Bei einer Dritteinziehung nach § 73b StGB ist dem Einziehungsbeteiligten im Rahmen einer Wiedereinsetzung entsprechend dem allgemeinen Grundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden seines anwaltlichen Vertreters zuzurechnen.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Anwalt der Einziehungsbeteiligten prüft Übersendungsprotokoll nicht
Das LG hat neben der Verurteilung des Angeklagten gegen die Einziehungsbeteiligte gem. § 73b StGB die Einziehung „von Wertersatz“ in Höhe von 357.000 EUR angeordnet. Der Rechtsanwalt der Einziehungsbeteiligten hat für sie fristgemäß Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsschrift ist erst nach Ablauf der Frist zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingegangen. Der Rechtsanwalt hatte es im Zuge der ursprünglichen Übersendung der Revisionsbegründungsschrift per beA unterlassen, nach Auslösung des elektronischen Versendungsvorgangs den Inhalt des Prüfprotokolls einzusehen, dem zu entnehmen gewesen wäre, dass der Schriftsatz nicht beim Empfänger angekommen ist. Der BGH sieht dieses Verhalten als schuldhaft an und hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Revision als unzulässig verworfen.
II. Entscheidung
Grundlagen zu § 85 Abs. 2 ZPO im Strafverfahren
Für das Verschulden ihres anwaltlichen Vertreters habe die Einziehungsbeteiligte einzustehen. Eine solche Zurechnung finde im Strafverfahren zwar nicht durchgehend statt. So sei es den Strafgerichten regelmäßig verwehrt, dem Beschuldigten Versäumnisse des Verteidigers zuzurechnen, wenn zu prüfen ist, ob ihn an einer Fristversäumung gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 StPO ein Verschulden trifft (BVerfG NJW 1994, 1856 Rn 10). Denn der in allen übrigen Verfahrensordnungen geltende allgemeine Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht, sei mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zwar grundsätzlich vereinbar. Anderes gelte jedoch dort, wo dies zu schlechterdings unerträglichen Ergebnissen führen würde. Denn der Staat trete dem Beschuldigten dort mit einem Strafanspruch gegenüber; dies beinhaltet die bewusste Verhängung der schärfsten Sanktion der Rechtsordnung zur Wiederherstellung verletzten Rechts und zur Behauptung ihrer Unverbrüchlichkeit (BVerfGE 60, 253 Rn 149, 152 = NJW 1982, 2425). Dieses Privileg komme dem Beschuldigten jedoch nur zugute, soweit er sich mit einem Rechtsbehelf gegen den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wendet, welche sich besonders einschneidend auf Ehre, Freiheit, Familie, Beruf und damit sein gesamtes Leben auswirken können (BGHSt 30, 309 = NJW 1982, 1544). Bei anderweitigen Rechtsbehelfen müsse dagegen auch er für das Verschulden seines Vertreters einstehen, etwa bei der Anfechtung einer Kostenentscheidung. Erst recht zulasten des Vertretenen gehe ein Verschulden des Vertreters bei anderen Verfahrensbeteiligten im Strafprozess, auch dies gestützt auf § 85 Abs. 2 ZPO. Das gelte jedenfalls für Nebenkläger (BGH NStZ-RR 2016, 214), für Privatkläger (OLG Düsseldorf NJW 1993, 1344) und für Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren (OLG Nürnberg NStZ-RR 1998, 143).
Anwendbar bei Dritteinziehung
Auch auf den hier vorliegenden Fall eines Einziehungsbeteiligten, der einer Dritteinziehung nach § 73b StGB ausgesetzt ist, finde § 85 Abs. 2 ZPO Anwendung (so bereits OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 335; a.A. LR/Gaede, StPO, 27. Aufl., § 434 Rn 21). Die Erstreckung dieses allgemeinen Grundsatzes entspreche den gesetzgeberischen Zielen der Gewährleistung von Rechtssicherheit und einer möglichst einheitlichen Handhabung in den Verfahrensordnungen. Demgegenüber bestehe kein Anlass für eine Ausnahme, wie sie allein für den sich gegen eine Bestrafung wendenden Beschuldigten gilt. Dass § 85 Abs. 2 ZPO in der Strafprozessordnung keine ausdrückliche Entsprechung findet und – entgegen allen anderen öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen – aus ihr auch nicht auf diese Norm verwiesen wird, spreche nicht gegen eine Anwendung des dort normierten allgemeinen Grundsatzes. Denn es deute nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der Wiedereinsetzung im Strafverfahren generell einen Sonderweg beschreiten wollte (wird näher ausgeführt). Bei der Frage der Zurechnung des Verschuldens eines Vertreters habe der Gesetzgeber damit allein den sich gegen Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch verteidigenden Angeklagten als das zentrale Subjekt des Strafprozesses in der für diese Verfahrensordnung charakteristischen Rolle vor Augen.
Charakter der Einziehung
Die Vermögensabschöpfung sei keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter. Auch mit der Reform durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017 (BGBl I, S. 872) habe der Gesetzgeber deren quasi-kondiktionellen Charakter nicht in Frage stellen wollen (vgl. BT-Drucks 18/9525, S. 48, 62; BT-Drucks 18/11640, S. 79). Sein Ziel sei es gewesen, die Parallelen zum Zivil-, insbesondere zum Bereicherungsrecht zu stärken, indem er die dortigen Regelungen zum Ausgangspunkt der Ausgestaltung der Vermögensabschöpfung nahm (BVerfGE 156, 354, Rn 106, 117 = NJW 2021, 1222 = StRR 4/2021, 25 [Deutscher]). Dass eine Einziehung gleichwohl mit einem erheblichen, vor allem wirtschaftlichen Eingriff verbunden sein kann, genüge nicht, um sie vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG einer Strafe gleichzustellen. Denn hierfür sei nicht das bloße Ausmaß der Berührung persönlicher Interessen und Rechtspositionen maßgeblich, welches bei gerichtlichen Entscheidungen aus allen Verfahrensordnungen ein hohes sein kann, sondern das allein einem Strafausspruch innewohnende rechtliche Unwerturteil. Soweit dem ein Vergleich mit Geldstrafen entgegengehalten wird (so LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Aufl., § 44 Rn 62), werde dabei verkannt, dass Geldstrafen öffentliche Kriminalstrafen sind und damit schuldvergeltende strafrechtliche Sanktionen, die hierin weit über eine bloße Vermögenseinbuße hinausgehen, während mit Nebenentscheidungen regelmäßig – jedenfalls bei der Einziehung nach §§ 73–73c StGB – kein Unwerturteil und kein Strafcharakter verbunden sei.
Gegenargumente greifen nicht
Ebenso wenig spiele für die Frage der Verschuldenszurechnung eine Rolle, ob der Verfahrensgegenstand einem adäquaten Ausgleich durch eine Schadenersatzleistung des anwaltlichen Vertreters zugänglich wäre. Ohnehin werde eine solche Restitution bei Einziehungen vielfach, bei Einziehung eines Geldbetrags sogar stets möglich sein. Wo dies ausscheidet, trete aber lediglich ein allen nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten eigener Effekt ein, der letztlich eine tatsächliche Grenze des materiellen Schadensersatzrechts markiert und grundsätzlich hinzunehmen sei (BVerfGE 60, 253 Rn 148 f. = NJW 1982, 2425; vgl. BVerfG a.a.O. Rn 148 f. zum Asylverfahren). Dass § 427 Abs. 1 S. 1 StPO zur Bestimmung der prozessualen Position des Einziehungsbeteiligten und § 428 StPO zur Möglichkeit der Vertretung durch einen Rechtsanwalt weitgehend auf die für den Angeklagten geltenden Vorschriften verweisen, stehe der Zurechnung ebenfalls nicht entgegen. Hiermit werde nicht etwa einem vergleichbar hohen Schutzbedürfnis Rechnung getragen. Vielmehr wolle der Gesetzgeber auf diese Weise lediglich sicherstellen, dass dem Einziehungsbeteiligten die prozessualen Rechte zustehen, die zur Abwehr der gegen ihn gerichteten Einziehungsanordnung erforderlich sind. Ihm sei bewusst gewesen, dass der Einziehungsbeteiligte gleichwohl nicht mit dem Vorwurf einer Straftat konfrontiert, sondern lediglich einer quasi-bereicherungsrechtlichen Maßnahme ausgesetzt ist. Der Gesetzgeber habe angesichts dieser gesetzestechnischen Lösung deshalb eigens betont, dass die Stellung des Einziehungsbeteiligten trotzdem eher mit der eines Beklagten im Zivilprozess als mit der eines Angeklagten vergleichbar sei (vgl. BT-Drucks 18/9525, S. 89). Soweit der BGH demgegenüber ausgesprochen hat, dass die Einziehung als hoheitliche Eingriffsmaßnahme mit der Durchsetzung von zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen im Gleichordnungsverhältnis zwischen Privatleuten im Zivilprozess nicht vergleichbar ist (BGH wistra 2019, 187 Rn 16), sei dies allein geschehen, um darzulegen, warum die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Angeklagten nicht dazu führt, dass die Einziehungsanordnung gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes zu richten wäre.
Keine Entscheidung zur Dritteinziehung nach § 74a StGB
Ob das Verschulden eines Vertreters auch zuzurechnen wäre in Fällen, in denen sich der Einziehungsbeteiligte einer Einziehung nach § 74a StGB, gegebenenfalls in Verbindung mit § 74e StGB, ausgesetzt sieht, bedürfe hier nicht der Entscheidung. Das gelte namentlich, soweit die dort normierten Maßnahmen auch in den Fällen, in denen sie sich gegen nicht tatbeteiligte Dritte richten, repressiven Charakter aufweisen.
III. Bedeutung für die Praxis
Überzeugend
Man hört häufig den Satz, im Strafverfahren sei die Zurechnungsregel des § 85 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar. Der 5. Senat zeigt auf, dass dies nur für den Angeklagten und seinen Verteidiger hinsichtlich des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs gilt, nicht für den Einziehungsbeteiligten einer Dritteinziehung nach § 73b und 73c StGB. Dem eingehend und überzeugend begründeten Beschluss ist nichts hinzuzufügen. Für den Anwalt und seine Versicherung dürfte dies hier ein teures Vergnügen werden.