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Beweisverwertungsverbot zugunsten Mitbeschuldigter

Das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 S. 2 StPO gilt absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten.

(Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 7.6.20225 StR 332/21

I. Sachverhalt

Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG

Das LG hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 54 Fällen verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Aufklärungsrüge

Näher Stellung genommen hat der BGH nur zur Aufklärungsrüge des Angeklagten, mit der er beanstandet hatte, das LG habe es unterlassen, über den ihn begünstigenden Inhalt der Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren Beweis zu erheben, nachdem es deren Unverwertbarkeit auf Antrag der Verteidigung wegen eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 StPO bejaht hatte.

Angaben zu Mitbeschuldigten

Dieser Beanstandung lag zugrunde: Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren eine Einlassung abgegeben. Die Strafkammer hatte diese – wie vom Angeklagten beantragt – wegen eines Verstoßes gegen § 136a StPO für unverwertbar gehalten. Soweit seine Einlassung auch Angaben zu anderen Tatbeteiligten enthielt, die möglicherweise eine Aufklärungshilfe i.S.v. § 31 BtMG darstellen könnten, hat sie zwar erwogen, die Einlassung insoweit „vor dem Hintergrund des ‚Fair Trial‘-Grundsatzes“ gleichwohl zu verwerten, sich hieran jedoch aufgrund der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 5.8.2008 – 3 StR 45/08, NStZ 2008, 706) gehindert gesehen.

Unzulässig

Die Verfahrensrüge war nach Ansicht des BGH (schon) als unzulässig anzusehen (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO), weil jeglicher Vortrag dazu fehlte, wie sich im Zeitpunkt der Einlassung des Angeklagten die Erkenntnislage hinsichtlich der von ihm belasteten Tatbeteiligten für die Ermittlungsbehörden darstellte. Da eine zulässige Aufklärungsrüge auch die Darlegung der Umstände und Vorgänge voraussetze, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste, bedeutsam sein können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NStZ-RR 2017, 119; Urt. v. 18.7.2019 – 5 StR 649/18 und v. 29.6.2021 – 1 StR 287/20), wären hier solche Angaben erforderlich gewesen. Denn es habe nur beurteilt werden können, ob durch die Angaben des Angeklagten überhaupt ein für die Anwendung des § 31 BtMG erforderlicher wesentlicher Aufklärungserfolg hätte herbeigeführt werden können. Wäre ein solcher nicht feststellbar gewesen, habe es einer weiteren inhaltlichen Aufklärung der Angaben des Angeklagten schon deshalb nicht bedurft, weil das LG aufgrund der Aussage eines Tatbeteiligten ohnehin die Voraussetzungen der Aufklärungshilfe bejaht und betreffend die nicht verwertbaren Angaben des Angeklagten bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten Aufklärungsbemühungen berücksichtigt habe.

Entlastenden Angaben verwertbar?

Es habe deshalb – so der BGH – keines vertieften Eingehens auf die von der Revision unter Berufung auf Literaturmeinungen vertretene Auffassung bedurft, nach der auch im Fall eines Beweisverwertungsverbots gemäß § 136a Abs. 3 S. 2 StPO die entlastenden Angaben des Beschuldigten gleichwohl verwertbar sein sollen (vgl. dazu etwa Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, 655; Roxin, StV 2009, 113; MüKo-StPO/Schuhr, § 136a Rn 90 m.w.N.; vgl. auch KMR/Kulhanek, StPO, 105. EL, § 136a Rn 52: zur Vermeidung der Verurteilung von Unschuldigen; offen gelassen von LR/Gleß, StPO, 27. Aufl., § 136a Rn 71a; a.A. BGH NStZ 2008, 706; SSW-StPO/Eschelbach, § 136a Rn 63; Radtke/Hohmann/Kretschmer, StPO; § 136a Rn 40; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 136a Rn 105, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 136a Rn 27; BeckOK-StPO/Monka, 43. Ed., § 136a Rn 29; KK-StPO/Diemer, 8. Aufl., § 136a Rn 38). Die in diesem Zusammenhang beiläufig vertretene Auffassung der Verteidigung, dass die – zu den Schuldspruch betreffenden Entlastungsbeweisen entwickelten – Grundsätze der Mindermeinung gleichermaßen Geltung beanspruchten, wenn – wie hier – nur der Rechtsfolgenausspruch betroffen sei, nehme jedenfalls die Besonderheiten, die mit der Anwendung des § 31 BtMG verbunden seien, nicht hinreichend in den Blick: Der gesetzliche Milderungsgrund komme nur zur Anwendung, wenn das Gericht sich die Überzeugung davon verschafft habe, dass die Darstellung des Täters über die Beteiligung anderer an der Tat zutreffe (vgl. BGH NStZ 2009, 394 m.w.N.), er mithin über den eigenen Tatbeitrag hinaus einen erheblichen Aufklärungsbeitrag geleistet habe. Der Zweifelsgrundsatz komme ihm dabei nicht zugute (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NStZ 2003, 162; NStZ-RR 2015, 77, 78). Wie aber ein Gericht unter (teilweiser) Verwertung einer an sich unverwertbaren Einlassung zu einer vollen tatgerichtlichen Überzeugung von deren Richtigkeit gelangen solle, soweit sie allein weitere Tatbeteiligte betreffe, erschließe sich nicht. Hierbei sei in den Blick zu nehmen, dass das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 S. 2 StPO absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten (BGH, Urt. v. 14.10.1970 – 2 StR 239/70; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 136a Rn 33; HK-GS/Jäger, 5. Aufl., StPO § 136a Rn 43) gelte, sodass selbst bei einer den Angeklagten begünstigenden Berücksichtigung seiner Angaben ein Aufklärungserfolg i.S.d. § 31 BtMG über den eigenen Tatbeitrag hinaus grundsätzlich nicht bewirkt werden könnte. Auch die von der Verteidigung zitierte Literatur gehe davon aus, dass mit unverwertbaren Beweismitteln kein „positiver Nachweis“ zu führen sei und sie nur die Überzeugungskraft anderer (belastender) Beweismittel erschüttern können sollen (MüKo-StPO/Schuhr, § 136a Rn 90). Dann sind in solchen Fällen aber regelmäßig allenfalls Aufklärungsbemühungen strafmildernd zu berücksichtigen; genau dies habe die Strafkammer getan.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

M.E. ist die Entscheidung auf der Grundlage der vom BGH zu der Frage der Reichweite des aus § 136a StPO folgenden Verwertungsverbotes zutreffend. Was der Angeklagte hier von der Strafkammer verlangt hat, kam einem Spagat gleich, der so – wie der BGH zu Recht anmerkt – nicht durchführbar ist. Zumal nicht recht erkennbar war, was die Berücksichtigung der Angaben des Angeklagten diesem noch gebracht hätte. Denn strafmildernd sind seine „Aufklärungsbemühungen“ jedenfalls schon berücksichtigt worden.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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