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Auslagenerstattung für den auswärtigen Rechtsanwalt in Bußgeldsachen

1. Die zivilgerichtliche Rechtsprechung zur begrenzten Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts ist auf Straf- und Bußgeldsachen nicht übertragbar.

2. Vielmehr sind – weiterhin – Reisekosten eines nicht am Sitz des Prozessgerichts ansässigen (Wahl-)Verteidigers nur dann erstattungsfähige notwendige Auslagen, wenn dieser auch zum notwendigen Verteidiger hätte bestellt werden müssen oder seine Hinzuziehung aus besonderen Gründen (schwierige Rechtsmaterie, besonderes Vertrauensverhältnis o.Ä.) erforderlich war.

3. Wenn in einer einfachen Bußgeldsache der Kontakt zwischen Betroffenen und Verteidiger ausschließlich schriftlich bzw. per Telekommunikationsmittel stattfindet, sind die Reisekosten auch nicht in Höhe einer fiktiven Informationsfahrt des Betroffenen zu einem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts erstattungsfähig.

(Leitsätze des Gerichts)

LG Hildesheim, Beschl. v. 12.12.202222 Qs 18/22

I. Sachverhalt

Der Betroffene hat im Bußgeldverfahren einen auswärtigen Verteidiger beauftragt. Dieser hat, nachdem der Betroffene freigesprochen worden ist und das AG der Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen auferlegt hat, die Erstattung seiner Reisekosten (224,28 EUR Fahrtkosten und 50 EUR Abwesenheitsgeld nebst anteiliger Umsatzsteuer) beantragt. Das AG hat diese festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Staatskasse hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Höchstmöglichen Entfernung im AG-Bezirk

1. Das LG geht davon aus, dass die Reisekosten des auswärtigen Verteidigers nicht aus der Landeskasse zu erstattende notwendige Auslagen des Betroffenen sind. Aus der Bezugnahme in § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO auf § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO ergebe sich, dass Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nach Nr. 7003 ff. VV RVG „nur insoweit“ zu erstatten seien, als seine Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig sei (vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 464a Rn 12). Selbst auf Grundlage der Rechtsauffassung des AG hätten die Kosten des auswärtigen Verteidigers daher nicht in voller Höhe festgesetzt werden dürfen, sondern – wie der Verteidiger selbst ausgeführt habe – nur in Höhe der Reisekosten eines Rechtsanwalts mit der höchstmöglichen Entfernung im Amtsgerichtsbezirk (BGH, Beschl. v. 9.5.2018 – I ZB 62/17, AGS 2028, 319 = MDR 2018, 1022), was hier zu festsetzbaren Reisekosten von etwa 63,60 EUR nebst Umsatzsteuer geführt hätte (33,60 EUR Reisekosten für jeweils etwa 40 km Hin- und Rückweg zzgl. 30 EUR Abwesenheitsgeld).

Keine Übertragung auf Straf- und OWi-Verfahren

2. Nach der Rechtsprechung der Kammer lasse sich diese zivilgerichtliche Rechtsprechung (zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 14.9.2021 – VIII ZB 85/20, AGS 2021, 506 = MDR 2021, 1486 ff.) aber nicht auf Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren übertragen. Sie betreffe ganz andere Verfahrenssituationen, nämlich Zivilprozesse mit Anwaltszwang. Im Strafverfahren sei hingegen § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO seit jeher differenziert ausgelegt worden. So ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts – unabhängig von (Amts-)Gerichtsbezirken – grundsätzlich nur dann bejaht worden, wenn das Verfahren ein schwieriges und abgelegenes Rechtsgebiet betrifft, weshalb nur ein Anwalt mit besonderen Kenntnissen auf diesem Spezialgebiet zur ordnungsgemäßen Verteidigung in der Lage ist und ein solcher Spezialist am Sitz des Prozessgerichts nicht ansässig ist (vgl. LG Koblenz NStZ 2003, 619; OLG Köln NJW 1992, 586; OLG Jena StV 2001, 242; s.a. Kotz, NStZ-RR 2012, 265, 266 f.). Ferner komme bei einem schweren Schuldvorwurf dem besonderen Vertrauensverhältnis regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu. Wenn der auswärtige Verteidiger gemäß §§ 141, 142 StPO als Pflichtverteidiger hätte bestellt werden können, dürfen seine als Wahlverteidiger geltend gemachten Auslagen dahinter nicht zurückbleiben (vgl. OLG Stuttgart RVGreport 2018, 26; OLG Nürnberg zfs 2011, 226). Hingegen hätte die unreflektierte Anwendung der zivilistischen Rechtsprechung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Strafverfahrens auch die Konsequenz, dass in Fällen notwendiger Verteidigung die Fahrtkosten eines auswärtigen Wahlverteidigers, der zum Verteidiger hätte bestellt werden können, nur bis zur Höhe der im (Amts-)Gerichtsbezirk maximal anfallenden Reisekosten erstattungsfähig wären und wohl auch nicht auf die Schwierigkeit oder Entlegenheit des Rechtsgebiets abgestellt werden könnte.

Im Ordnungswidrigkeitenverfahren träten – so das LG – die vorgenannten Konstellationen nur ganz selten auf. Im Verfahren könne sich der Betroffene selbst vertreten und die Sachverhalte seien regelmäßig – wie hier bei dem Vorwurf eines überschaubaren Verkehrsverstoßes – einfach gelagert. Wie die Bezirksrevisorin zutreffend ausgeführt habe, sei es dann dem Betroffenen grundsätzlich zumutbar, einen Rechtsanwalt am Gerichtssitz zu mandatieren, für dessen Terminswahrnehmung keine Reisekosten anfallen.

Fiktive Informationsfahrt

In ihrer Rechtsprechung habe die Kammer zwar dem Betroffenen regelmäßig Reisekosten in Höhe der nicht umsatzsteuerbelasteten Kosten einer fiktiven Informationsfahrt zu einem Rechtsanwalt am Gerichtssitz zuerkannt. Dies komme im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht. Eine persönliche Besprechung in der Kanzlei des mandatierten Rechtsanwalts habe es nicht gegeben, sodass auch nicht fiktiv für den Fall der Mandatierung eines Rechtsanwalts am Gerichtsort davon ausgegangen werden könne, dass der Betroffene diesen zum Zwecke der Information bzw. persönlichen Beratung aufgesucht habe und in entsprechender Höhe in jedem Falle Reisekosten entstanden wären. Vielmehr seien – dem einfachen und überschaubaren Sachverhalt entsprechend – schriftliche beziehungsweise telefonische Besprechungen erfolgt. Diese hätten in gleicher Weise bei Mandatierung eines Rechtsanwalts am Gerichtsort erfolgen können (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 7003 Rn 173), sodass insgesamt keine Reisekosten zu den notwendigen Auslagen gehören.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Schritt

1. Leider kann man, da die Entscheidung nun überhaupt keine konkreten Umstände aus dem Verfahren mitteilt, nicht abschließend beurteilen, ob die Entscheidung zutreffend ist oder nicht. Es spricht allerdings einiges dafür, dass hier in der Tat die Zuziehung eines auswärtigen Verteidigers nicht erforderlich gewesen sein dürfte. Das LG spricht von einem „einfachen und überschaubaren“ Sachverhalt, der offenbar eine persönliche Beratung und Besprechung nicht erfordert hat. Wenn aber, was offenbar der Fall war, die telefonische Beratung ausgereicht hat, dann dürfte auch die Zuziehung eines Verteidigers, der vor Ort war, ausgereicht haben. Denn es spricht nach den mitgeteilten Umständen auch nichts dafür, dass es sich bei dem auswärtigen Verteidiger nun um den „Anwalt des Vertrauens“ gehandelt habe. Auf den hat der Betroffene zwar grundsätzlich auch im Bußgeldverfahren Anspruch, aber eben nicht in allen Fällen (zu allem eingehend auch Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1366 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung; aus neuerer Zeit OLG Karlsruhe JurBüro 2021, 140; LG Oldenburg, Beschl. v. 13.7.2022 – 5 Qs 217/22, AGS 2023 , 420 = StRR Sonderausgabe 11/2022, 8). Fazit: Für Betroffene ist bei der Wahl des Verteidigers Vorsicht angesagt.

2. Schritt

2. Aber: Das ist nur der erste Schritt. Denn: Liegen die Voraussetzungen für die Erstattung der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nicht vor, wovon das LG ausgeht, führt das lediglich dazu, dass nur die Mehrkosten, die gegenüber der Beauftragung eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts angefallen sind, nicht erstattungsfähig sind. Der Angeklagte bzw. auch der Betroffene ist in jedem Fall berechtigt, einen im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen mit der Folge, dass dessen Reisekosten ohne eine Notwendigkeitsprüfung zu erstatten sind. Nur die Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass die Reise über den Gerichtsbezirk hinausführt, sind nicht erstattungsfähig. Tatsächlich angefallene Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts sind deshalb insoweit erstattungsfähig, als sie auch dann entstanden wären, wenn der Angeklagte einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hätte (für Strafsachen OLG Schleswig NJW 2015, 3311 = AGS 2015, 487 = RVGreport 2015, 385; LG Düsseldorf NJW 2015, 498 = AGS 2015, 7 = JurBüro 2015, 255). Es sind also nicht nur die fiktiven Reisekosten eines Rechtsanwalts vom tatsächlichen Wohnort des Angeklagten innerhalb des Gerichtsbezirks zum Prozessgericht erstattungsfähig (LG Heilbronn AGS 2017, 102 = RVGreport 2017, 174; AG Aschaffenburg AGS 2017, 493; weitere Nachw. zu allem bei Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1392). Die Kosten hätten also – entgegen der Ansicht des LG – festgesetzt werden müssen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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