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Notwendigkeit von Auslagen des Pflichtverteidigers/-beistands

1. Die Feststellung der Erforderlichkeit von Aufwendungen des Pflichtverteidigers durch das Gericht ist nach § 46 Abs. 2 S. 1 RVG für das Festsetzungsverfahren nach § 55 bindend. Der Kostenbeamte hat die Entscheidung grundsätzlich hinzunehmen.

2. Bei Übersetzerkosten handelt es sich um grundsätzlich erstattungsfähige Aufwendungen i.S.d. § 46 Abs. 2 S. 3 RVG. Grundsätzlich erscheint es auch vertretbar, im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens Übersetzungen von solchen Dokumenten anfertigen zu lassen, welche geeignet sind, Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Ausgangsverfahrens zu wecken. Dies entspricht jedenfalls nicht einem willkürlichen Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Erforderlichkeit“.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG München, Beschl. v. 7.12.20224 Ws 23/22
LG Augsburg, Beschl. v. 28.9.20223 Qs 285/22

I. Sachverhalt

Feststellung der Notwendigkeit durch das AG

In einem Auslieferungsverfahren hat das AG dem Verfolgten die Rechtsanwältin als Pflichtbeistand/-verteidigerin beigeordnet. Diese beantragte mit Schreiben vom 2.6.2021 gemäß § 46 Abs. 2 RVG die gerichtliche Feststellung, dass die Übersetzung von 259 Seiten aus den Verfahrensakten des dem Antrag auf Auslieferung zugrunde liegenden, in Serbien geführten Strafverfahren für eine ordnungsgemäße Verteidigung notwendig sei. Mit Beschluss vom 15.6.2021 stellte das AG die Notwendigkeit der Übersetzung fest. Eine vorherige Anhörung des Bezirksrevisors erfolgte nicht. Der Beschluss enthält keine Gründe.

Mit Schreiben vom 4.8.2021 beantragte die Pflichtverteidigerin unter Rechnungsvorlage die Erstattung der angefallenen Übersetzerkosten in Höhe von insgesamt 25.000,63 EUR direkt an die Übersetzerin. Nach Anhörung des Bezirksrevisors wurden die zu erstattenden Übersetzungskosten nur teilweise festgesetzt, weil der Kostenbeamte – ohne weitere Begründung – bei einer Vielzahl der übersetzten Dokumente deren Übersetzung für eine sachgerechte Verteidigung nicht für erforderlich erachtete. Die Pflichtverteidigerin hat Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss erhoben Das AG hat der Erinnerung in vollem Umfang abgeholfen und die Kostenfestsetzungsbeschlüsse mit der Maßgabe aufgehoben, dass die weiteren Übersetzungskosten ebenfalls aus der Staatskasse zu erstatten sind. Die hiergegen von der Staatskasse eingelegte Beschwerde hat das LG Augsburg mit Beschluss vom 28.9.2022 verworfen. Die dagegen eingelegte weitere Beschwerde der Staatskasse hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung

Das OLG bejaht – wie zuvor schon das LG Augsburg – die Bindungswirkung der gem. § 46 Abs. 2 RVG ergangenen Entscheidung des AG für das Kostenfestsetzungsverfahren. Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts erfolge in zwei Stufen:

Zwei Stufen

Auf der ersten Stufe entscheide das Gericht, das den Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt habe, dem Grunde nach darüber, ob die geltend gemachten Auslagen für eine sachgemäße Durchführung der Sache, hier der Vertretung des Auszuliefernden im Rahmen des Auslieferungsverfahrens, erforderlich gewesen seien. In keinem Fall sei für die Feststellung der Erforderlichkeit der Rechtspfleger oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zuständig. Denn es gehe um solche Fragen, die nur das erkennende Gericht aus seiner Beurteilung der materiell-rechtlichen und prozessualen Gesamtsituation beantworten kann (vgl. Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 46 Rn 38). Nach der ausdrücklichen und unmissverständlichen Regelung in § 46 Abs. 2 S. 1 RVG sei die gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit von Auslagen, zu denen gemäß § 46 Abs. 2 S. 3 RVG auch die Kosten für Übersetzungen und Dolmetscher gehören, für das weitere Kostenfestsetzungsverfahren bindend. Die Entscheidung des Gerichts, mit der die Erforderlichkeit festgestellt werde, erfolge nach Anhörung des Bezirksrevisors und sie sei zu begründen. Sie sei jedoch nicht anfechtbar (vgl. Toussaint/Toussaint, a.a.O.), auch nicht für die Staatskasse (NK-GK/Hagen Schneider, 3. Aufl. 2021, RVG § 46 Rn 28).

Auf der zweiten Stufe, nämlich im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 55 RVG, entscheide der zuständige Kostenbeamte, ob die auf der ersten Stufe vom Gericht für erforderlich erachteten Auslagen auch der Höhe nach erstattungsfähig seien. Werden Auslagen für Übersetzungen oder Dolmetscher geltend gemacht, so prüfe er insbesondere, ob diese sich – wie in § 46 Abs. 2 S. 3 2. Hs. RVG geregelt – auf die nach JVEG erstattungsfähigen Beträge beschränken.

Bindung auf der ersten Stufe

Dies zugrunde gelegt hätte der Kostenbeamte die mit Beschluss vom 15.6.2021 getroffene Entscheidung des AG, dass die Übersetzung der fraglichen 259 Seiten für eine sachgerechte Verteidigung im Auslieferungsverfahren erforderlich war, hinzunehmen. Er sei nicht berechtigt gewesen, unter Verstoß gegen die ausdrückliche gesetzliche Regelung und unter Missachtung der gesetzlich bestimmten Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Prüfung der Höhe inzident erneut und ohne Zuständigkeit die Erforderlichkeit der Übersetzungskosten zu prüfen, wie dies im Kostenfestsetzungsbeschluss geschehen sei.

Etwas anderes gelte auch nicht etwa deshalb, weil die Entscheidung des AG insofern fehlerhaft gewesen sei, als weder eine Anhörung des Bezirksrevisors noch eine eigene Prüfung der beantragten Auslagen stattgefunden habe und der Beschluss außerdem jegliche Begründung vermissen lasse. Stelle ein Gericht, und sei es auch fehlerhaft, die Erforderlichkeit einer Reise oder anderer Auslagen fest, schaffe es für den Rechtsanwalt einen Vertrauenstatbestand, auf den sich der Rechtsanwalt verlassen dürfe (Hartung/Schons/Enders/Hartung, 3. Aufl. 2017, RVG § 46 Rn 59). Das OLG merkt an, dass der Kostenbeamte, wenn er sich denn über eine gerichtliche Entscheidung hinwegsetzen möchte, seine eigene zumindest in einem solchen Umfang begründen sollte, damit eine inhaltliche Nachprüfung möglich sei. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 7.4.2022 teile aber zu keinem der als für eine sachgerechte Verteidigung nicht erforderlich erachteten Dokumente mit, worauf sich diese Einschätzung stützt. Auch die Stellungnahme des Bezirksrevisors verhalte sich dazu nicht.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

1. Die Entscheidung ist zutreffend und erinnert noch einmal daran, dass es für den Pflichtverteidiger sinnvoll sein kann, beim Gericht die Feststellung der Notwendigkeit von als erforderlich angesehenen Auslagen/Aufwendungen, also z.B. Kopien aus der Akte, Reisen oder eben auch Übersetzungen, zu beantragen. Stellt das Gericht die Notwendigkeit fest, gilt das auch für das Kostenfestsetzungsverfahren. An der Stelle sollte es dann keinen Streit mehr mit der Staatskasse geben. Lehnt das Gericht die Feststellung ab, ist damit nichts verloren. Denn diese Ablehnung ist anders als die positive Bescheidung für das Kostenfestsetzungsverfahren nicht bindend (s. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 219 ff.).

Überprüfung der Höhe

2. Angesichts der Bindungswirkung unterliegt dann im Kostenfestsetzungsverfahren nur noch die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen (hier der Übersetzungskosten) einer Überprüfung, wobei diese anhand einer an Treu und Glauben orientierten Auslegung des Festsetzungsbeschlusses begrenzt werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.9.2014 – III-1 Ws 247/14 u. 1 Ws 293/14). Darauf hat das LG Augsburg (a.a.O.) in der Beschwerdeentscheidung hingewiesen.

Kein „Blindantrag“

3. Das LG Augsburg (a.a.O.) hat in seiner Entscheidung zudem darauf hingewiesen, dass die Staatskasse zu Recht moniere, dass die Übersetzung von insgesamt 259 Seiten, welche lediglich äußerst pauschal als „Aktenteile aus dem in Serbien gegen den Betroffenen geführten Strafverfahren nebst anwaltlichem Schriftverkehr und einem Social-Media-Chat“ bezeichnet worden seien, nicht zwingend – wie seitens des AG geschehen – vollumfänglich als erforderliche Aufwendung hätten angesehen werden müssen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Verteidigerin mithilfe ihres Mandanten – welcher offensichtlich auch imstande gewesen sei, eine aus seiner Sicht nicht rechtsstaatliche Vorgehensweise zu schildern – durchaus hätte zugemutet werden können, die einzelnen Schriftstücke zumindest grob vorzusichten bzw. sich schrittweise vorzuarbeiten (zunächst Übersetzung der Anmerkungen des Verteidigers oder der Urteile der höheren Gerichte, dann Übersetzung der sich daraus ergebenden Dokumente). Auf die Frage kam es wegen der grundsätzlichen Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Feststellungsbeschlusses zwar nicht an. Die Ausführungen des LG sollten jedoch Anlass sein, nicht ggf. blind die gesamte Akte übersetzen zu lassen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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