Beitrag

Gebühren des Pflichtverteidigers für Haftterminsteilnahme

Der (nur) für einen Hafttermin bestellte Pflichtverteidiger rechnet nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG ab.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Ludwigshafen, Beschl. v. 3.3.20234a Ls 5227 Js 9474/22

I. Sachverhalt

Bestellung nur für die Haftbefehlseröffnung

Der mittlerweile verurteilte Angeklagte wurde am 22.12.2021 vorläufig festgenommen und am 23.12.2021 dem Haftrichter des AG vorgeführt, der Haftbefehl gegen ihn erlassen hat. Laut Protokoll des AG war Rechtsanwältin RA 1 „als Vertreterin für Rechtsanwalt RA 2“ anwesend. Der damals Beschuldigte erklärte im Termin laut Protokoll: „Ich möchte, dass mir Rechtsanwältin RA1 nur für den Termin als Pflichtverteidigerin beigeordnet wird. Rechtsanwalt RA2 soll mir für das gesamte Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet werden.“ Sodann wurde folgender Beschluss erlassen:

„1. Dem Beschuldigten wird gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO i.V.m. § 142 StPO Rechtsanwältin RA1 ausschließlich für die Haftbefehlseröffnung als Pflichtverteidigerin bestellt.

2. Dem Beschuldigten wird gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO i.V.m. § 142 StPO Rechtsanwalt RA 2 als Pflichtverteidiger für das gesamte Verfahren bestellt.“

Pflichtverteidigerin macht Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr geltend

Rechtsanwältin RA1 hat nun ihre gesetzlichen Gebühren gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Sie hat die Grundgebühr Nr. 4100, 4101, die Verfahrensgebühr Nr. 4104, 4105 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 4102, 4103 VV RVG angesetzt. Festgesetzt worden ist nur die Grundgebühr Nr. 4100, 4101 VV RVG.

II. Entscheidung

(Nur) Terminsvertreter = nur Grundgebühr

Das AG verweist darauf, dass seit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 die Vorführung des Beschuldigten nach §§ 115, 115a StPO zur Entscheidung über Haft ein Fall der notwendigen Verteidigung sei. Mithin sei die Mitwirkung eines Verteidigers zwingend. Eine in diesem Rahmen erfolgende Beiordnung als Pflichtverteidiger sei grundsätzlich eine umfassende Beiordnung und nicht nur eine Beiordnung für den Termin, sodass regelmäßig auch davon auszugehen sei, dass die Grund- und Verfahrensgebühr mit der Beiordnung anfallen. Der Tatsache, dass entsprechende Vorführungen regelmäßig innerhalb kurzer Zeit nach vorläufiger Festnahme oder Ergreifung erfolgen müssen und der Betroffene damit nur wenig Zeit habe, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen, trage das Gesetz durch die Möglichkeit des Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO Rechnung.

Hier habe der Beschuldigte bereits im Vorfeld der Vorführung von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Gemäß der Beschuldigtenvernehmung vom 22.12.2021 habe dieser nach entsprechender Belehrung angegeben, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Hierauf wurde Rechtsanwalt RA2 in Kenntnis gesetzt, der auch vor Ort erschienen sei. Vermerkt sei weiter, dass sich Rechtsanwalt RA2, da er zum Termin beim Haftrichter nicht anwesend sein könne, um Ersatz kümmern werde. Es sei insofern davon auszugehen, dass Rechtsanwältin RA1 durch Rechtsanwalt RA2 gebeten worden sei, den Termin beim Haftrichter für ihn wahrzunehmen. Damit handelte es sich, wie auch im Protokoll vom 23.12.2021 vermerkt und mit dem erfolgten Beiordnungsbeschluss dokumentiert, um eine Terminsvertretung durch Rechtsanwältin RA1.

Kostenrechtliche Folge einer Terminsvertretung umstritten

Die kostenrechtliche Folge einer solchen Terminsvertretung sei umstritten. Teilweise werde von einem doppelten Anfall der Grund- und Verfahrensgebühr ausgegangen, teilweise werde dies abgelehnt. Soweit hinsichtlich der jeweiligen Ansichten sowohl von Rechtsanwältin RA1 als auch der Staatskasse Entscheidungen zitiert worden seien, träfen diese jeweils nicht den konkret hier vorliegenden Fall. Zwar werde bei einem einvernehmlichen Pflichtverteidigerwechsel im laufenden Verfahren regelmäßig ein entsprechender Verzicht auf die Geltendmachung der entsprechenden Gebühren durch einen Verteidiger erwartet, um mehrfache Gebührenentstehungen zu vermeiden, vorliegend sei jedoch aufgrund der entsprechenden gesetzlichen Regelung zwingend eine Verteidigung im Termin notwendig und aufgrund des Erfordernisses einer zeitnah nach der Festnahme erfolgenden Vorführung vor den Haftrichter eine Teilnahme des gewünschten Verteidigers häufig nicht möglich. Aufgrund dieser zeitlichen Komponente weiche der Fall auch von Terminsvertretungen im Rahmen von Hauptverhandlungen ab, bei denen sowohl Gericht als auch Verteidigung in der Regel einen weit größeren Spielraum haben, Termine zu finden, die vom (Pflicht-)Verteidiger wahrgenommen werden können, und eine Vertretung damit nicht erforderlich machen. Erfolge eine Terminsvertretung gleichwohl wegen Terminskollisionen des Verteidigers, könne es in so gelagerten Fällen sachgerecht sein, dass sich dies gebührenrechtlich zu Lasten der Verteidiger auswirkt. Weshalb die vom Gesetzgeber durch die Einführung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung getroffene Entscheidung zur Notwendigkeit der Verteidigung dagegen kostenrechtlich zu Lasten des die Verteidigung im Vorführungstermin übernehmenden Verteidigers oder des vom Betroffenen innerhalb der Drei-Wochen-Frist gewählten Verteidigers erfolgen soll, sei nicht ersichtlich. Es sei auch nicht so, dass die Grundgebühr im Verfahren nur einmal anfallen könne, da diese personenbezogen (auf den Verteidiger) sei. Insoweit sei anzumerken, dass in der von der Staatskasse zum einvernehmlichen Pflichtverteidigerwechsel angeführten Kommentierung wiederum nur Bezug genommen werde auf Entscheidungen, die vor der Einführung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, insbesondere der Regelung des § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO, ergangen seien.

Nur Grundgebühr

Regelmäßig würden Grund- und Verfahrensgebühr zusammentreffen, allerdings haben beide einen eigenen Abgeltungsbereich. Die Grundgebühr entstehe grundsätzlich bei Übernahme des Mandats und erfasse eine erstmalige Einarbeitung, u.a. auch das erste Gespräch mit dem Mandanten. Diese sei damit auch im vorliegenden Fall entstanden. Die Verfahrensgebühr entstehe dagegen mit der ersten Tätigkeit, die der Rechtsanwalt aufgrund des Auftrags, die Verteidigung im Ganzen zu übernehmen, erbringt. Eine solche Übernahme sei vorliegend jedoch gerade nicht erfolgt.

III. Bedeutung für die Praxis

Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zutreffend …

Zu begrüßen ist, dass das AG davon ausgeht, dass in den Fällen der Teilnahme des Pflichtverteidigers an einem Haft(prüfungs)termin nicht nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 VV RVG entsteht (so aber unzutreffend OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.1.2023 – 4 Ws 13/23, StRR 2/2023, 38), sondern nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abgerechnet wird (so auch [inzidenter] OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, StRR 3/2023, 35).

… aber nur Grundgebühr nicht nachvollziehbar

Aber: Nicht nachvollziehbar ist, warum das AG dann nur die Grundgebühr Nr. 4100, 4101 VV RVG gewährt. Denn wenn man nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnet, entstehen für den (Pflicht-)Verteidiger alle Gebühren, also Grundgebühr, Verfahrensgebühr und auch die Terminsgebühr (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, a.a.O.; LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20; [zum früheren Recht] LG Magdeburg RVGreport 2018, 257 = StRR 5/2018, 24 = StraFo 2018, 314 = AGS 2018, 341; [zum neuen Recht] LG Magdeburg, Beschl. v. 16.7.2021 – 21 Qs 53 u. 54/21, AGS 2021, 427; LG Tübingen, Beschl. v. 6.2.2023 – 9 Qs 25/23; AG Halle (Saale), Beschl. v. 20.5.2022 – 398 Gs 540 Js 594/22 (259/22), AGS 2022, 311; AG Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022 – (278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22), AGS 2022, 513; a.A. – zum Teil zum alten Recht – OLG Celle RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534 = JurBüro 2018, 580; OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.1.2023 – 4 Ws 13/23; LG Leipzig RVGreport 2019, 338 = StraFo 2019, 439). Daran ändert m.E. auch der Umstand nichts, dass die Pflichtverteidigerin RA1 hier „ausschließlich“ für den Hafttermin bestellt worden ist. Denn auch der so beschränkt bestellte Rechtsanwalt muss sich in den Verfahrensstoff einarbeiten und ist voller Verteidiger (vgl. dazu überzeugend OLG Karlsruhe a.a.O.). Das hat das AG hier offenbar übersehen. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass es die Rechtsanwältin RA1 nur als „Terminsvertreterin“ ansieht. Denn auch als solcher stehen ihr alle Gebühren zu (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2101 ff. m.w.N.; Vorbem. 4.1 VV Rn 5 ff.).

Grundgebühr und Verfahrensgebühr immer nebeneinander

2. Unzutreffend ist die Gewährung nur der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG zudem aus einem weiteren Grund. Das AG sieht zwar (noch) zutreffend, dass neben der Verfahrensgebühr immer auch die Grundgebühr entsteht (vgl. Anm. 1 zur Nr. 4100 VV RVG). Geht man aber davon aus (vgl. dazu OLG Saarbrücken RVGreport 2015, 64 = StRR 2015, 117; LG Amberg RVGreport 2020, 141 = JurBüro 2020, 358; LG Chemnitz RVGreport 2015, 265 = StRR 2015, 319 = AGS 2015, 379; LG Duisburg VRR 2014, 319 = AGS 2014, 330 = zfs 2014, 468 = StRR 2014, 360 = RVGreport 2014, 427; LG Oldenburg RVGreport 2014, 470 = zfs 2014, 648 = AGS 2014, 552 = StRR 2015, 80; LG Saarbrücken RVGreport 2015, 221 = StRR 2015, 239 = AGS 2015, 389; LG Wuppertal RVGreport 2020, 221 = JurBüro 2020, 357; a.A. – ohne nähere Begründung – OLG Celle, Beschl. v. 26.1.2022 – 2 Ws 19/22, AGS 2022, 206; OLG Nürnberg RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29 = StRR 2015, 118 = NStZ-RR 2015, 95 [Ls.]), dann hätte das AG auch nicht nur die Grundgebühr festsetzen dürfen, sondern hätte auch die Verfahrensgebühr festsetzen müssen. Die Gebühren haben zwar eigenständige Abgeltungsbereiche, sie entstehen aber immer nebeneinander. Es entsteht die Verfahrensgebühr und daneben auch die Grundgebühr, die die Einarbeitungstätigkeit honoriert (vgl. zu allem Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021, Nr. 4100 VV Rn 26 f. m.w.N.).

LG Frankenthal

3. Das LG Frankenthal hat das AG inzwischen korrigiert und auch die Verfahresngebühr festgesetzt (siehe oben S. 18).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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