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Haftzuschlag im Überprüfungsverfahren

Im Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB fällt ein gebührenrechtlicher Haftzuschlag für die Terminsgebühr des Verteidigers nach RVG-VV Nr. 4203 nicht an, wenn ein in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachter im Zeitpunkt der Anhörung im Rahmen einer extramuralen Belastungserprobung in einer externen betreuten Wohneinrichtung wohnt, in der er in seiner Bewegungsfreiheit keinen maßgeblichen Einschränkungen unterliegt.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.10.20222 Ws 273/22

I. Sachverhalt

Seit 2019 untergebracht, seit 2021 in einer betreuten Wohnreinrichtung

Der Verurteilte ist durch Urteil vom 21.3.2019 seit dem 29.3.2019 gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Für das jährliche Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet. Der Untergebrachte wohnte ab dem 9.4.2021 dauerhaft im Rahmen einer extramuralen Belastungserprobung im Haus Q in M, einer betreuten Wohneinrichtung für psychisch erkrankte Menschen. Die dort vorgegebene Struktur sah einen vormittäglichen Dienst in Küche oder Gemeinschaftsräumen in Kombination mit einem gemeinsamen Essen vor. Ansonsten war der Untergebrachte in seiner Freizeitgestaltung frei, konnte die Einrichtung etwa für Spaziergänge, sportliche Aktivitäten o.Ä. verlassen.

Wohnsitz weiterhin im betreuten Wohnen

Mit Beschluss vom 28.3.2022 hat das LG die weitere Vollstreckung der angeordneten Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt. Nach Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung behielt der Verurteilte auf eigenen Wunsch seinen Wohnsitz in der betreuten Wohneinrichtung bei. Im Aussetzungsbeschluss wurde er u.a. angewiesen, Veränderungen seines Wohnsitzes nur nach vorheriger Rücksprache mit dem/der zuständigen Bewährungshelfer/in sowie der ihn betreuenden und behandelnden forensischen Ambulanz des Zentrums für Psychiatrie in … vorzunehmen.

Verfahrensgang

Der Verteidiger hat die Festsetzung seiner Vergütung für die Verteidigung des Verurteilten im letzten Abschnitt des Vollstreckungsverfahrens beantragt. Er hat dabei eine Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr für die Teilnahme an einer mündlichen Anhörung – jeweils mit Haftzuschlag (Nrn. 4201 und 4203 VV RVG) – geltend gemacht. Die UdG hat in ihrem Festsetzungsbeschluss die beantragten Haftzuschläge jeweils abgesetzt, Das LG hat – nach Übertragung des Verfahrens auf die Kammer nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 S. 2 RVG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache – auf die Erinnerung des Verteidigers den Kostenfestsetzungsbeschluss der UdG dahingehend abgeändert, dass dem Verteidiger der Haftzuschlag für die Verfahrensgebühr nach Nr. 4201 VV RVG gewährt worden ist. Die wegen der der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Übrigen zugelassene Beschwerde des Verteidigers hatte beim OLG keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Nicht auf freiem Fuß?

Nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG entstehe – so das OLG – eine Gebühr mit Zuschlag, wenn sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet (vgl. dazu u.a. KG RVGreport 2008, 463 = RVGprofessionell 2008, 212 = NStZ-RR 2009, 31 = JurBüro 2009, 83 = StRR 2009, 156; OLG Stuttgart RVGprofessionell 2010, 169 = AGS 2010, 429 = RVGreport 2010, 388 3; OLG Jena NStZ-RR 2009, 224 [Ls.] = AGS 2009, 385; OLG Celle StraFo 2008, 443–444; OLG Hamm, Beschl. v. 31.12.2007 – 1 Ws 790/07). Nicht auf freiem Fuß befinde sich der Mandant, wenn er in einer Einrichtung des Strafvollzugs inhaftiert oder in einer Einrichtung des Maßregelvollzugs untergebracht sei. Nach ganz überwiegender Auffassung sei in diesem Sinne inhaftiert auch der im offenen Vollzug befindliche Mandant (vgl. Knaudt, in: BeckOK-RVG, 57. Ed., Stand 1.9.2022, RVG VV Vorbemerkung 4 Rn 64; Kremer, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, RVG [VV Vorbemerkung 4] Rn 41; KG StraFo 2007, 483 = RVGreport 2007, 462 = AGS 2007, 619 = StRR 2007, 359 = JurBüro 2007, 644; OLG Jena a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.). Es entspreche weiter allgemeiner Auffassung, dass der Haftzuschlag nicht zu gewähren sei, wenn sich der Mandant freiwillig in einer stationären Therapieeinrichtung befinde, obwohl er auch dort Einschränkungen in seiner Bewegungsfreiheit unterliegen kann (vgl. OLG Bamberg StRR 2007, 283 (Ls.) = RVGreport 2008, 225), denn diese Einschränkungen seien nicht staatlich veranlasst. Die Frage, ob der Haftzuschlag dann zu gewähren sei, wenn ein Untergebrachter sich im Rahmen von Lockerungen in einem Übergangswohnheim oder im Rahmen einer extramuralen Belastungserprobung in einer externen betreuten Wohneinrichtung befinde, werde in der obergerichtlichen Rechtsprechung – soweit ersichtlich – uneinheitlich beantwortet. Während das OLG Jena in seinem Beschluss vom 30.1.2009 (a.a.O.) einen Haftzuschlag bei Unterbringung des Mandanten in einem Übergangswohnheim zugebilligt habe, hätten das KG in der Entscheidung vom 29.8.2008 (RVGreport 2008, 463 = RVGprofessionell 2008, 212 = NStZ-RR 2009, 31 = JurBüro 2009, 83 = StRR 2009, 156) und das OLG Stuttgart in seinem Beschluss vom 20.7.2010 (a.a.O.) die Gewährung des Haftzuschlags im Falle eines in einer sozialpsychiatrisch betreuten Wohneinrichtung Untergebrachten abgelehnt, weil er dort keinen erheblichen Einschränkungen in seiner Bewegungsfreiheit unterliege. Auch das OLG Jena (a.a.O.) habe im Übrigen in seinem Beschluss die Gewährung des Haftzuschlags maßgeblich mit den in der konkreten Einrichtung bestehenden erheblichen Einschränkungen des Untergebrachten in seiner Bewegungsfreiheit begründet.

Entscheidung wie KG und OLG Stuttgart

Das OLG schließt sich den Entscheidungen des KG (a.a.O.) und des OLG Stuttgart (a.a.O.) an, dass ein Haftzuschlag dann nicht zu gewähren ist, wenn der Mandant sich im maßgeblichen Zeitpunkt in einer externen betreuten Wohneinrichtung befindet, in der er – wie nach Auffassung des OLG hier – keinen maßgeblichen Einschränkungen in seiner Bewegungsfreiheit unterliegt. Der maßgebliche Unterschied zur Behandlung der Fälle des offenen Vollzugs liegt nach Auffassung des OLG darin, dass ein Untergebrachter, der sich im Rahmen einer extramuralen Belastungserprobung in einer externen offenen Wohneinrichtung befindet, dort in aller Regel in seiner Bewegungsfreiheit nur wenigen Einschränkungen unterliegt, weil im Rahmen einer solchen Belastungserprobung gerade ein Leben in weitgehender Freiheit, das den Untergebrachten im Falle einer Aussetzung der Maßregel erwartet, unter realen Bedingungen erprobt werden soll. Demgegenüber unterliege der Verurteilte, der sich im Rahmen von Vollzugslockerungen im offenen Strafvollzug befinde, dort sehr wohl erheblichen Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit. So müsse er sich etwa nach Ende seiner Arbeitszeit in der Regel unverzüglich zurück in die Justizvollzugsanstalt begeben und dürfe sich während der Arbeitszeit ohne ausdrückliche Genehmigung der Vollzugsanstalt nicht von seiner Arbeitsstätte entfernen. Ob ein Haftzuschlag ausnahmsweise dann zu gewähren sei, wenn der Untergebrachte in der externen Einrichtung wesentlichen Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit unterworfen ist, brauchte das OLG nach einer Auffassung nicht zu entscheiden.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffende Entscheidung

Die Entscheidung ist zutreffend. Sie entspricht der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung, die das OLG in seinem Beschluss anführt (vgl. zum Haftzuschlag allgemein Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 4 VV Rn 105 ff. m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, Vorb. 4 VV Rn 44 ff. m.w.N.). Zu Recht hat das OLG darauf hingewiesen, dass in den Fällen des „betreuten Wohnens“ wegen der nicht oder nur leicht eingeschränkten Bewegungsfreiheit des Untergebrachten für den Verteidiger keine Erschwernisse entstehen, die die Anwendung der Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG rechtfertigen würden. Nicht verkennen darf man allerdings, dass die überwiegende Auffassung der OLG ebenso wie die teilweise abweichende des OLG Jena (a.a.O.) zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen kann. Denn was sind „maßgebliche Einschränkungen“, die nach Auffassung des OLG einen Zuschlag rechtfertigen sollen? Die Beantwortung der Frage führt dann doch wieder zu einer „Einzelfallbetrachtung“, die durch die Pauschalregelung in Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG an sich vermieden werden sollte.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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