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Beratungshilfe im Strafverfahren nach Zulassung der Anklage?

Die Bewilligung von Beratungshilfe ist auch noch nach Zustellung der Anklageschrift in einem anhängigen Strafverfahren möglich.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Köln, Beschl. v. 14.9.2023360 XI 923/23

I. Sachverhalt

Beratungshilfe außerhalb des gerichtlichen Verfahrens abgelehnt

Der Antragsteller begehrt Beratungshilfe für die anwaltliche Vertretung in einem bereits am AG Köln anhängigen Strafverfahren. Die Rechtspflegerin hat Beratungshilfe nicht gewährt. Dabei hat sie darauf abgestellt, dass Beratungshilfe nur bei Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erteilt werden könne. Die dagegen vom Verfahrensbevollmächtigen des Antragstellers eingelegte Erinnerung war erfolgreich.

II. Entscheidung

Meinungsstand

Nach Auffassung des AG liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 BerHG vor. Das Gericht schließe sich den überzeugenden Ausführungen des AG Bad Segeberg aus dem Beschluss vom 3.3.2020 (18 UR II 808/19, RVGreport 2020, 193) an. Die Frage, wann in Strafsachen in zeitlicher Hinsicht für eine Beratung des Beschuldigten bzw. Angeklagten Beratungshilfe gewährt werden könne, werde nicht einheitlich beantwortet. In der Literatur werde einerseits vertreten, dass die Zustellung der Anklageschrift bzw. des Strafbefehls den Endpunkt der Bewilligungsmöglichkeit darstellen soll (Poller-Härtl/Köpf/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, § 1 BerHG Rn 40, inhaltlich identisch Köpf, Beratungshilfegesetz, § 1 Rn 40). Auf der anderen Seite gebe es auch die Auffassung, dass in entsprechenden Verfahren die Bewilligung der Beratungshilfe so lange möglich sein soll, wie kein Pflichtverteidiger bestellt worden sei (Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Teil A Rn 290). Die Rechtsprechung vertrete, soweit erkennbar, einhellig die letztgenannte Auffassung (AG Augsburg, Beschl. v. 9.9.1988 – 1 UR II 1058; AG Köln, Beschl. v. 13.2.1984 – 662 UR II 1514/82). Diese sei zutreffend. Die in § 1 Abs. 1 BerHG aufgenommene Schranke der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Passus „außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens“ sei inhaltlich konsequent vor dem Hintergrund, dass in zivil- und familiengerichtlichen Verfahren vor den Gerichten zwei verschiedene Möglichkeiten der Prozess- bzw. Verfahrensführung für bedürftige Personen durch die Institute der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe bestehen. Insofern bestehe die aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleitende Zugangsmöglichkeit bedürftiger Verfahrensbeteiligter zu den Gerichten in nahtloser Abfolge von Beratungs-, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe.

Abgrenzung zur Pflichtverteidigung

Diese Systematik bestehe für den Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren nicht. Hier gebe es zwar das Institut der Pflichtverteidigung aus § 141 StPO, welches auf die Regelung zur notwendigen Verteidigung aus § 140 StPO aufbaue. Bei ihm finden allerdings die Kriterien der Bedürftigkeit, des Erfolges der beabsichtigten Rechtsverfolgung sowie der fehlenden Mutwilligkeit keinerlei Berücksichtigung. Ausschlaggebend sei vielmehr allein der Gesichtspunkt der Fürsorge des Staates, wie er auch bei der Verfahrenspflegerbestellung bzw. der Bestellung des Verfahrensbeistandes im Rahmen des FGG aufzufinden sei. Aus diesem Grunde sei die Pflichtverteidigerbestellung auch nicht abhängig von einer willentlichen Handlung seitens des Beschuldigten oder Angeklagten in Gestalt eines Antrags oder der Darlegung von persönlichen bzw. objektiven Voraussetzungen, sondern allein von der rechtlichen Einschätzung des Gerichts. Damit aber greife der maßgebliche Gesichtspunkt, der zur Aufnahme des in § 1 Abs. 1 BerHG genannten Ausschlusses der Beratungshilfe infolge eines „gerichtlichen Verfahrens“ geführt hat, nicht ein. Denn dieser bestehe ja nicht darin, Hilfe generell zu versagen, sondern nur darin, die zugrunde liegenden Systeme der antragsabhängigen Hilfebewilligung zeitlich randscharf abzugrenzen. Und dieser Gesichtspunkt greife in Strafverfahren nicht. Dort bestehe gerade kein nahtloser Übergang verschiedener Möglichkeiten bedürftiger Personen, rechtliche Beratung außerhalb oder während eines gerichtlichen Verfahrens in Anspruch zu nehmen. Wolle man nun die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Beratungshilfe nach Zustellung der Anklageschrift oder des Strafbefehles versagen, so würde einem wirtschaftlich Bedürftigen, gegen den die öffentliche Klage erhoben werde und der vom Gericht keinen Pflichtverteidiger bestellt bekomme, gleichsam von einem Tag auf den anderen die Möglichkeit genommen, in der rechtlich höchst prekären Situation einer konkreten Strafverfolgung rechtlich kompetenten Rat in Anspruch zu nehmen. Hierfür allerdings bestehe durchaus ein Bedürfnis, da die Fragen der Folgen eines Strafverfahrens, einer etwaigen Einlassung in der Hauptverhandlung, des Ablaufes des Gerichtstermines an sich pp. wegen der einschneidenden Folgen eines Strafverfahrens nicht durch anderweitige Erkenntnisquellen mit der notwendigen Sicherheit beantwortet werden können. Diese Folgen aber können nicht in der Intention des aus dem Sozialstaatsgebot ausfließenden Beratungshilfegesetzes gelegen haben (AG Bad Segeberg a.a.O.).

Da keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung von Beratungshilfe nicht vorgelegen hätten, hat das AG Beratungshilfe gewährt.

III. Bedeutung für die Praxis

Schließung einer Lücke

Die Entscheidung knüpft an die zitierte Rechtsprechung anderer AG, insbesondere an die das AG Bad Segeberg (a.a.O.) an. Sie ist m.E. zutreffend. Denn es wäre in der Tat aus den vom AG dargelegten Gründen nicht nachvollziehbar, warum der Beschuldigte nicht auch nach Zustellung der Anklageschrift Anspruch auf Rechtsberatung (in geringem Maße) haben soll, wenn die Voraussetzungen für die Pflichtverteidigung nicht vorliegen. Abgesehen davon stellt sich in den Fällen, die von dieser Entscheidung betroffen sein können, die Frage, wann dort ein Pflichtverteidiger bestellt wird? Die Auffassung der AG schließt also eine Lücke im Gesetz.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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