Beitrag

Aktuelle Rechtsprechung zur Corona-Pandemie im Straf- und Bußgeldrecht (2022/2023)

I.

Hintergrund

„Die Corona-Pandemie ist vorbei.“ Nicht nur Deutschlands bekanntester Virologe Christian Drosten hat die Pandemie für überwunden erklärt. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist von seiner einst strengen Vorsicht abgerückt. Zum 1.2.2023 ist die Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr entfallen. Weitere Lockerungen sind am 1.3.2023 erfolgt. Hiernach könnte diese Rechtsprechungsübersicht die letzte ihrer Art sein. Andererseits: Nach der Pandemie kann auch vor der Pandemie sein. Die grundlegenden Gefahren sind nicht gebannt, sondern allenfalls zeitweise eingedämmt. Nach wie vor besteht die Gefahr von Virusmutationen, deren Auswirkungen nicht sicher vorherzusagen sind. Durch die Aufgabe der Null-Covid-Politik in China besteht zudem das ansteigende Risiko eines erneuten Exports des Virus nach Europa. Auch in rechtlicher Hinsicht wirkt die Pandemie noch länger durch die Abwicklung anhängiger Verfahren nach. So wurde etwa am 13.12.2022 ein Arzt vom LG Bochum vom Vorwurf der Ausstellung unrichtiger Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht freigesprochen. Nach Revision durch die StA wird der BGH sich mit dieser Sache zu beschäftigen haben (https://www.waz.de/staedte/bochum/prozess-gegen-bochumer-arzt-wegen-coronamaske-revision-id237188409.html). Seit dem 12.1.2023 wird dort außerdem ein Verfahren gegen einen Arzt wegen massenhafter Fälschung von Impfausweisen verhandelt (https://www.waz.de/region/rhein-und-ruhr/prozess-arzt-soll-fast-600-impfausweise-gefaelscht-haben-id237354367.html). Die Justiz wird sich also noch längerer Zeit mit den rechtlichen Folgen der Pandemie zu befassen haben.

Hier werden im Anschluss an die Rechtsprechungsübersicht in StRR 5/2022, 5 die wesentlichen einschlägigen Entscheidungen im Bereich des Straf- und Bußgeldrechts vorgestellt.

Hinweis

Zum materiellen Recht Deutscher, StRR 4/2020, 5; ZAP Fach 21, 327; zum Verfahrensrecht Deutscher, StRR 5/2020, 5.

II.

Grundlagen

Bekanntlich hat das BVerfG bereits am 19.11.2021 (BVerfGE 159, 223 = NJW 2022, 139; Bespr. Deutscher, StRR 12/2021, 6) in einer Grundsatzentscheidung die Verfassungsmäßigkeit von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen im Rahmen der damaligen Bundesnotbremse bestätigt und damit weit über deren engen zeitlichen Rahmen hinaus maßgebliche Grundsätze für die gesetzgeberische Tätigkeit zur Pandemiebekämpfung aufstellt. Die Normen dienten dem Gesundheitsschutz und damit einem legitimen Zweck. Sie seien zur Zielerreichung geeignet, wobei dem Gesetzgeber insofern ein gewisser und situationsabhängiger Spielraum zustehe. Ebenso seien sie erforderlich und angesichts der Bedeutung des Schutzes von Leben und Gesundheit in Art. 2 GG auch verhältnismäßig. Hieraus folge, dass auch die flankierenden Bußgeldvorschriften wirksam seien (näher auch zu Bewertung und Folgen des Entscheidung Deutscher a.a.O.).

III.

Das materielle Strafrecht

1. Urkundsdelikte

Bei der Maskenpflicht bestand die Möglichkeit, sich durch ein ärztliches Attest hiervon befreien zu können. Im Rahmen der Corona-Beschränkungen war es auch möglich, sich hiervon durch Vorlage des Nachweises von Impfungen oder Testungen zu befreien. Angesichts einer befürchteten Strafbarkeitslücke hat der Gesetzgeber durch das Änderungsgesetz vom 23.11.2021 (BGBl I, S. 4906, in Kraft getreten am 24.11.2021) insbesondere den Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen in § 277 StGB grundlegend geändert. Nach der alten Fassung war nur strafbar, wer ein gefälschtes Gesundheitszeugnis unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften ausstellte. Nach der neuen Fassung ist gem. § 277 Abs. 1 StGB strafbar, wer zur Täuschung im Rechtsverkehr unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand ausstellt, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften des 23. Abschnitts des StGB mit schwererer Strafe bedroht ist. Die Zweckbindung zur Vorlage nur bei bestimmten Institutionen ist also entfallen.

Hinweis

Einen Überblick zu der Novelle gibt Lichtenthäler, NStZ 2022, 138.

a) Sperrwirkung bei Altfällen?

Für Taten, die vor dem 24.11.2021 begangen wurden, war eine Strafbarkeit nach §§ 277, 279 StGB zumeist nicht gegeben (s. den letzten Bericht Deutscher, StRR 5/2022, 7 m.N.). Bei der Anwendung des § 267 StGB (Urkundenfälschung) ist streitig, ob ein Rückgriff auf diese Vorschrift überhaupt möglich ist. Zu der a.F. war die verbreitete Ansicht, dass beim Vorliegen eines Gesundheitszeugnisses gem. §§ 277, 279 StGB auch dann kein Rückgriff auf die Urkundenfälschung möglich ist, wenn aus sonstigen Gründen eine Strafbarkeit nach den genannten Vorschriften nicht gegeben ist (stv. OLG Bamberg NJW 2022, 556 = StRR 2/2022, 24 [Deutscher]; ebenso BayObLG StV 2023, 21). Diese Ansicht war fraglich (näher Deutscher, StRR 5/2022, 8). Demgegenüber hat das OLG Celle (NJW 2022, 2054) eine solche Sperrwirkung zur a.F. ausdrücklich abgelehnt (hier in einem Fall von möglicher Totalfälschung; ebenso bereits OLG Hamburg COVuR 2022, 179; OLG Schleswig NStZ 2022, 689 m. abl. Anm. Erb, 742). Der Wortlaut der Vorschriften und die Gesetzessystematik zwängen nicht zu einer solchen Auslegung. Dem ist das OLG Karlsruhe beigetreten und hat die Rechtsfrage dem BGH gem. § 121 Abs. 2 GVG zur Entscheidung vorgelegt (Beschl. v. 26.7.2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22). Es bleibt abzuwarten, wie der BGH entscheiden wird. Im Revisionsverfahren 5 StR 283/22 hat der 5. Senat des BGH mit Urteil vom 10.11.2022 den Freispruch wegen des Vorwurfs der Fälschung von Gesundheitszeugnissen gem. § 277 StGB a.F. in einem Fall gebilligt, in dem ein Nichtarzt unrichtige Impfbescheinigungen erstellt und an Abnehmer weitergegeben hatte in der Vorstellung, diese würden gegenüber Dritten – etwa Apotheken zur Erstellung eines digitalen Impfzertifikats oder in der Gastronomie – zum Nachweis einer angeblichen Schutzimpfungen vorgelegt werden. Der 5. Senat hat den Freispruch vom Vorwurf der Urkundenfälschung nach § 267 StGB allerdings beanstandet. Entgegen der Auffassung von Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung handele es sich bei § 277 StGB a.F. nicht um eine spezielle Vorschrift, die den Täter der Fälschung von Gesundheitszeugnissen im Verhältnis zu dem einer Urkundenfälschung privilegieren soll. Weder dem Zweck noch dem systematischen Zusammenhang der miteinander konkurrierenden Bestimmungen oder dem Willen des Gesetzgebers ließen sich Anhaltspunkte für eine solche Privilegierung entnehmen. Erst recht entfalte § 277 StGB a.F. keine „Sperrwirkung“ gegenüber § 267 StGB, wenn der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen – so wie hier – nicht (vollständig) erfüllt ist (das schriftliche Urteil ist – Stand: 7.3.2023 – noch nicht veröffentlicht worden; zitiert nach der Pressemitteilung des BGH: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=8c604788756aaf2caff2d77a7dfb423a&nr=131656&linked=pm&Blank=1).

b) Unrichtiges Gesundheitszeugnis

Eine Strafbarkeit nach § 279 StGB setzt voraus, dass das Gesundheitszeugnis eine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand als solchen enthält. Die Feststellung, ob eine Aussage über den Gesundheitszustand unwahr ist, ist vom Gericht aufgrund einer – von § 244 StPO geleiteten – Beweiswürdigung zu treffen (BayObLG NJW 2022, 3455). Ein ärztliches Gesundheitszeugnis ist falsch, wenn die für die Beurteilung des Gesundheitszustands erforderliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde und sich dies nicht hinreichend aus dem Attest selbst ergibt (OLG Celle, Beschl. v. 16.11.2022 – 2 Ss 137/22). Ein ärztliches Attest über die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes enthält die konkludente Erklärung des Arztes, dass eine körperliche Untersuchung der genannten Person stattgefunden hat. Wird in einem ärztlichen Attest der darin genannten Person bescheinigt, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis i.S.v. § 278 Abs. 1 a.F. StGB. Hat ein Täter das von einem Arzt vorunterzeichnete, in den sozialen Medien zum Download bereitgestellte Blanko-Formular, in dem der noch einzutragenden Person die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes attestiert wird, mit seinen Personalien ergänzt und das vervollständigte Formular gegenüber der Polizei zur Vortäuschung einer bei ihm gegebenen Kontraindikation vorgezeigt, um die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu umgehen, ist eine Strafbarkeit wegen Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 278 Abs. 1 a.F., 279 a.F. StGB gegeben (OLG Celle NStZ 2022, 615 = StRR 8/2022, 25 [Deutscher]). Eine ärztlich ausgestellte Impfunfähigkeitsbescheinigung ist ein Gesundheitszeugnis i.S.d. § 278 StGB. Ein Gesundheitszeugnis ist in der Regel schon dann unrichtig, wenn ihm keine ordnungsgemäße Untersuchung durch den ausstellenden Arzt zugrunde liegt (LG Nürnberg-Fürth NStZ 2022, 690). Eine Bescheinigung der vorläufigen Impfunfähigkeit soll demgegenüber kein unrichtiges Gesundheitszeugnis gem. § 279 StGB darstellen (so LG Lüneburg, Beschl. v. 8.9.2022 – 22 Qs 55/22, zw.; zu den erforderlichen Feststellungen für den Gebrauch eines verfälschten Impfausweises BayObLG, Beschl. v. 22.7.2022 – 202 StRR 71/22).

c) Strafzumessung

Bei Verurteilungen wegen des Gebrauchs gefälschter Impfpässe können im Rahmen der Strafzumessung regelmäßig auch generalpräventive Gesichtspunkte Berücksichtigung finden (AG Landstuhl NStZ 2022, 365 = StRR 3/2022, 28 [Deutscher]; zur Strafzumessung auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.11.2022 – 3 Rv 32 Ss 675/22).

2. Weitere Straftatbestände

a) Volksverhetzung: „Judenstern“ – ungeimpft

Bei Versammlungen gegen die Corona-Beschränkungen und in sozialen Medien wurden mehrfach „Judensterne“ verwendet, bei denen das Wort „Jude“ durch den Begriff „ungeimpft“ ersetzt wird. Streitig ist, ob dies eine strafbare Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 sein kann. Angenommen wird das vom LG Würzburg (NStZ-RR 2022, 242 m. Anm. Bode = StRR 8/2022, 27 [Deutscher]) im Anschluss an BayObLG, Beschl. v. 25.6.2020 – 205 StRR 240/20; mit eingehender Begründung LG Köln, Beschl. v. 4.4.2022 – 113 Qs 6/22. Abgelehnt wird eine solche Strafbarkeit vom OLG Saarbrücken (NStZ-RR 2021, 209 Ls.) und vom LG Aachen (Beschl. v. 18.8.2022 – 60 Qs 16/22).

Hinweis

Eingehend zu diesen Entscheidungen Deutscher, StRR 2/2023, 6. Allgemein weiterführend Hoven/Obert, NStZ 2022, 331.

b) Gehorsamsverweigerung: Soldat lehnt Impfung ab

Nach § 17a Abs. 2 S. 1 SG muss ein Soldat ärztliche Eingriffe, zu denen Impfungen gehören, auch gegen seinen Willen dulden, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen. Eine Ausnahme besteht gem. § 17a Abs. 4 S. 2 SG nur, wenn im Einzelfall die ärztliche Behandlung mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Soldaten verbunden wäre. Die Weigerung, dem Befehl zu einer Corona-Impfung zu folgen, ist daher als Gehorsamsverweigerung nach § 20 WStG strafbar, wobei allerdings Feststellungen zu einem denkbaren Irrtum über die Verbindlichkeit des Befehls nach § 22 Abs. 3 WStG zu treffen sind (OLG Celle StV 2023, 37 = StRR 2/2023, 24 [Deutscher]).

c) Gemeinschädliche Sachbeschädigung: Anzünden eines Testzelts

Das Anzünden eines Corona-Testzelts ist eine gemeinschädliche Sachbeschädigung gem. § 304 Abs. 1 StGB (OLG Stuttgart, Beschl. v. 9.6.2022 – 4 Rv 26 Ss 173/22).

IV.

Bußgeldrecht

1. Wirksamkeit der Normen

Das BVerwG hat sich zur Wirksamkeit landesrechtlicher Corona-Beschränkungen geäußert (Urt. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 und 2.21). In Bayern war das Verlassen der eigenen Wohnung nur aus triftigen Gründen erlaubt. Das VGH München hat diese Regelung für unwirksam erklärt, da die triftigen Gründe zu eng gefasst seien (COVuR 2021, 739). Das hat das BVerwG bestätigt. Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung über die Kontaktbeschränkung für den Aufenthalt im öffentlichen Raum, die Untersagung von Gastronomiebetrieben und die Schließung von Sportstätten einschließlich Golfplätzen hätten dagegen im IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage gehabt und seien auch verhältnismäßig gewesen.

2. Einzelfragen

a) Aufenthalt und Ansammlung im öffentlichen Raum

Eine „Ansammlung“ i.S.d. § 5 S. 1 der 11. BayIfSMV setzt ein Zusammentreffen einer größeren Anzahl von Personen voraus. Bei der Festlegung der erforderlichen Anzahl der Teilnehmer sind die Besonderheiten des Einzelfalls und insbesondere der infektionsschutzrechtliche Zweck, der darauf gerichtet war, die Ausbreitung des Corona-Virus zu unterbinden, zu berücksichtigen. Eine nach § 5 S. 1 der 11. BayIfSMV verbotene „Veranstaltung“ ist anzunehmen, wenn ein Veranstalter, ein bestimmter Veranstaltungsgegenstand und auch ein Minimum an Organisation vorhanden sind. Unter eine vom Verbot des § 5 der 11. BayIfSMV ausdrücklich ausgenommene „Versammlung“ im verfassungsrechtlichen Sinne fallen nur solche Veranstaltungen, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind. Maßgeblich für eine Versammlung ist mithin die gemeinschaftliche Meinungskundgabe (BayObLG, Beschl. v. 31.3.2022 – 202 ObOWi 220/22; zur Teilnahme an einem „Montagsspaziergang“ AG Landstuhl, Urt. v. 1.9.2022 – 2 OWi 4116 Js 8252/22). Ein Versammlungsverbot gem. § 15 VersG mittels Allgemeinverfügung aufgrund infektionsschutzrechtlicher Gründe ist jedenfalls unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 8 Abs. 1 GG rechtswidrig, wenn die Versammlungsbehörde nicht umfassend sämtliche in Betracht kommenden milderen Mittel (wie etwa Auflagen mit der Verpflichtung zur Einhaltung von Mindestabständen, Beschränkung der Teilnehmerzahl, Maskenpflicht, Durchführung der Versammlung an einem Alternativstandort) abwägt (AG Reutlingen, Urt. v. 30.6.2022 – 4 OWi 24 Js 6379/22). Will das Tatgericht bei Verstößen gegen eine Corona-Verordnung die Gefährlichkeit des Verstoßes für das Infektionsgeschehen maßgeblich berücksichtigen, sind in den Feststellungen konkrete Ausführungen zu Art und Ausmaß dieser Gefährlichkeit erforderlich (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.7.2022 – 1 Rb 34 Ss 398/22).

b) Gastronomie und Partys

Die Bewirtung von Gästen in einem vollständig überdachten und nach allen Seiten von Wänden oder Fenstern eingegrenzten Raum erfüllt auch dann nicht den Begriff der Außengastronomie i.S.v. § 27 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 der 12. BayIfSMV, wenn infolge geöffneter Türen und Fenster und eines nicht vollständig aufliegenden Daches Zugluft entstehen kann (BayObLG, Beschl. v. 9.8.2022 – 201 ObOWi 903/22). Das in § 2 Abs. 1 CoronaSchVO NRW (Fassung vom 7.1.2021) normierte Verbot von „Partys und vergleichbaren Feiern“ ist formell und materiell rechtmäßig. Der Verordnungsgeber wollte unter den Begriff der „Party und ähnlicher Feiern“ sämtliche Ansammlungen mehrerer Personen fassen, die sich zu einem geselligen Zweck in ausgelassener Stimmung zusammenfinden, weil gerade solche Zusammenkünfte auch auf physische Kontakte ausgerichtet sind, mit denen naturgemäß ein erhöhtes Infektionsrisiko einhergeht. Diese Gefahr besteht gerade nicht nur bei großen Gruppen, sondern auch bei kleinen Gruppen (zumal in beengten Räumlichkeiten). Insbesondere wenn Musik abgespielt und Alkohol konsumiert wird, ist die Gefahr eines relevanten Distanzverlustes ungeachtet der Teilnehmerzahl evident (OLG Hamm COVuR 2022, 496). In diesem Zusammenhang: Nicht jede Arztpraxis ist öffentlich zugänglich i.S.v. § 4 Nds. Coronaverordnung vom 30.10.2020 und damit zur Erstellung eines Hygienekonzepts verpflichtet (OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.9.2022 – 2 Ss (OWi) 131/22),

c) Verstöße gegen die Maskenpflicht

Das IfSG enthielt mit den in den §§ 28, 28a, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende verfassungskonforme Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 CoronaVO BW vom 30.11.2020 angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung in und im Warte- und Zugangsbereich von Einkaufzentren und Ladengeschäften) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 CoronaVO. Allein aus der Verwendung des Begriffs „ärztliche Bescheinigung“ in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO ist – auch in Verbindung mit dem jedenfalls durch gefestigte Rechtsprechung konkretisierten Begriff der „Glaubhaftmachung“ – für den Normadressaten nicht erkennbar, welche inhaltlichen Anforderungen an eine solche Bescheinigung zu stellen sind. Eine Auslegung des in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO verwandten Begriffs „ärztliche Bescheinigung“ dahingehend, dass die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests mit Angaben dazu erforderlich sei, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten sind und woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und ggf. welche relevanten Vorerkrankungen bestanden und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt ist, stellt eine vom Willen des Verordnungsgebers offensichtlich abweichende Auslegung der Ausnahmevorschrift dar und verletzt damit das im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht besondere Geltung beanspruchende Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG, das die Legislative von Verfassungs wegen verpflichtet, die Grenzen der Strafbarkeit selbst zu bestimmen (OLG Karlsruhe COVuR 2022, 374).

V.

Verfahrensrecht

1. Unterbrechung der Hauptverhandlung

Um die Aussetzung von Hauptverhandlungen wegen der Pandemie angesichts der strikten Fristen des § 229 StPO zu verhindern, hatte der Gesetzgeber nach deren Ausbruch eine Hemmung der Unterbrechungsfrist in § 10 EGStPO eingeführt. Diese Vorschrift ist am 30.6.2022 außer Kraft getreten. Zum 17.9.2022 wurde die Vorschrift wieder eingeführt, wobei die Norm bis 7.4.2023 gültig ist (BGBl I, S. 1454). Darüber hinaus haben die Bundesländer am 7.10.2022 im Bundesrat eine Entschließung zur Änderung der StPO in Form der dauerhaften Erweiterung der Hemmungstatbestände in § 229 StPO um die Fälle der höheren Gewalt verabschiedet (BR-Drucks 402/22). Die weitere Entwicklung dieses Vorhabens bleibt abzuwarten.

2. Maskenpflicht in der Hauptverhandlung

§ 176 Abs. 1 GVG regelt die Sitzungspolizei des Vorsitzenden zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung. Ein Rechtsbehelf gegen eine auf § 176 GVG gestützte sitzungspolizeiliche Anordnung ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird für den Strafprozess unter der Voraussetzung angenommen, dass der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (VGH Mannheim NJW 2022, 2865). Das ist der Fall, wenn die Weigerung eines Verteidigers, der Anordnung einer Sicherungsverfügung des Gerichtsvorsitzenden nachzukommen, eine medizinische Maske zu tragen, zur Folge haben kann, dass das Verfahren gegen den Angeklagten abgetrennt, die Hauptverhandlung gegen diesen nach § 145 Abs. 1 StPO wegen eines einem unentschuldigten Ausbleiben gleichzusetzenden Verhaltens seiner Verteidiger in der Hauptverhandlung ausgesetzt und den Verteidigern die durch die Aussetzung verursachten Kosten gemäß § 145 Abs. 4 StPO auferlegt werden. Die Anordnung, zum Schutz vor einer Covid-19-Infektion in der Hauptverhandlung eine medizinische Maske zu tragen, ist grundsätzlich von der Ermächtigung der Vorsitzenden zur Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 176 Abs. 1 GVG gedeckt. § 176 Abs. 2 GVG steht nicht entgegen (OLG München, Beschl. v. 17.5.2022 – 4d Ws 166/22). Gegen die Anordnung der Maskenpflicht im Sitzungssaal durch ein OLG ist die Beschwerde gemäß § 304 Abs. 4 S. 1, 2 StPO unzulässig. Die mit einer Mund-Nase-Bedeckung nach Darstellung des Angeklagten einhergehende Beeinträchtigung der Verteidigung ist hinsichtlich der Eingriffsschwere auch nicht mit den ausdrücklich aufgeführten Fällen vergleichbar (BGH NStZ-RR 2022, 149). Gegen einen sich selbst verteidigenden Rechtsanwalt ist es zulässig, wegen der Weigerung, in der Sitzung eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, ein Ordnungsgeld festzusetzen (OLG Oldenburg MDR 2022, 272 = StRR 2/2022, 22 [Burhoff]).

3. Testpflicht für die Hauptverhandlung

Es begegnet keinen Bedenken, dass ein Gericht eine Testung der Verfahrensbeteiligten zumindest mit einem Antigen- oder PCR-Test für geeignet hielt, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Corona-Virus SARS-Cov-2 während der mündlichen Verhandlung zu reduzieren. Die Anordnung, während der mündlichen Verhandlung eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, beruht ebenfalls auf vernünftigen Gründen des Gemeinwohls, da nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts das Tragen eines solchen Schutzes das Infektionsrisiko verringern kann (VGH Mannheim NJW 2022, 2865).

4. Fernbeleiben von der Hauptverhandlung

a) Strafverfahren

Macht der Angeklagte geltend, er habe einen Selbsttest auf eine Infektion mit dem Corona-Virus durchgeführt, der ein positives Ergebnis erbracht habe, ist dies wegen der bei Richtigkeit der Behauptung nicht auszuschließenden Infektionsgefahren für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit regelmäßig auch dann als ausreichende Entschuldigung für sein Fernbleiben anzusehen, wenn er keine körperlichen Symptome aufweist, die seine Verhandlungsunfähigkeit begründen würden. Bloße Zweifel an der Richtigkeit eines schlüssig vorgebrachten Entschuldigungsgrundes rechtfertigen die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht; ihnen hat das Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachzugehen. Eine Mitwirkungspflicht obliegt dem Angeklagten insoweit nicht. Kommt er der Aufforderung des Gerichts zur Vorlage eines Testergebnisses einer Schnellteststelle nicht nach, ist dies allein zur Begründung einer Verwerfung des Rechtsmittels nicht geeignet. Ist das Gericht davon überzeugt, dass der das Fernbleiben in der Hauptverhandlung ausreichend begründende Entschuldigungsgrund nur vorgeschoben ist, sind die tragenden Gründe hierfür im Urteil nachvollziehbar darzulegen (BayObLG, Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22).

b) Bußgeldverfahren

Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht nach § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen. Eine Entschuldigung wegen eines Ausbleibens im Termin ist nicht als genügend anzusehen, wenn der Betroffene lediglich erklärte, er leide an Symptomen, die er mit einer Covid-19-Erkrankung in Zusammenhang bringt, er jedoch weder ein Attest aus einer Arztpraxis vorwies, noch sich einem – zu diesem Zeitpunkt problemlos zur Verfügung stehenden – Selbsttest mit einem Positivergebnis unterzog. Das Gericht trifft in einem solchen Fall keine Nachforschungspflicht, denn dem Gericht sind damit keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht. Es liegt nicht in der Entscheidungskompetenz des Verteidigers, dem Betroffenen zu „gestatten“, an einem Hauptverhandlungstermin wegen einer vom Betroffenen für möglich gehaltenen Corona-Infektion ohne objektiven Nachweis fernzubleiben. Das Vertrauen des Betroffenen auf die Richtigkeit dieser Auskunft des Verteidigers ist nicht geschützt. (OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.9.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 378/22). Möchte ein Betroffener entgegen der Anordnung des Gerichts keinen Mund-Nasen-Schutz tragen und entbindet das Gericht ihn auf seinen deshalb gestellten Antrag von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens, so ist es widersprüchlich und daher rechtsbeschwerderechtlich unbehelflich, das hiernach ergangene Sachurteil mit der Begründung anzufechten, er habe eigentlich an der Hauptverhandlung teilnehmen wollen (KG, Beschl. v. 2.8.2022 – 3 Ws (B) 196–197/22 – 122 Ss 72/22).

5. Amtspflichtverletzung eines Schöffen

Weder mit Bußgeldern geahndete Verstöße gegen die Maskenpflicht bei sogenannten Montagsspaziergängen noch die bloße Teilnahme an solchen Versammlungen noch die gemäß § 26 Nr. 2 VersammlG strafbewehrte Durchführung einer derartigen Versammlung ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter begründen jeweils für sich allein oder in einer Zusammenschau die Annahme einer gröblichen Amtspflichtverletzung eines Schöffen i.S.d. § 51 Abs. 1 GVG (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.10.2022 – 1 Ws 187/22).

6. Ersatzzustellung

Eine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten (§ 180 ZPO) setzt voraus, dass zuvor ein erfolgloser Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Adressaten (§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO) unternommen wurde. Allein aus den allgemein während der Covid-19-Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen kann nicht abgeleitet werden, dass in dieser Zeit eine Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten ohne vorherigen Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen als wirksam anzusehen wäre (BFH, Zwischenurt. v. 19.10.2022 – X R 14/21).

VI.

Vollstreckungsrecht

Die Absonderung von Gefangenen ist eine zur Verhinderung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus geeignete und zulässige Maßnahme (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.10.2022 – 2 Ws 272/22; zur Streichung von Aufschlusszeiten OLG Hamburg COVuR 2022, 490 m. Anm. Bode; zur Aussetzung des Arbeitseinsatzes LG Regensburg COVuR 2022, 378). Bei der Anordnung einer sog. Einschlussregelung für einen Untersuchungshaftgefangenen kommt der gebotenen Berücksichtigung des Bedürfnisses der Gefangenen an Interaktion und internen Freiräumen besonderes Gewicht zu (hier Einschluss wegen der Corona-Pandemie; OLG Hamburg, Beschl. v. 10.6.2022 – 1 Ws 16/22). Ein Telefonat mit dem im Ausland lebenden Sohn widerspricht nicht dem Zweck der Untersuchungshaft. Außergewöhnliche Umstände liegen angesichts der unverändert fortdauernden Pandemielage vor (AG Nürnberg COVuR 2022, 310). Unterbricht die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gem. § 455 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 StPO, weil der Verurteilte ein schwerwiegendes Kriterium für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf mit einhergehender Lebensgefahr erfüllt und sich die Gefahr einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus außerhalb des Vollzugs im Rahmen einer häuslichen Isolierung besser vermeiden lässt, kann der Unterbrechungszeitraum nicht auf die Haftzeit angerechnet werden. Für eine analoge Anwendung der Regelungen zum Hafturlaub (§ 13 Abs. 5 StVollzG) ist schon mangels Regelungslücke kein Raum (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2022, 295 [Ls.]).

Richter am Amtsgericht Dr. Axel Deutscher, Bochum

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