Beitrag

Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr

§ 51 RVG

Für die Anwendung des § 51 RVG ist entscheidend, dass das Verfahren bei dem Pflichtverteidiger wegen des „Umfangs und/oder der Schwierigkeit“ des Verfahrens zu einer zeitlichen Beanspruchung führen muss, die nicht mehr durch die gesetzlichen Gebühren gedeckt ist und die bei dem Pflichtverteidiger deswegen zu einem unzumutbaren Sonderopfer führt, das von existenzieller Bedeutung ist.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 9.1.20232 ARs 41/22
I.

Sachverhalt

Der in Augsburg ansässige Rechtsanwalt war als Pflichtverteidiger in einem Verfahren beim LG Limburg u.a. wegen bandenmäßiger öffentlicher Zugänglichmachung kinderpornographischer Schriften tätig, in dem der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten sowie Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist. Der Rechtsanwalt, dessen gesetzliche Gebühren rund 13.500,00 EUR beantragen haben, hat nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 RVG i.H.d. doppelten Wahlverteidigerhöchstgebühren beantragt. Seinen Antrag hat er damit begründet, dass es sich um einen der spektakulärsten Prozesse im Zusammenhang mit Kinderpornographie im Darknet gehandelt habe und der Aktenumfang und der Inhalt der Beweismittel unbeschreiblich gewesen sei. Die Anklage habe 154 Seiten umfasst, es sei an 18 Hauptverhandlungstagen verhandelt worden. Das OLG hat den Antrag zurückgewiesen.

II.

Verhinderung eines Sonderopfers des Pflichtverteidigers

Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschvergütung sei, so das OLG, nach dem Gesetzeswortlaut, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar seien. Damit solle verhindert werden, dass der Pflichtverteidiger ein Sonderopfer erbringt. Zur Stellung des Pflichtverteidigers verweist das OLG auf und zitiert aus dem BVerfG, Beschl. v. 6.11.1984 (2 BvL 16/83 u.a., NJW 1985, 727). Danach sei die Bestellung zum Pflichtverteidiger eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sinn der Pflichtverteidigung sei es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Vielmehr bestehe ihr Zweck ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhalte und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet werde. Angesichts der umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liege, habe der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht des Anwaltsstandes angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers aus § 97 BRAGO liege indessen erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers. Diese Begrenzung sei durch einen vom Gesetzgeber i.S.d. Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sei. Zur Vermeidung eines unzumutbaren Opfers sei § 99 BRAGO geschaffen worden, das der Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers Rechnung trage und ihn entsprechend vergüte.

Nach diesen Grundsätzen, die auch für das aktuelle Recht gelten (vgl. BVerfG NJW 2005, 1264; RVGreport 2005, 467 = NJW 2005, 3699) sei es Sinn und Zweck der Pauschgebühr danach nicht, dem Pflichtverteidiger einen zusätzlichen Gewinn zu verschaffen; sie solle nur eine unzumutbare Benachteiligung verhindern (vgl. auch Toussaint, KostR, 52. Aufl., 2022, § 51 RVG Rn 2). Die Bewilligung einer Pauschgebühr komme nach alledem nur noch in Ausnahmefällen in Betracht. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.3.2007 – 2 BvR 51/07, AGS 2007, 504 = RVGreport 2007, 263 [Burhoff] = NJW 2007, 3420). § 51 RVG sei im Ergebnis eine Öffnungsvorschrift, mit der das im RVG angelegte Festgebührensystem für einzelne Verfahrensabschnitte eines Strafverfahrens dann durchbrochen werden könne, wenn die gesetzlich vorgesehenen Festgebühren „wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeiten nicht zumutbar sind“ (§ 51 Abs. S. 1 a.E. RVG).

Für die Anwendung des § 51 RVG bedeute dies, dass das Verfahren bei dem Pflichtverteidiger wegen des „Umfangs und/oder der Schwierigkeit“ des Verfahrens zu einer zeitlichen Beanspruchung führen muss, die nicht mehr durch die gesetzlichen Gebühren gedeckt ist und die bei dem Pflichtverteidiger deswegen zu einem unzumutbaren Sonderopfer führt, das von existenzieller Bedeutung sei. Nach der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (RVG) entspreche § 51 Abs. 1 RVG im Wesentlichen der Vorgängernorm des § 99 Abs. 1 BRAGO. Durch das neu aufgenommene Kriterium der „Unzumutbarkeit“ der gesetzlichen Gebühren habe der Gesetzgeber den Ausnahmecharakter des § 51 RVG betont und den Anwendungsbereich gegenüber dem § 99 BRAGO einschränkt (vgl. BT-Drucks 15/1971, 201). Gerechtfertigt solle dies nach der amtlichen Begründung deshalb sein, weil in das Gebührenverzeichnis zum RVG neue Gebührentatbestände aufgenommen worden seien, bei denen die zugrundeliegenden Tätigkeiten in der Vergangenheit häufig bei der Bewilligung der Pauschgebühr berücksichtigt wurden (vgl. BT-Drucks 15/1971, 201). Als Beispiele nenne die amtliche Begründung die – nunmehr neu geschaffenen – Gebührentatbestände für die Teilnahme an Haftprüfungsterminen (Nr. 4102 Nr. 3 VV) und den Zuschlag zur Hauptverhandlungsgebühr für mehr als fünf bzw. mehr als acht Stunden dauernde Hauptverhandlungstermine (Nr. 4110 VV) (BT-Drucks 15/1971, 201).

III.

Terminsgebühr für Hauptverhandlung „Kerngebühr“

Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers sei nach dem RVG die Terminsgebühr für die Hauptverhandlung. Der Gesetzgeber folge insoweit auch im Gebührenrecht dem im deutschen Strafrecht verankerten Grundsatz der Verhandlung in Anwesenheit des Angeklagten und dem in der Hauptverhandlung zum Tragen kommenden Grundsatz der Öffentlichkeit. Nur was in der öffentlichen Hauptverhandlung verhandelt werde, sei Gegenstand der Urteilsfindung.

IV.

Antragsbegründung

1.Tatsachenfundierte Darlegung

Die Prüfung des § 51 RVG verlange daher zunächst die tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden sei, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar ausgeglichen werde. Darüber hinaus bedürfe es aber auch Ausführungen dazu, inwieweit diese (isoliert betrachtet) unzumutbare Mehrbelastung nicht durch das Verfahren insgesamt, z.B. durch technische oder organisatorische Maßnahmen oder eine hohe Anzahl von Hauptverhandlungsgebühren) kompensiert worden sei. Erst wenn bei der gebotenen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Kompensationsmöglichkeiten die Gesamtbelastung des Pflichtverteidigers in dem konkreten Verfahren ein „Sonderopfer“ darstelle, komme eine über die Festgebühren hinausgehende Pauschgebühr in Betracht. Dabei sei auch vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte im Ergebnis der Kostenschuldner sei und die Pauschgebühr eine Gewährung zu Lasten Dritter sei, zu beachten, dass § 51 RVG als spezialgesetzlicher Ausfluss von Art. 12 GG nur verhindern solle, dass ein Organ der Rechtspflege aufgrund seiner gesetzlichen Verpflichtungen unzumutbar in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. § 51 RVG diene gerade nicht dazu, den Pflichtverteidiger umfassend zu alimentieren oder seinen – möglicherweise sonst üblichen – Gewinn sicherzustellen.

2.Konkreter Fall

Nach Auffassung des OLG war gemessen an diesen Vorgaben der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung zurückzuweisen. Außergewöhnliche rechtliche Schwierigkeiten der Sache, die sie als sonderopferfähig darstellten, seien im Vergleich mit anderen erstinstanzlichen Verfahren vor der Jugendschutzkammer weder konkret vorgetragen noch erkennbar. Zwar habe der Aktenumfang über dem Durchschnitt vergleichbarer Verfahren gelegen. Dass der Antragsteller die Verfahrensakte vollständig durchgesehen und mit seinem Mandanten besprochen habe, gehöre jedoch zu den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege und reiche für die Annahme der Unzumutbarkeit der im Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren nicht aus. Dies gelte insbesondere auch im Hinblick auf die erforderliche Sichtung des Bildmaterials im vorliegenden Fall. Der Umfang der Beweisaufnahme schlage sich in der Anzahl und Dauer der Hauptverhandlungstermine nieder und sei deshalb grds. kein Bemessungskriterium für eine Pauschvergütung. Jeder Hauptverhandlungstag werde gesondert vergütet, wobei auch die Stundenzahl berücksichtigt werde. Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen seien nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen.

Dass der Antragsteller darüber hinaus Tätigkeiten erbracht habe, die die Annahme eines Sonderopfers begründen könnten, sei nicht vorgetragen worden und vorliegend auch nicht ersichtlich. Auch die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers könne grds. in einem gewissen Maße die Belastung zu kompensieren.

V.

Bedeutung für die Praxis

1. Mal wieder eine der zahlreichen Entscheidungen, mit der ein Pauschgebührantrag eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen worden ist. Leider referiert die Entscheidung letztlich nur Rspr. des BVerfG, nimmt aber zu den konkreten Umständen des Verfahrens kaum Stellung, sodass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob nicht der Antrag des Pflichtverteidigers – zumindest teilweise – hätte erfolgreich sein müssen. Es wäre sicherlich besser gewesen, das OLG hätte diese Einzelheiten angeführt als die sattsam bekannte Rspr. des BVerfG, an deren Richtigkeit man m.E. zweifeln kann, erneut zu referieren.

2. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf Folgendes:

a) Das OLG irrt, wenn es als „Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers … nach dem RVG die Hauptverhandlungsgebühr“ ansieht. Das RVG hat vielmehr durch die neu geschaffenen Gebührentatbestände der Grundgebühr Nr. 4100 VV, der Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV und der unterschiedlichen Verfahrensgebühren ausdrücklich leistungsorientiert eine Vergütungsregelung geschaffen, die gerade durch eine verbesserte und differenziertere Vergütung für die Tätigkeiten des Verteidigers, auch des Pflichtverteidigers, im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sorgen sollten (vgl. dazu BT-Drucks 15/11971, 2, 146 ff.). Von daher ist die Behauptung, die „Hauptverhandlungsterminsgebühr“ sei die „Kerngebühr“, zumindest gewagt.

Auch der Hinweis darauf, dass es zu „den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege“ (sic!) gehöre, die Verfahrensakte vollständig durchzusehen und mit seinem Mandanten zu besprechen, führt nicht weiter. Das ist richtig, aber die Frage, inwieweit sich aus der Einarbeitung in die Akte und der Besprechung des Inhalts mit dem Mandanten ein Ansatzpunkt für eine Pauschgebühr ergibt, hängt doch entscheidend vom Umfang der Akte (und deren Inhalt) ab. Dazu schweigt der Beschluss aber; der Umfang der Anklage mit 154 Seiten spricht allerdings für einen schon erheblichen Umfang. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf die Sichtung von Bildmaterial in einem „Kipo-Verfahren“.

b) Unzutreffend bzw. überspannt sind m.E. auch die Ausführungen des OLG zum Umfang der Antragsbegründung. Natürlich muss der Verteidiger seinen Pauschgebührantrag begründen. Aber was soll eine „tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden ist, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar ausgeglichen wird“?. Die Frage kann das OLG doch anhand der ihm – hoffentlich vorliegenden Akten unschwer selbst beurteilen. Denn es gehört zu den „selbstverständlichen Pflichten“ des entscheidenden OLG-Richters, die Akte durchzusehen und auf Umstände zu prüfen, die ggf. die Gewährung einer Pauschgebühr rechtfertigen. Nur, wenn Tätigkeiten erbracht worden sind, die sich nicht aus der Akte ergeben, muss der Pflichtverteidiger dazu vortragen. Eine dem § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vergleichbare Vorschrift kennt das Gebührenrecht – zum Glück – nicht.

c) Schließlich sind die Ausführungen des OLG: „Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen sind nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen.“ in der Allgemeinheit zumindest fraglich. Denn die Frage wird in der Rspr. durchaus differenziert gesehen (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 136 f.).

3. Fazit: Alles in allem m.E. ein Beschluss, der Fragen offen lässt und teilweise unsauber argumentiert.

https://www.juris.de/perma?d=jzs-AGS-2023-5-010-213

Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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