterminsgebühr nicht

Der Angeklagte ist vom AG vom Vorwurf der Nötigung rechtskräftig freigesprochen worden. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Im Rahmen der Kostenfestsetzung hat der Angeklagte auch die Erstattung einer Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 Nr. 2 VV RVG in Höhe von 245 EUR beantragt. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Die Gebühr sei nicht entstanden, da keine Vernehmung des Angeklagten durch die Polizei, sondern lediglich eine Identitätsfeststellung stattgefunden habe. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Begriff der Vernehmung in Nr. 4102 VV RVG

Nach Auffassung des LG ist für die Teilnahme des Rechtsanwalts an dem Termin am 7.11.2019 dem Grunde nach eine Gebühr gemäß Nr. 4102 Ziff. 2 VV RVG entstanden. Nach dieser Vorschrift entstehe eine Terminsgebühr – „in Höhe von 44 EUR bis 330 EUR“ – für die Teilnahme des Wahlverteidigers an Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder eine andere Strafverfolgungsbehörde. Nach dem insoweit geltenden formellen Vernehmungsbegriff der StPO seien unter einer Vernehmung sämtliche Befragungen zu verstehen, bei denen der Vernehmende beim Vernommenen in offizieller Funktion Auskunft suche bzw. diesen anhöre (MüKo-StPO/Schuhr, vor § 133 StPO Rn 36; KK/Weingarten, StPO, 9. Aufl. 2023, § 163a StPO Rn 2a, u.a. unter Verweis auf BGH NJW 2018, 1986). Ein enger gefasster Begriff, der etwa nur förmlich anberaumte Vernehmungen als solche bezeichnet, würde insbesondere den Anwendungsbereich der gesetzlich geregelten Belehrungspflichten sinnwidrig verkürzen (Schuhr, a.a.O.). Ein aktives Verhandeln sei seitens des anwesenden Verteidigers für das Entstehen der Gebühr nicht erforderlich (Toussaint/Felix, 52. Aufl. 2022, RVG VV 4102 Rn 10).

Anhand dieser Maßstäbe sei davon auszugehen, dass bei dem Polizeieinsatz am 7.11.2019 über die bloße Identitätsfeststellung hinaus auch eine Befragung und damit eine Vernehmung des Angeklagten in Anwesenheit des Rechtsanwalts stattgefunden habe: Die Befragung und das Auskunftsverlangen richteten sich zunächst darauf, ob der in dem Wohnmobil durch die Polizei aufgefundene Hund dem Mandanten des Rechtsanwalts gehörte und darüber Rückschlüsse auf seine Identität gezogen werden können. Allerdings erfolgte dies erst, nachdem sich der Beschuldigte bereits ausgewiesen hatte, sodass dessen Identität bereits festgestellt worden war. Zudem sei jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht auszuschließen gewesen, dass die Frage, wer Besitzer des Hundes sei, auch für die Schuldfrage von Belang sein konnte. Aber auch unabhängig davon spreche für das Vorliegen einer Vernehmung im Sinne der StPO bereits, dass der Mandant des Rechtsanwalts durch die Polizei über sein Recht auf Aussagefreiheit belehrt worden sei. Offenbar sei die Polizei selbst der Annahme gewesen, eine formelle Vernehmung durchzuführen, da nur bei einer solchen die Pflicht zur Belehrung bestehe.

Höhe der Gebühr

Nach Auffassung des LG war allerdings der vom Rechtsanwalt insoweit geltend gemacht gemachte Betrag von 245 EUR unbillig hoch und damit nicht verbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Insoweit schließt sich das LG der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur an, wonach von der Unbilligkeit der Gebührenbestimmung durch einen Rechtsanwalt dann auszugehen sei, wenn die geltend gemachte Gebühr die als angemessen anzusehende Gebühr um mehr als 20 % übersteige (vgl. etwa BeckOK-RVG-/v. Seltmann, 58. Ed. 1.9.2021, RVG § 14 Rn 13).

Wesentliches – wenngleich nicht alleiniges – Kriterium für die Festsetzung der Terminsgebühr sei die zeitliche Dauer des Termins. Der Termin am 7.11.2019 habe nach einem Aktenvermerk der Polizei vom selben Tag lediglich rund 15 Minuten gedauert (vgl. insoweit: „Gegen 10:30 Uhr erschien RA pp. im Beisein …“; „Gegen 10:45 Uhr verließen die Beamten den Einsatzort“). Kriterien, die die weit unterdurchschnittliche Dauer des Termins kompensieren könnten, seien nicht ersichtlich, zumal auch der Umfang der Angelegenheit unterdurchschnittlich gewesen sei. Auch habe die Polizei dem Angeklagten – unter Zugrundelegung des Aktenvermerks vom 7.11.2019 – lediglich eine einzige Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund sei lediglich eine Gebühr in Höhe von 125 EUR angemessen, sodass die beantragte Gebühr in Höhe von 245 EUR selbst unter Beachtung eines Ermessenspielraums von 20 % als zu hoch und damit unbillig erscheine.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist m.E. zutreffend (zur Nr. 4102 VV RVG eingehend Burhoff, AGS 2022, 241).

Zutreffend zum Begriff der Vernehmung

1. Die Rechtsprechung hatte bisher zu der Frage, wann eine Vernehmung i.S.d. Nr. 4102 Ziff. 2 VV RVG vorliegt – die Frage stellt sich ggf. auch bei der Ziff. 1 –, noch nicht Stellung genommen. Die Entscheidung ist – soweit ersichtlich – die erste, die diese Frage behandelt. In der Literatur (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4102 VV Rn 21) ist man – wie auch das LG nun – davon ausgegangen, dass es sich um einen „Vernehmungstermin“ i.e.S. handeln muss und nicht bloß um eine informatorische Anhörung (zum Vernehmungsbegriff Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 4731 ff. m.w.N.). Zutreffend stellt das LG in dem Zusammenhang darauf ab, dass der Vernehmende in offizieller Funktion vom Vernommenen eine Auskunft erbittet bzw. diesen anhört. So wird der Begriff der „Vernehmung“ in der StPO verstanden und so kann und muss er auch im Rahmen der Nr. 4102 VV RVG verstanden werden.

Falscher Ansatz bei der Höhe der Gebühr …

2. Auch gegen die Höhe der Gebühr wird man nichts einwenden können. Allerdings ist der Ausgangpunkt für die landgerichtliche Bemessung falsch. Das LG geht – so ist m.E. die Entscheidung zu verstehen – von einem Gebührenrahmen von 44 EUR bis 330 EUR aus. Das ist aber der Gebührenrahmen, der nach neuem Recht nach dem KostRÄndG 2021 erst ab 1.1.2021 anzuwenden wäre. Anzuwenden dürfte hier aber altes Recht sein. Danach betrug der Gebührenrahmen nur 40 EUR bis 300 EUR, d.h. die Mittelgebühr der Nr. 4102 VV RVG betrug bis zum 31.1.2020 170 EUR.

… aber zutreffend

Auf der Grundlage sind nach dem mitgeteilten Sachverhalt m.E. keine Umstände erkennbar, die ein Überschreiten der Mittelgebühr von 170 EUR bis zu den geltend gemachten 245 EUR rechtfertigen würden. Der allgemeine Umfang der Angelegenheit, der auch bei der Terminsgebühr eine Rolle spielt, war nach den Ausführungen des LG unterdurchschnittlich. Geht man davon aus, dass bei Vernehmungen eine Terminsdauer von bis zu einer Stunde als normal/durchschnittlich anzusehen ist (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4102 VV Rn 64), ist das Unterschreiten der Mittelgebühr gerechtfertigt. Dabei darf nämlich auch nicht übersehen werden, dass nach der Anm. S. 2 zur Nr. 4102 VV RVG die Gebühr für bis zu drei Termine/Rechtszug anfällt. Hier hat es sich aber nur um einen Termin von 15 Minuten Dauer gehandelt.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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