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Zeitpunkt der Mitteilung über ein Verständigungsgespräch

Zwar enthält die StPO keine feste zeitliche Vorgabe für die gebotene Mitteilung. In aller Regel ist aber mit Blick auf die vom Gesetz bezweckte Transparenz des Verständigungsverfahrens eine umgehende Information des Angeklagten nach dem Verständigungsgespräch geboten.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 3.8.20225 StR 62/22

I. Sachverhalt

Verfahrensrüge

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

Verfahrensgeschehen

Der Angeklagte hat die Verletzung von § 243 Abs. 4 S. 2 StPO gerügt. Der Rüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Vor Beginn des neunten Hauptverhandlungstages fand zwischen den Mitgliedern der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger ein Erörterungsgespräch statt, das die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO zum Gegenstand hatte. Der Verteidiger stellte ein „qualifiziertes“ Geständnis für den Fall einer Verständigung auf eine Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten bis zu zwei Jahren und acht Monaten in Aussicht. Die Staatsanwaltschaft lehnte es angesichts der weitgehend abgeschlossenen Beweisaufnahme zunächst ab, einer Verständigung näherzutreten. Einer Anregung des Vorsitzenden folgend nannte sie im Falle eines Geständnisses ihre Strafvorstellung, die von sechs Jahren und drei Monaten bis zu sechs Jahren und sechs Monaten reichte. Nach einer fünfzehnminütigen Unterbrechung unterbreitete der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten einen Verständigungsvorschlag: Für den Fall eines „substantiellen“ Geständnisses könne sich die Strafkammer eine Strafuntergrenze von vier Jahren und eine Strafobergrenze von vier Jahren und drei Monaten vorstellen. Weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigung wollten hierzu unmittelbar Stellung nehmen. Hierüber fertigte der Vorsitzende einen Vermerk. Anschließend wurde der inhaftierte Angeklagte vorgeführt und die Hauptverhandlung mit der Vernehmung eines Zeugen fortgesetzt. Nach einer gut zwanzigminütigen Unterbrechung teilte der Verteidiger mit, dass „seitens der Verteidigung“ keine Bereitschaft zu einer Verständigung bestehe, da der Angeklagte sich nunmehr zur Sache einlassen wolle. Sodann legte dieser ein Geständnis ab. Danach wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Im Fortsetzungstermin am nächsten Tag machte der Angeklagte weitere Angaben zur Sache. Am Ende des Sitzungstages verlas der Vorsitzende den auf den Vortag datierten Vermerk über das an jenem Tag geführte Verständigungsgespräch; zuvor fand es in der Hauptverhandlung keine Erwähnung. Nach der Verlesung des Vermerks wurde die Beweisaufnahme geschlossen.

II. Entscheidung

Verstoß gegen die Mitteilungspflicht

Der BGH hat in diesem Verfahrensgang einen Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 2 StPO gesehen. Die Mitteilung sei verspätet gewesen. Zwar enthalte die StPO keine feste zeitliche Vorgabe für die gebotene Mitteilung (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 187 [Ls.]). In aller Regel sei aber mit Blick auf die vom Gesetz bezweckte Transparenz des Verständigungsverfahrens eine umgehende Information des Angeklagten nach dem Verständigungsgespräch geboten (vgl. BGH NStZ 2015, 353; 2018, 419, 420; NStZ-RR 2015, 379; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 243 Rn 56; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 243 Rn 64; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 243 Rn 18f.). Dem sei der Vorsitzende nicht gerecht geworden, weil er trotz mehrerer Unterbrechungen der Hauptverhandlung erst am Ende des zehnten Hauptverhandlungstages nach Abschluss der an zwei Verhandlungstagen abgegebenen geständigen Einlassung des Angeklagten und kurz vor Schluss der Beweisaufnahme mitgeteilt habe, dass bereits vor dem neunten Hauptverhandlungstag ein Verständigungsgespräch stattgefunden hatte. Angesichts der Ankündigung seiner geständigen Einlassung hätte spätestens vor deren Beginn Anlass bestanden, den Angeklagten über das Verständigungsgespräch zu informieren, damit dieser sein Prozessverhalten hätte darauf einstellen können Umstände, die es ausnahmsweise hätten rechtfertigen können, die Mitteilung zurückzustellen, seien nicht ersichtlich (vgl. hierzu KK-StPO/Schneider, a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

Umgehende Information

1. Es kommt also für die Ordnungsgemäßheit der Mitteilung über eine Verständigung nicht nur auf deren Inhalt, sondern auch auf den richtigen Zweitpunkt an (zur Mitteilungspflicht eingehend Burhoff, in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 228 ff.). Nach Auffassung des BGH ist „umgehend“ zu informieren.

Beruhen

2. Zudem ist immer auch die Frage des Beruhens des Urteils i.S.v. § 337 Abs. 1 StPO auf diesem Rechtsfehler zur prüfen. Dafür ist es schon ausreichend, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte bei einer Information über den Inhalt des Verständigungsgesprächs vor seiner angekündigten Einlassung sein Prozessverhalten anders als geschehen ausgerichtet hätte (vgl. KK-StPO/Schneider, a.a.O., § 243 Rn 110; MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn 96). Das hat der BGH hier bejaht. Er hat im Übrigen nicht beanstandet, dass der Angeklagte in der Revision (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO) nicht dazu vorgetragen hatte, dass er vor der Abgabe seiner Einlassung von seinem Verteidiger vollständig über den Inhalt des Verständigungsgesprächs unterrichtet worden sei und auch von seiner Seite – nicht lediglich „seitens der Verteidigung“ – keine Verständigungsbereitschaft bestanden hatte (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 22.6.2021 – 5 StR 157/21). Zu einem Vortrag, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang er vor seiner geständigen Einlassung von seinem Verteidiger über den Inhalt des Verständigungsgesprächs informiert worden war, ist der Angeklagte nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO nämlich nicht verpflichtet (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 87).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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