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Konsensualer Verteidigerwechsel

Ein sog. konsensualer Verteidigerwechsel sollte durch die Vorschrift des § 143a StPO nicht ausgeschlossen werden und ist demgemäß zulässig.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Mühlhausen, Beschl. v. 19.6.20233 Qs 92/23

I. Sachverhalt

Umbeiordnung beantragt …

Gegen den Beschuldigten ist vor dem AG ein Strafverfahren wegen versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung anhängig. Mit Beschluss des AG vom 10.6.2022 wurde dem Beschuldigten gemäß § 140 Abs. 2 StPO Rechtsanwalt B als Pflichtverteidiger bestellt. Mit Schriftsatz vom 2.3.2023 teilte Rechtsanwalt B dem AG mit, das Rechtsanwalt F ihn gebeten habe, einer Umbeiordnung als Pflichtverteidiger zuzustimmen. Zugleich erklärte Rechtsanwalt B sein Einverständnis mit einer solchen Umbeiordnung.

… Mehrkosten entstehen nicht

Am 29.3.2023 zeigte dann Rechtsanwalt F dem AG an, dass er unter Bezugnahme auf eine entsprechende Vollmacht nunmehr den Beschuldigten verteidige. Darüber hinaus beantragte er, dem Beschuldigten unter Entpflichtung des Rechtsanwalts B für das weitere Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Zugleich erklärte er, für den Fall einer Beiordnung sein Wahlmandat niederzulegen. Ebenso habe sich Rechtsanwalt B mit einer Umbeiordnung einverstanden erklärt. Schließlich erklärte Rechtsanwalt F, dass für die Landeskasse durch die Umbeiordnung keine Mehrkosten entstehen würden.

Umbeiordnung abgelehnt

Das AG hat die Beiordnung von Rechtsanwalt F als Pflichtverteidiger abgelehnt. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, dass die Umbeiordnung gem. § 143a Abs. 1 S. 2 StPO unzulässig sei. Ferner lägen die Voraussetzungen von § 143a Abs. 2 StPO nicht vor.

Dagegen hat der Beschuldigte sofortige Beschwerde eingelegt, die Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Konsensuale Umbeiordnung ist zulässig

Nach Auffassung des LG war die begehrte Umbeiordnung vorzunehmen. Zu Recht nehme das AG allerdings an, dass die Voraussetzungen von § 143a Abs. 2 StPO nicht vorliegen. Zutreffend führe das AG des Weiteren die Vorschrift des § 143a Abs. 1 S. 2 StPO an, wonach die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht aufzuheben sei, wenn zu besorgen sei, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen werde. Eine derartige Übernahme der Pflichtverteidigung sei damit von Gesetzes wegen ausdrücklich unerwünscht. Mithin soll ein Herausdrängen des bisherigen Pflichtverteidigers über den Weg einer Wahlverteidigung verhindert werden. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall. Vielmehr handele es sich um einen sog. konsensualen Verteidigerwechsel, der gerade nicht durch die Vorschrift des § 143a StPO ausgeschlossen werden sollte (so etwa BGH, Beschl. v. 13.7.2021 – 2 StR 81/21).

Voraussetzungen haben vorgelegen

Die Voraussetzungen für einen konsensualen Verteidigerwechsel seien vorliegend auch gegeben. Ein solcher Wechsel setze voraus, dass der Beschuldigte und beide Verteidiger mit einem Verteidigerwechsel einverstanden seien, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintrete und auch keine Mehrkosten für die Staatskasse entstehen (vgl. etwa BGH a.a.O.). Der Beschuldigte und beide Verteidiger haben jeweils ein entsprechendes Einverständnis erteilt. Anhaltspunkte für eine Verfahrensverzögerung durch den Verteidigerwechsel lägen ebenso nicht vor. Insbesondere sei noch kein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Schließlich habe Rechtsanwalt F erklärt, dass durch die Umbeiordnung für die Landeskasse keine Mehrkosten entstehen würden. Letzteres hat er darüber hinaus später noch einmal bekräftigt und erklärt, dass er die in der Person des bisherigen Pflichtverteidigers entstandenen Gebühren nicht erneut geltend machen werde. Im Übrigen sei zu bemerken, dass aus dem Schriftsatz des bisherigen Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt B, hervorgehe, dass dieser Kenntnis davon hatte, dass es sich um einen Pflichtverteidigerwechsel handeln soll. Mithin habe Rechtsanwalt B sein Einverständnis auch nicht lediglich vor dem Hintergrund der Vorschrift des § 143a Abs. 1 S. 1 StPO erklärt, weil er davon ausgegangen sei, es habe sich ein Wahlverteidiger gemeldet und demgemäß sei er von Gesetzes wegen ohnehin zu entpflichten (vgl. zu dieser abweichenden Situation KG, Beschl. v. 28.10.2021 – 3 Ws 276/21).

III. Bedeutung für die Praxis

Man fragt sich, warum diese Umbeiordnungsfälle in der Praxis immer wieder bzw. immer noch Schwierigkeiten machen. Dabei ist es doch so einfach. Denn:

Auch nach neuem Recht zulässig

1. Die (kostenneutrale) Umbeiordnung eines Pflichtverteidigers ist möglich, allerdings muss der neue Pflichtverteidiger auf „Mehrkosten“ verzichten. Vor Inkrafttreten der Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung zum 1.1.2019 war teilweise umstritten, ob eine kostenneutrale Umbeiordnung und ein Verzicht auf Pflichtverteidigergebühren zulässig ist oder nicht (vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Hillenbrand, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 3540). Dieser Streit hat sich aber nach Inkrafttreten der Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung nicht fortgesetzt. Soweit ersichtlich haben alle Gerichte, die sich seitdem mit der Frage befasst haben, die Zulässigkeit bejaht (BGH a.a.O.; OLG Celle AGS 2019, 333 = StraFo 2019, 263; LG Braunschweig, Beschl. v. 3.9.2020 – 4 Qs 180/20, AGS 2021, 112 = StraFo 2020, 514; grundsätzlich auch LG Braunschweig, Beschl. v. 22.12.2022 – 4 Qs 371/22, AGS 2023, 188). Das ist im Hinblick auf die zutreffende herrschende Meinung zum früheren Recht zutreffend.

Es dürfen aber keine Mehrkosten entstehen

2. Allerdings gilt auch nach neuem Recht das, was das LG Mühlhausen hier noch einmal betont und was auch die vorstehend zitierte Rechtsprechung betont hat: Auch nach neuem Recht kommt eine Umbeiordnung unter der Voraussetzung, dass für die Staatskasse keine Mehrkosten entstehen, nur in Betracht, wenn der neue Pflichtverteidiger ggf. einen Verzicht auf beim alten Pflichtverteidiger bereits entstandene Gebühren erklärt hat. Der Verzicht muss ausdrücklich erklärt werden, eine konkludente Erklärung ist im Hinblick auf die erforderliche Klarheit für das Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht möglich.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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