Beitrag

Pauschgebühr und Synergieeffekt

Zur Berücksichtigung eines (ausbleibenden) „Synergieeffekts“ bei der Gewährung einer Pauschgebühr.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG München, Beschl. v. 27.9.20231 AR 263/23

I. Sachverhalt

Rechtsanwalt verteidigt im Wirtschaftsstrafverfahren

Der Rechtsanwalt war für den Angeklagten als Pflichtverteidiger bei der Wirtschaftsstrafkammer tätig. Nach Abschluss des Verfahrens hat er beantragt, anstelle der Gebühren gemäß Nr. 4100 VV RVG und Nr. 4118 VV RVG in Höhe von 524 EUR unter Anrechnung der insoweit ausbezahlten Pflichtverteidigervergütung eine Pauschvergütung in Höhe von 2.150 EUR zu bewilligen. Darüber hinaus wurden für den Antragsteller bereits Gebühren gemäß Nrn. 4120, 4122 VV RVG in Höhe von insgesamt 699 EUR festgesetzt und ausgezahlt. Die Bezirksrevisorin hat dem Antrag zugestimmt.

II. Entscheidung

Gewährung einer Pauschgebühr

Das OLG hat eine Pauschgebühr in Höhe von 2.849 EUR bewilligt. Eine Pauschgebühr sei gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 RVG auf Antrag zu bewilligen, wenn die im Vergütungsverzeichnis für den beigeordneten Rechtsanwalt bestimmten Gebühren für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind.

Stellungnahme der Bezirksrevisorin

Das OLG führt dazu unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Bezirksrevisorin aus, dass das Verfahren der Wirtschaftsstrafkammer zunächst keinen außergewöhnlichen Umfang habe. Der diesen Verfahren i.d.R. innewohnende höhere Arbeits- und Planungsaufwand für den Pflichtverteidiger sei vom Gesetzgeber im RVG bereits durch die Festsetzung höherer Gebühren – hier die Nrn. 4118 und 4120 VV RVG – berücksichtigt worden und gebe deshalb für sich genommen noch keinen Anlass für die Festsetzung einer Pauschgebühr.

Allerdings sei nach ständiger Rechtsprechung des OLG München zu berücksichtigen, dass der erforderlichen Einarbeitung in den Sachstand nur ein Hauptverhandlungstag folgte, mithin nur eine Terminsgebühr Nr. 4121 VV RVG angefallen sei. Es entspreche dem gesetzlichen Gebührenkonzept, dass der Verteidiger regelmäßig seine im Vorverfahren, für das relativ geringe Gebühren anfallen, gewonnenen Kenntnisse im Hauptverfahren nutze. Dieser Synergieeffekt fehle vorliegend. Zudem sei die Gebühr Nr. 4104 VV RVG wegen der späten Bestellung nicht angefallen.

Zur Vermeidung eines unbilligen Sonderopfers erscheine die Gewährung einer Pauschgebühr gem. § 51 RVG erforderlich, zumal der Antragsteller, wie er zutreffend ausführt, an der Verständigung und damit Verfahrensverkürzung maßgeblich mitgewirkt habe. Der Verständigung habe eine umfangreiche Vorbereitung zugrunde gelegen, die durch die geringeren Gebühren des Anwalts nicht angemessen entgolten wären. Weiter sei zu berücksichtigen, dass für die Teilnahme an dem Erörterungstermin keine Terminsgebühr anfalle – eine Pauschgebühr könne hierfür gerechtfertigt sein. Mit Blick auf die Grund- und Verfahrensgebühren könne vorliegend von einem Ausnahmefall ausgegangen werden und es könne als Pauschgebühr wie beantragt eine Gebühr über der Wahlverteidigerhöchstgebühr i.H.v. 2150 EUR bewilligt werden.

Ergänzungen des OLG

Ergänzend verweist das OLG darauf, dass die Bewilligung einer Pauschvergütung die Ausnahme sei, die bei besonders umfangreichen und schwierigen Verfahren unzumutbare Sonderopfer des beigeordneten Rechtsanwalts vermeiden soll (OLG München, Beschl. v. 2.7.2020 – 1 AR 75/20; so schon BGH, Beschl. v. 1.6.2015 – 4 StR 267/11). Unzumutbar wäre die Versagung einer Pauschvergütung zunächst insbesondere dann, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt dadurch eine wirtschaftliche Existenzgefährdung erleiden würde (BVerfG, Beschl. v. 1.6.2011 – 1 BvR 3171/10, juris), wofür vorliegend allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich seien. Erforderlich seien daher Umstände, die sich vom Regelfall wegen des besonderen Umfangs oder ihrer besonderen Schwierigkeit deutlich unterscheiden, weshalb die bloße Festsetzung der vom Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren nicht zumutbar wäre. Der Senat hat hier unter Hinweis auf die Stellungnahme der Bezirksrevisorin einen solchen Ausnahmefall als gegeben angesehen.

Zur Höhe der Pauschgebühr verweist das OLG darauf, dass nach der ständigen Rechtsprechung des OLG die Pauschgebühr im Regelfall maximal mit dem Betrag der Wahlverteidigerhöchstgebühr anzusetzen sei. Vorliegend erkenne man aber insoweit einen außergewöhnlich besonderen Ausnahmefall, der ein Überschreiten der Wahlverteidigerhöchstgebühren ausnahmsweise zulasse. Die Pauschgebühr errechne sich somit aus einem Pauschvergütungsbetrag in Höhe von 2.150 EUR mit Blick auf die Gebührentatbestände Nrn. 4100, 4118 VV RVG sowie aus den Gebühren für die Hauptverhandlung nach Nrn. 4120, 4122 VV RVG. Hieraus ergebe sich die festgesetzte Pauschgebühr von 2.849 EUR.

III. Bedeutung für die Praxis

„Wunderentscheidung“

1. Zu der Entscheidung würde der Song von Katja Ebstein „Wunder gibt es immer wieder“ sehr gut passen. Denn: Es wird eine Pauschgebühr nach § 51 RVG bewilligt, es wird mehr als die Wahlanwaltshöchstgebühr festgesetzt, die Bezirksrevisorin hatte sich dem Antrag des Pflichtverteidigers angeschlossen und das Ganze aus Bayern vom OLG München. Das ist in meinen Augen nun wirklich eine „Wunderentscheidung“.

Alle Umstände berücksichtigt

2. Und: Das OLG hat, soweit das ohne nähere Kenntnis der Verfahrensumstände und -besonderheiten beurteilt werden kann, zutreffend entschieden. Alle für die Gewährung und die Höhe der Pauschgebühr bedeutsamen Punkte sind angesprochen. Das ist einmal die offenbar erhebliche Vorbereitungszeit (mit wahrscheinlich erheblichem Aktenumfang; dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, § 51 Rn 197), das Bemühen um eine Abkürzung des Verfahrens (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 Rn 110), Erörterungen des Standes des Verfahrens mit offenbar einem Erörterungstermin (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 Rn 134 und 186) und das Bemühen um eine Verständigung (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 Rn 195). Und dann hat das OLG mit dem Hinweis auf den wegen der kurzen Hauptverhandlung nicht eingetretenen Synergieeffekt nicht nur das „Sonderopfer“ des Pflichtverteidigers bejaht, sondern auch noch die heilige Kuh der OLG, nämlich die Wahlanwaltshöchstgebühr als Grenze für die Höhe der Pauschgebühr geopfert. Da stimmt man doch gerne zu und meint: Geht doch! Und man fragt sich, warum das nicht immer so geht und warum in vielen m.E. vergleichbaren Fällen häufig keine Pauschgebühr bewilligt wird, obwohl die Voraussetzungen auf der Hand liegen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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