Beitrag

Widerstand gegen eine Anhalteanordnung

Widersetzt sich der Täter der von einer Angehörigen des Gemeindevollzugsdienstes getroffenen Anhalteanordnung („Stopp, halt!“), welche diese in Erfüllung ihrer Aufgabe, das Abschleppen eines in einer Brandschutzzone verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs im Wege der Ersatzvornahme zu veranlassen und die Verantwortlichkeit für den dieser Maßnahme zugrunde liegenden Verkehrsverstoß vor Ort zu klären, in der Weise, dass er auf diese mit dem Pkw zufährt, sodass die Amtsträgerin entsprechend der Absicht des Täters zur Seite springen muss, um nicht vom Fahrzeug erfasst zu werden, leistet er bei der von dieser i.S.v. § 113 Abs. 3 StGB rechtmäßig getroffenen Anordnung unter Einsatz materieller Zwangsmittel Widerstand (§ 113 Abs. 1 StGB), wobei er mit dem Pkw – unter Berücksichtigung der konkreten Art dessen Verwendung – ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.v. § 113 Abs. 2 Ziff. 1 StGB mit sich führt; gleichzeitig (§ 52 StGB) greift er die Amtsträgerin i.S.v. § 114 Abs. 1 StGB tätlich an. Für die Beurteilung der Diensthandlung als rechtmäßig ist unerheblich, dass der Täter durch das Wegfahren mit dem verbotswidrig abgestellten Pkw den ordnungswidrigen Zustand selbst beseitigt.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 2.3.20231 ORbs 35 Ss 57/23

I. Sachverhalt

Anhalteanordnung missachtet durch Zufahren auf Vollstreckungsperson

Das AG hat den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gem. § 114 Abs. 1 StGB verurteilt. Die Zeuginnen P und K, Angehörige des städtischen Gemeindevollzugsdienstes, stellten fest, dass ein Pkw widerrechtlich in einer Brandschutzzone abgestellt war. Daraufhin tippten sie eine Verwarnung, führten eine Halteranfrage durch und ordneten an, dass das Fahrzeug abzuschleppen sei. In der Folge erschien das Ehepaar C vor Ort. Frau C öffnete die Fahrzeugtür, nahm auf dem Fahrersitz Platz und wollte wegfahren, was die Zeuginnen P und K unterbanden. „Aus dem Nichts“ erschien nun der Angeklagte, zog Frau C aus dem Fahrzeug und fuhr mit aufheulendem Motor los, obwohl die Zeuginnen ihn lautstark („Stopp, halt!“) und mit Handzeichen zum Stehenbleiben aufforderten. Mit ihrer Anordnung wollten die Zeuginnen die Personalien aller Beteiligten erheben, die Verantwortlichkeit für das Abstellen des Pkw in der Brandschutzzone klären und vor Ort mit diesen und dem Abschleppunternehmer die Kostentragung regeln. Der Angeklagte fuhr, die Anhalteanordnung wahrnehmend, aber ignorierend, auf die sich in einer Entfernung von ungefähr drei bis vier Metern vor dem Fahrzeug befindende Zeugin P zügig zu, um diese „am Vollzug der Maßnahme“ zu hindern. Die Zeugin P musste zur Seite springen, um nicht von dem sich von der Örtlichkeit entfernenden Fahrzeug erfasst zu werden. Das OLG hat die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.

II. Entscheidung

Wirksamer Verwaltungsakt

Der Angeklagte habe der Anordnung der Zeuginnen, das Fahrzeug anzuhalten und an der Örtlichkeit zu verbleiben, mit Gewalt Widerstand geleistet. Bei der gegenüber dem Angeklagten getroffenen Verhaltensanordnung durch den Ruf „Stopp, halt!“ handele es sich um einen wirksamen, nicht offensichtlich rechtswidrigen mündlichen Verwaltungsakt, dem der Angeklagte Folge zu leisten hatte. Der Einwand der Revision, der Angeklagte habe durch das Wegfahren des Pkw die Störung beseitigt, weshalb es weder angemessen noch erforderlich gewesen sei, ihn hieran zu hindern, verfange nicht. Der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung im Rahmen von § 113 Abs. 3 StGB sei nach der Rechtsprechung der sog. strafrechtliche Rechtsmäßigkeitsbegriff zugrunde zu legen (BGHSt 60, 258 = NJW 2015, 3109 = StRR 2015, 391 [Lorenz]). Es komme nur darauf an, dass die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Hoheitsträgers gegeben sind, er also örtlich und sachlich zuständig ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und ein ihm gegebenenfalls eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß ausübt. Die Grenzen der Pflicht zur Duldung einer nach den maßgeblichen außerstrafrechtlichen Rechtsvorschriften rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme seien dort erreicht, wo diese mit dem Grundsatz der Rechtsbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) schlechthin unvereinbar sind (BVerfG NJW 1991, 3023; BGHSt 4, 161 = NJW 1953, 1032). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hätten die Zeuginnen ihre an den Angeklagten gerichtete Anordnung unter pflichtgemäßer Würdigung der tatsächlichen Eingriffsvoraussetzungen getroffen: Die zur Klärung der Verantwortlichkeiten für den Ordnungsverstoß und für die Pflicht zur Kostentragung für die Ersatzvornahme (Anfahrt des Abschleppdienstes) notwendigen Ermittlungen seien Bestandteil der im Rahmen des Aufgabenbereichs der Zeuginnen zu treffenden Ordnungsmaßnahmen. Zum einen habe für diese die „Rolle“ des Angeklagten (Fahrer, Halter oder Unbeteiligter) noch nicht festgestanden. Im Übrigen widerspreche es auch nicht pflichtgemäßer Ermessensausübung, vor Ort die Kostentragung für die (sich erledigende) Abschleppmaßnahme zu klären, etwa durch Herbeiführung einer Einigung des Kostenpflichtigen mit dem Abschleppunternehmer, wodurch sich ein Heranziehungsbescheid der Behörde erledigt.

Widerstand und tätlicher Angriff mittels Gewalt

Indem der Angeklagte auf die in einer Entfernung von drei bis vier Metern vor ihm stehende Zeugin P zügig zufuhr, sodass diese zur Seite springen musste, um nicht vom Fahrzeug erfasst zu werden, habe er zur Verhinderung oder Erschwerung der Diensthandlung gegen sie materielle Zwangsmittel angewandt (BGH zfs 2022, 108), zugleich tateinheitlich mit feindseligem Willen unmittelbar auf deren Körper in einer Weise eingewirkt und sie somit bei ihrer Diensthandlung i.S.v. § 114 Abs. 1 StGB tätlich angegriffen (BGHSt 65, 36 = NJW 2020, 2347; Fischer, StGB. 70. Aufl. 2023, § 114 Rn 5), wobei eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters nicht erforderlich sei (BGHSt a.a.O.).

Regelfall des § 113 Abs. 2 S. 2 Ziff. 2 StGB

Rechtsfehlerfrei habe das AG die gegen den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe dem Strafrahmen des § 113 Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 StGB entnommen, da sich der Angeklagte nach den Feststellungen darüber bewusst gewesen sei, bei der Ausführung der Tat ein Fahrzeug mit sich zu führen, und er dieses in einer Weise verwendete, dass es aus gebotener objektiver Sicht in der konkreten Situation als Angriffsmittel gegen die Amtsträgerin zum Einsatz kam, welcher dadurch erhebliche Verletzungen drohten (BGH NZV 2016, 345). Durch die Erfüllung des Regelbeispiels nach Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 werde ein besonders schwerer Fall indiziert (wird ausgeführt),

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

Kurz, knapp und zutreffend begründet das OLG hier das Vorliegen eines Widerstandsleistens durch Gewalt und eines tätlichen Angriffs. Der BGH (zfs 2023, 108) hat jüngst seine Ansicht bekräftigt, dass ein Widerstandleisten durch Gewalt gem. § 113 StGB in dem Zufahren mit einem Kfz auf einen Polizeibeamten liegen kann, um ihn zum Wegfahren oder zur Freigabe der Fahrbahn zu nötigen. Die bloße Flucht vor der Polizei erfüllt diese Voraussetzungen hingegen nicht, auch wenn dabei andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden. Überzeugend ist auch die Annahme, dass die Anhalteanordnung jedenfalls zur Klärung der Rollen aller vor Ort Anwesenden im Zusammenhang mit dem Parkverstoß und der damit verbundenen Rechtsfolgen strafrechtlich auch dann noch rechtmäßig war, nachdem der Parkverstoß durch das Wegfahren des Fahrzeugs erledigt war. Die Feststellungen zum Eintritt einer konkreten Gefahr i.S.d. Regelbeispiels in § 113 Abs. 2 S. 2 Ziff. 2 StGB („zügig auf eine drei bis vier Meter entfernt stehende Person zugefahren, die zur Seite springen muss“) sind allerdings recht dürr. Für eine konkrete Gefahr beim Eingriff in den Straßenverkehr gem. § 315b StGB hätte das angesichts der strengen Vorgaben des BGH (etwa NStZ 2020, 225, Stichwort: Beinahe-Unfall) wohl nicht genügt.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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