Beitrag

Kostengrundentscheidung im bußgeldrechtlichen Vollstreckungs- verfahren

Auch für das Bußgeldverfahren ist nach § 464a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO davon auszugehen, dass die Kosten des Vollstreckungsverfahrens von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren umfasst werden.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Friedberg, Beschl. v. 29.9.202347 a OWi 179/23

I. Sachverhalt

Bußgeldverfahren wird vom AG eingestellt

Das Regierungspräsidium Kassel erließ am 2.9.2020 einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen, gegen den der Verteidiger am 14.9.2020 Einspruch eingelegt hat. Das Regierungspräsidium half dem Einspruch nicht ab und legte das Verfahren über die Staatsanwaltschaft dem AG vor. Das AG hat in der Hauptverhandlung vom 15.3.2021 das Verfahren eingestellt. Dabei hat es davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Staatsanwaltschaft erteilt falsche Auskunft

In der Folgezeit fragte das Regierungspräsidium insgesamt dreimal bei der Staatsanwaltschaft nach dem Sachstand an. Mit Schreiben vom 21.12.2022 erklärte die Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren am 15.3.2022 nach Einspruchsrücknahme an das Regierungspräsidium zurückgesandt worden sei. Die Einspruchsrücknahme wurde von der Staatsanwaltschaft auf fernmündliche Anfrage einer Mitarbeiterin des Regierungspräsidiums bestätigt. Mit Schreiben vom 4.4.2023 hat das Regierungspräsidium den Betroffenen aufgefordert, die (ursprüngliche) Geldbuße, die Gebühr und die Auslagen, insgesamt 168,50 EUR, zu zahlen. Da keine Zahlung einging, mahnte das Regierungspräsidium den Betroffenen mit Schreiben vom 4.5.2023. In diesem Schreiben hat das Regierungspräsidium angekündigt, bei einer Nichtzahlung Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten.

Verteidiger beantragt Einstellung der Vollstreckung

Der Verteidiger des Betroffenen hat mit Schriftsatz vorn 22.5.2023 beantragt, die Vollstreckung der Geldbuße einzustellen und die notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen. Dies hat der Verteidiger damit begründet, dass das Bußgeldverfahren eingestellt wurde. Nachdem der Verteidiger dann mit Schreiben vom 13.6.2023 das Protokoll der Hauptverhandlung vom 15.3.2021 an das Regierungspräsidium übersandt hat, hat dieses das Vollstreckungsverfahren mit Schreiben vom 15.6.2023 eingestellt.

Einstellung ja, Übernahme der Kosten nein

Mit selbstständigem Kostenbescheid vom 28.7.2023 hat das Regierungspräsidium den Antrag auf Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse abgelehnt. Zur Begründung hat das Regierungspräsidium ausgeführt, dass es an die gerichtliche Kostenentscheidung gebunden sei. Das Vollstreckungsverfahren habe noch nicht begonnen, da die Ankündigung von Vollstreckungsmaßnahmen die Vollstreckung nur vorbereiten sollte, aber selbst keine Vollstreckungsmaßnahme darstelle.

Antrag auf gerichtliche Entscheidung erfolglos

Gegen diesen Bescheid hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 15.8.2023 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und den damit begründet, dass bereits mit der Ankündigung der Vollstreckungsmaßnahmen die Vollstreckung beginne, da es dem Betroffenen nicht zumutbar sei, auf die Ergreifung konkreter Vollstreckungsmaßnahmen zu warten. Der Antrag hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Zulässigkeit des Antrags

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei gem. §§ 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 62 OWiG statthaft. Dass das Regierungspräsidium den Bescheid mit „selbstständiger Kostenbescheid“ nach dem RVG überschrieben habe, führt nicht zur Anwendung des § 57 RVG, da mit dem Rechtsbehelf des § 57 RVG nur Entscheidungen nach. den Vorschriften des RVG angefochten werden können. Diese betreffen aber nur die Höhe der Gebühren bzw. deren Anfall, nicht aber die Kostengrundentscheidung selbst (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl. 2023, § 57 1–6.). Hier habe das Regierungspräsidium aber eine Entscheidung über die Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse, mithin eine Kostengrundentscheidung, getroffen.

Keine Rechtsgrundlage für eine Kostengrundentscheidung

Der Antrag sei, so das AG, aber unbegründet. Die Entscheidung des Regierungspräsidiums sei nicht zu beanstanden. Es gebe keine Rechtsgrundlage für eine neuerliche Kostengrundentscheidung. Eine Kostengrundentscheidung als solche sei bereits in dem Einstellungsbeschluss vom 15.3.2021 getroffen worden. Nach dieser Entscheidung seien die notwendigen Auslagen nicht der Staatskasse auferlegt worden, womit sie beim Betroffenen verblieben sind.

Der Erlass einer weiteren Kostengrundentscheidung für die Tätigkeit des Verteidigers bzgl. der Vollstreckungsandrohung nach der Einstellung sei nicht möglich. Für eine solche Kostengrundentscheidung bestehe keine Rechtsgrundlage. Vielmehr ergebe sich aus § 464a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO, dass die Kosten des Vollstreckungsverfahrens von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren umfasst werden (KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, § 464 Rn 3).

Auch wenn man die Vollstreckungsankündigung des Regierungspräsidiums mangels rechtskräftiger vollstreckbarer Entscheidung nicht unter § 465a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO subsumieren wolle, ergäbe sich nach Auffassung des AG nichts anderes. Denn in dem Fall würde es an einer Rechtsgrundlage für eine weitere Kostengrundentscheidung fehlen. In keiner der in § 105 OWiG zitierten Vorschriften finde sich eine Rechtsgrundlage für eine entsprechende Kostengrundentscheidung. Für eine analoge Anwendung des § 464 StPO bleibe kein Raum, da es angesichts der detaillierten Regelegungen im Kostenrecht an einer Analogiefähigkeit des § 464 StPO fehle. Für eine solche Analogie bestehe auch kein Bedürfnis, da es dem Betroffenen möglich und zumutbar sei, die von ihm verauslagten Rechtsanwaltsgebühren im Wege der Amtshaftung geltend zu machen. Die Vollstreckungsankündigung des Regierungspräsidiums beruhe letztlich auf einer fehlerhaften Auskunft der Staatsanwaltschaft.

III. Bedeutung für die Praxis

Unmut beim Betroffenen/Verteidiger

1. Die Entscheidung wird beim Betroffenen und seinem Verteidiger zu erheblichem Unmut geführt haben. Da macht die Staatsanwaltschaft einen Fehler, der zum Beginn der Vollstreckung gegenüber dem Betroffenen führt, wogegen sich der Betroffene erfolgreich wehrt. Und dann lässt man den Betroffenen auf den entstandenen Kosten sitzen. Denn anders kann man die Entscheidung nicht werten. Der Verweis auf bestehende Amtshaftungsansprüche ist zwar zutreffend, aber soll der Betroffene nun wirklich, um sich schadlos zu halten, den steinigen Weg einer Amtshaftungsklage gehen? Die Antwort: Er wird wohl müssen, wenn er nicht auf den Anwaltskosten für das Vollstreckungsverfahren (Nr. 5200 Anm. 4 VV RVG) sitzen bleiben will. Mit allen Unwägbarkeiten, die ein solches Verfahren mit sich bringt. Denn:

Aber: Entscheidung zutreffend

2. In der „ersten Instanz“ des Vollstreckungsverfahrens werden, wenn ein Einwand des Betroffenen erfolgreich ist, ggf. beim Betroffenen entstandene Auslagen nicht erstattet. Die Rechtslage ist hier wie im Strafverfahren in der Vollstreckung. Auch da gibt es keine Kostenerstattung im Vollstreckungsverfahren der ersten Instanz (s. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Vorbem. 4.2 Rn 63 m.w.N.). Das ist weitgehend einhellige Meinung der OLG (vgl. die Nachweise bei Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O. und auch noch OLG Braunschweig, Beschl. v. 15.10.2014 – 1 Ws 267/14). Nur das OLG Hamm hat vor längerer Zeit mal eine andere Auffassung vertreten (vgl. NStZ 1984, 288), hat sich damit aber nicht durchsetzen können. Der Verurteilte/Betroffene bleibt also in der Tat auf seinen Kosten sitzen.

Gesetzgeber gefordert

3. M.E. ist das ein Stelle, an der der Gesetzgeber tätig werden müsste. Denn es ist nicht einzusehen, warum der Betroffene/Verurteilte, wenn er im erstinstanzlichen Vollstreckungsverfahren mit „Rechtsmitteln“ und/oder Einwänden Erfolg hat, die insoweit bei ihm entstandenen Kosten nicht ersetzt bekommen soll. Es handelt sich zwar nicht um eine das Verfahren abschließende Entscheidung i.e.S. des § 464 StPO, aber: Der Betroffene/Verurteilte hat Erfolg, sodass nach allgemeinen Grundsätzen die Gegenseite, i.d.R. im Strafverfahren die Staatsanwaltschaft oder die Verwaltungsbehörden im Bußgeldverfahren, die Auslagen zu tragen haben müsste.

Vollstreckung im Bußgeldverfahren als Einzeltätigkeit

4. Nur zur Klarstellung: Im Kostenbescheid des Regierungspräsidiums hatte es geheißen, dass mit der Mahnung vom 4.5.2023 und der Vollstreckungsankündigung vom 29.5.2023 das Vollstreckungsverfahren noch nicht begonnen habe. Diese Verfügungen hätten der Vorbereitung der Vollstreckung gedient, hätten aber noch keine Vollstreckungsmaßnahme dargestellt. Daher liege noch keine besondere Angelegenheit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG und damit auch keine vom Bußgeldverfahren abgrenzbare verschiedene Angelegenheit nach § 17 Ziff. 4 lit. c) RVG vor. Dieser Auffassung ist das AG zu Recht nicht gefolgt. Denn das Vollstreckungsverfahren wird im Bußgeldverfahren auch für den Rechtsanwalt, der den Betroffenen verteidigt hat, als (besondere) Einzeltätigkeit angesehen (Nr. 5200 Anm. 4 VV RVG). Die hatte mit der Androhung der Vollstreckung begonnen (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 5200 Rn 7).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…