1. Bei mehrfacher, auch einschlägiger Vorbelastung setzt eine nochmalige Strafaussetzung zur Bewährung spezifische Umstände voraus, die erwarten lassen, dass der Angeklagte sich in Zukunft straffrei führen wird.
2. Religiöse Tatmotive stehen der Vollstreckung einer Freiheitstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung nicht entgegen. (Leitsätze des Verfassers)
KG,Urt.v.4.2.2019–161 Ss 4/19
I. Sachverhalt
Das AG hatte die beiden mehrfach, teils auch einschlägig vorbestraften Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt. Anlass der Tat war, dass die Angeklagten den Nebenkläger dafür hatten bestrafen wollen, dass er nach seiner Flucht nach Deutschland vom Islam zum Christentum konvertiert war.
Auf die jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen der Angeklagten verhängte das LG unter Einbeziehung anderweitiger Strafen Gesamtfreiheitsstrafen und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus.
Einem der Angeklagten, der zuletzt wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in Erscheinung getreten war, bescheinigte die Kammer, er habe sich beruflich deutlich gefestigt, nachdem er in der Hauptverhandlung eine Visitenkarte, welche ihn als Inhaber eines „Blumen- und Dekogeschäfts“ auswies, vorgelegt hatte. Auch legte die Kammer ihren Feststellungen ohne weitere Prüfung die Behauptung des Angeklagten zu Grunde, er verdiene monatlich 2.000 EUR netto.
Mit dem Umstand, dass der Mitangeklagte zur Tatzeit unter Bewährung stand, befasste sich das LG hingegen nicht.
Zudem war die Kammer der Ansicht, dass die „religiösen Hintergründe“ der Tat bei der Strafzumessung keine Rolle spielen dürften.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat das KG das Berufungsurteil aufgehoben.
II. Entscheidung
Der Senat führt aus, dass der Tatrichter die Umstände, aus denen er die günstige Prognose ableiten will, darlegen und einer kritischen, für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Würdigung unterziehen müsse. Diesen Anforderungen genüge das Urteil des LG nicht.
a) So hätte die Behauptung eines der Angeklagten, er sei zwischenzeitlich Geschäftsinhaber und verdiene monatlich 2.000 EUR netto, überprüft oder zumindest hinterfragt werden müssen.
b) Weiter beanstandet das KG, dass sich die Strafkammer nicht hinreichend mit der strafrechtlichen Vorbelastung der wiederholt und einschlägig aufgefallenen Angeklagten, von denen einer zudem zur Tatzeit unter Bewährung stand, auseinandergesetzt habe. In solchen Fällen könne die Vollstreckung einer erneuten Freiheitsstrafe nur zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn spezifische Umstände vorliegen, die erwarten lassen, dass sich der Angeklagte in Zukunft straffrei führen wird. Dies gelte in besonderem Maße, wenn die neuerliche Tat in laufender Bewährungszeit begangen werde.
c) Darüber hinaus wäre das LG, so der Senat weiter, auch gehalten gewesen, die Frage zu erörtern, ob nicht die Verteidigung der Rechtsordnung gemäß § 56 Abs. 3 StGB die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gebietet. Sofern dies nicht von vornherein ausgeschlossen erscheine, seien Ausführungen hierzu im Urteil unerlässlich. Dies komme auch bei erheblichem Fehlverhalten in der Vergangenheit und insbesondere bei einschlägigen Vorstrafen in Betracht.
Vorliegend gebe zudem auch das Tatmotiv Anlass zur Prüfung, ob die Freiheitsstrafen zur Verteidigung der Rechtsordnung zu vollstrecken sind. Es sei anerkannt, dass eine den Rechtsfrieden bedrohende Häufung von Straftaten ebenso Anlass zu einer Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB geben könne wie der Gedanke der Abschreckung anderer Straftäter. Führe gerade die religiöse Motivation zur Häufung der Straftaten, so verstieße es gegen Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, hiervor die Augen zu verschließen.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des KG ist ein wohltuendes Signal gegen die bei zahlreichen Berufungskammern verbreitete Unsitte, die ersehnte Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch selbst in eigentlich aussichtslosen Fällen mit (häufig mehrfachen) Strafaussetzungen zur Bewährung zu „belohnen“. Grund für diese Vorgehensweise ist zum einen die mitunter bis zur Feigheit ausufernde Angst davor, der Angeklagte könne das OLG anrufen, sowie zum anderen die häufig zu beobachtende Neigung vieler Staatsanwaltschaften, Berufungsurteile selbst dann zu akzeptieren, wenn die nochmalige Strafaussetzung zur Bewährung nicht ansatzweise nachvollziehbar begründet wird. Die hieraus mitunter resultierende Gleichgültigkeit gegenüber der StA zeigt anschaulich der vorliegende Fall, hat doch das LG trotz fehlender Rechtskraft ein abgekürztes Urteil abgefasst und nicht einmal Einzelstrafen benannt.
Darüber hinaus erstaunt, dass sich die Berufungskammer mit ungeprüften Angaben des Angeklagten begnügte, um ihm eine berufliche Festigung zu bescheinigen. Insbesondere bei einem mehrfach, zuletzt wegen Betruges und Urkundenfälschung vorbestraften Angeklagten besteht aller Anlass, dessen Angaben zu überprüfen, zumal eine solche Überprüfung mit minimalem Aufwand machbar gewesen wäre.
Ins Bild passt dann auch, dass weder die zahlreichen, teils einschlägigen Vorstrafen noch der bei einem Angeklagten vorliegende Bewährungsbruch thematisiert wurden, obwohl die obergerichtliche Rechtsprechung seit jeher darauf hinweist, dass in solchen Fällen abermalige Strafaussetzungen besonders sorgfältig begründet werden müssen.
Schwer erträglich mutet zudem der Hinweis des LG an, es müssten „religiöse Hintergründe“ außer Betracht bleiben. In Fällen wie dem vorliegenden ist das Gegenteil der Fall. Wer unter Berufung auf seine vermeintlich höherwertige Religion trotz erheblicher Vorbelastung und laufender Bewährung abermals Straftaten begeht, zeigt, dass er offensichtlich nicht gewillt ist, sich an die hiesige Rechtsordnung und die ihr zugrunde liegenden Werte, die den beiden jeweils in Deutschland geborenen Angeklagten durchaus vertraut gewesen sein dürften, zu halten. Die vom Landgericht vorgenommene Privilegierung religiös motivierter Straftäter ist abwegig.
Grundsätzlich ist die Verteidigungsstrategie „Bewährung gegen Beschränkung“ gleichwohl weiterhin oft erfolgversprechend. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass die trotz der ungünstigen Umstände für eine nochmalige Strafaussetzung sprechenden Argumente, so schwer diese im Einzelfall auch zu finden sind, vorgetragen und in der Hauptverhandlung in einem Umfang erörtert werden, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie auch Eingang in die schriftlichen Urteilsgründe finden. Werden die für Bewährung sprechenden Umstände dort nicht dargelegt, wird ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft oftmals zur Aufhebung des Berufungsurteils führen.
RiLGThomas Hillenbrand, Stuttgart