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Gebührenbemessung und Kostenerstattung im Bußgeldverfahren

1. Eine Angelegenheit hat wegen eines drohenden einmonatigen Fahrverbotes bei einer beruflichen Abhängigkeit vom Führerschein und daraus resultierenden persönlichen und wirtschaftlichen Härten mit einer möglichen Existenzgefährdung für den Betroffenen eine überdurchschnittliche Bedeutung.

2. Zur Erstattung der Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei einem standardisierten Messverfahren.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Ratingen, Beschl. v. 25.11.202220 OWi 413/21

I. Sachverhalt

Streit um Gebührenhöhe und Erstattung der Kosten für ein Sachverständigengutachten

Der Rechtsanwalt hat den Betroffenen im Bußgeldverfahren vertreten. Das Verfahren ist von der Verwaltungsbehörde eingestellt worden. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen sind der Staatskasse auferlegt worden. Über die Höhe der Erstattung wird nun gestritten. Die Behörde hat notwendige Auslagen in Höhe von 850,26 EUR festgesetzt. In Streit stehen noch zum einen die Differenzbeträge zwischen einer von der Behörde in Ansatz gebrachten Mittelgebühr und der vom Betroffenen begehrten Erhöhung wegen einer vorgetragenen überdurchschnittlichen Bedeutung der Sache und einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit sowie zum anderen die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines privaten Sachverständigengutachtens in Höhe von 1,350,03 EUR. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Gebührenhöhe

Das AG ist davon ausgegangen, dass die Angelegenheit bereits wegen des drohenden einmonatigen Fahrverbots bei einer beruflichen Abhängigkeit vom Führerschein und der daraus resultierenden persönlichen wirtschaftlichen Härte mit einer möglichen Existenzgefährdung für den Betroffenen eine überdurchschnittliche Bedeutung hatte. Insbesondere wenn ein Eintrag von mehr als zwei Punkten in Betracht komme, liege eine hohe Bedeutung für den Betroffenen vor, sodass eine erhöhte Gebühr veranschlagt werden könne (vgl. LG Gera JurBüro 2000, 581; LG Potsdam MDR 2000, 581).

Im Übrigen sei das Verfahren wegen des Verfahrensablaufs eindeutig auch überdurchschnittlich schwierig gewesen. Der Verteidiger habe wegen der Aktenunvollständigkeit einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG stellen müssen, u.a., weil die Behörde sich weigerte, die Messreihe zur Verfügung zu stellen. Ferner sei in Hinblick darauf, dass die Behörde nach erstmaliger Zurückverweisung der Sache eine Vorladung zur Vernehmung an den Betroffenen gesandt habe, obwohl dieser bereits mitgeteilt hatte, keine Angaben zur Sache zu machen, ein erneutes Tätigwerden des Verteidigers erforderlich gewesen, das in einem Verfahren mit durchschnittlicher Schwierigkeit nicht erforderlich gewesen wäre.

Erstattung der Gutachterkosten

Der Betroffene konnte nach Auffassung des AG auch die angemessen erscheinenden Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens in Höhe von 1.350,03 EUR in Ansatz bringen. Kosten für die Einholung eines – privaten – Sachverständigengutachtens seien ausnahmsweise dann als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen seien oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich sei, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre (vgl. nur LG Wuppertal, Beschl. v. 8.2.2018 – 26 Qs 214/17, RVGreport 2018, 223 = VRR 8/2018, 17 = Sonderausgabe StRR 12/2018, 7 = RVGprofessionell 2019, 8), Bei einem standardisierten Messverfahren wie hier dem verwendeten Messgerät PoliscanSpeed bestünden realistischerweise nur dann Möglichkeiten des Betroffenen, konkrete Einwendungen vorzubringen, wenn er bereits frühzeitig vor einem etwaigen Hauptverhandlungstermin ein Privatgutachten einhole. Die Argumentation der Behörde im Kostenfestsetzungsbescheid, es sei wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes zumutbar, auch ex ante notwendig erscheinende Ermittlungen erst dann selbst zu veranlassen, wenn das in der Hauptsache zuständige Gericht diese abgelehnt habe, erscheine in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren jedenfalls bei Anwendung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens unrealistisch, weil nach Ablehnung entsprechender Beweisanträge im Hauptverhandlungstermin regelmäßig unmittelbar eine Entscheidung des Gerichts erfolge. Somit habe der Betroffene jedenfalls zum Zeitpunkt seines Einspruchs davon ausgehen müssen, dass keine Beweiserhebung zur Ordnungsgemäßheit der Messung erfolgen würde, wenn er keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler vorbringe. Da nicht ersichtlich sei, dass solche vor Beauftragung des Gutachtens vorgelegen hätten, seien aus der maßgeblichen Ex-ante-Sicht des Betroffenen ohne die Einholung seines privaten Gutachtens seine Verteidigungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt gewesen.

III. Bedeutung für die Praxis

Gebührenhöhe

1. Die Ausführungen des AG zur Gebührenhöhe sind zu begrüßen. Bußgeldverfahren erfordern wegen der Besonderheiten der Rechtsprechung zum standardisierten Messverfahren einen erhöhten Arbeitsaufwand, sodass sie überdurchschnittlich sind. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Folgen für den Betroffenen, auf die das AG ebenfalls abgestellt hat. Warum es dazu allerdings Rechtsprechung aus der Zeit vor Inkrafttreten des RVG zitiert, erschließt sich nicht (zur aktuellen Rechtsprechung Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. m.w.N.).

Kosten des Sachverständigengutachtens

2. Mit der Entscheidung zur Erstattung der Gutachtenkosten kann man als Verteidiger im Straf- und/oder Bußgeldverfahren argumentieren. Sie setzt die Auffassung anderer Gerichte um, wonach bei Notwendigkeit der Einholung eines SV-Gutachtens zu technischen Spezialfragen die entstehenden (vorgerichtlichen) Sachverständigenkosten im Fall von Freispruch oder Einstellung des Verfahrens zu erstatten sind (vgl. z.B. LG Detmold, Beschl. v. 10.1.2012 – 4 Qs 1/12 für ein unfallanalytisches Privatgutachten). Ähnlich wird entschieden, wenn es um den Verdacht einer Unfallmanipulation/den Vorwurf des Versicherungsbetruges geht und dem nachgegangen werden muss (OLG Bremen NJW 2016, 509 im Zivilverfahren).

Höhe der Kosten

Unabhängig von der grundsätzlichen Frage der Erstattung muss der Verteidiger immer auch die Höhe der ggf. entstehenden Kosten im Auge behalten. Ggf. werden nämlich die entstandenen Kosten, selbst wenn sie grds. als erstattungsfähig angesehen werden, nicht in voller Höhe erstattet (dazu z.B. KG RVGreport 2012, 429; LG Wuppertal AGS 2016, 38). Es ist also darauf zu achten, dass sich z.B. die Kosten/Auslagen eines SV nicht zu weit von den Sätzen des JVEG entfernen (vgl. die Fallgestaltung KG a.a.O.; LG Wuppertal a.a.O.). Jedenfalls ist in solchen Fällen im Einzelnen darzulegen, warum die Kosten in der besonderen Höhe „notwendig“ waren (BGH NJW 2007, 1532; KG a.a.O.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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