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Das Verhältnis von Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt

1. Betreut ein Elternteil ein gemeinsames Kind, kann der Anspruch auf Betreuungsunterhalt aus kindbezogenen Gründen über das dritte Lebensjahr hinaus bestehen. Liegt eine kindgerechte Betreuungseinrichtung vor, kann sich der betreuende Elternteil nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung berufen. Soweit insbesondere am Morgen und späten Abend gebotene Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen sind, kann jedoch weiterhin ein begrenzter Betreuungsunterhaltsanspruch bestehen, um überobligationsmäßige Belastung des betreuenden Elternteils zu vermeiden.

2. Soweit das aufgrund der Betreuung bedingt eingeschränkten Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen zur Deckung des Bedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht ausreicht, besteht in Höhe des nicht gedeckten Bedarfs einen Aufstockungsunterhaltsanspruch gemäß § 1573 Abs. 2 BGB.

3. Eine Einkommensverbesserung des Unterhaltspflichtigen aufgrund einer nach der Trennung aufgenommenen selbstständigen gewerblichen Tätigkeit prägt die ehelichen Lebensverhältnisse auch nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe, wenn diese Entwicklung bereits in dem – qualifizierten – beruflichen Werdegang während der noch bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft angelegt war. Ein Indiz hierfür ist auch ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft und dem Eintritt der Einkommensverbesserung.

4. Auch wenn der Unterhaltsberechtigte aufgrund der Wirkungen der Ehe keine ehebedingten Nachteile in seiner beruflichen Tätigkeit hat hinnehmen müssen, führt dies nicht generell zum Ausschluss des Aufstockungsunterhalts. Insoweit folgt aus dem Grundsatz der nachehelichen Solidarität – zeitlich befristet – eine fortwirkende Unterhaltspflicht. Diese ergibt sich einerseits aus der wirtschaftlichen Verflechtung der Ehegatten, wird andererseits aber auch durch das Lebensalter der Beteiligten sowie die Dauer des geleisteten Trennungsunterhalts beeinflusst.

OLG Köln, Beschl. v. 7.11.202414 UF 57/24

I. Der Fall

Bei den Beteiligten handelt es sich um seit dem XX.XX.2024 rechtskräftig geschiedene Ehegatten, welche am XX.XX.2017 geheiratet hatten. Aus der Ehe ist die gemeinsame Tochter T., geboren am XX.XX.2017, hervorgegangen, welche seit der Trennung der Beteiligten ihren Wohnsitz im Haushalt der Kindesmutter hat. Weiter sind die Beteiligten gemeinsam Eigentümer einer Wohnimmobilie mit der Anschrift X.-straße 00 in A. Der Antragsgegner bewohnt die Immobilie.

Der Antragsgegner absolvierte ein Studium der Fahrzeugtechnik und schloss im Juni 2019 die Zusatzausbildung zum „Kfz-Schaden-Gutachter“ und „Kfz-Wertgutachter“ ab. Im Mai 2019 erhielt der Antragsgegner vom Gebietsleiter seines damaligen Arbeitgebers ein „grünes Licht“ für die Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit zum 1.1.2020 (wörtlich hieß es: „grünes Licht für ihr Projekt, aber erst zum Jahresbeginn“). Am 30.6.2020 kündigte er seine Arbeitsstelle zum Ende des Jahres.

Die Trennung der Beteiligten erfolgte laut Scheidungsbeschluss im September 2019. Per notarieller Urkunde vom XX.12.2019 gründete der Antragsteller gemeinsam mit Herrn V. L. die B., deren Gesellschafter er mit einem Anteil von 50 % der Geschäftsanteile wurde. Im Rahmen der außergerichtlichen Korrespondenz teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners der Antragstellerin in einem Schreiben vom 2.3.2020 mit, „Entsprechend der damaligen Familienplanvorstellung hat mein Mandant den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt…“. Mit notarieller Vereinbarung vom 30.10.2020 erwarb der Antragsgegner die Herrn L. gehörenden Gesellschaftsanteile an der B. Der Antragsgegner war fortan alleiniger Gesellschafter. Mit notariellem Vertrag vom 27.12.2021 übertrug der Antragsgegner sämtliche Anteile an der B. mit Wirkung zum 1.1.2022 auf seine Mutter, die Zeugin N. G. Die unentgeltliche Abtretung erfolgte laut des § 3 der notariellen Urkunde zur Besicherung eines Anspruchs auf Rückzahlung eines durch seine Mutter ihm und seiner Ehefrau gewährten Darlehens mit der Verpflichtung zur unentgeltlichen Rückübertragung der Geschäftsanteile nach Rückzahlung des Darlehens. Wörtlich heißt es: „Die Erschienene zu 2.) verpflichtet sich jedoch, nach Rückzahlung des an den Erschienenen zu 1.) und dessen Ehefrau gewährten Darlehens zur unentgeltlichen Rückübertragung der mit diesem Vertrag übertragenen/ abgetretenen Geschäftsanteile der B..“

Die Antragsgegnerin reduzierte ihre wöchentliche Arbeitszeit ab Mai 2023 auf 23 Wochenstunden. Ihr Nettoeinkommen verringerte sich dadurch auf monatlich 1.725,00 EUR. Sie wendet zur Finanzierung eines Kfz monatlich 245,14 EUR auf.

II. Die Entscheidung

Das OLG Köln hält die zulässige Beschwerde für teilweise begründet. Insofern für es folgendes aus:

Aufstockungsunterhalt

Der Antragsgegnerin steht gegen den Antragsteller ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gemäß §§ 1570 Abs. 1 S. 2, 1573 Abs. 2 BGB in der aus dem Tenor zu entnehmenden Höhe zu, der gemäß § 1578b Abs. 2 und 3 BGB im Hinblick auf den Aufstockungsunterhalt ab dem 1.7.2025 herabzusetzen und bis zum 31.12.2025 zu befristen ist.

1. Gemäß § 1570 Abs. 1 S. 2 BGB kann der geschiedene Ehegatte von dem anderen wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes auch nach dem dritten Geburtstag des Kindes Unterhalt verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht. Nach § 1573 BGB kann ein Ehegatte, dessen Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit zu seinem vollen Unterhalt nicht ausreichen, von dem anderen Ehegatten den Unterschiedsbetrag zwischen seinen Einkünften und dem vollen Unterhalt verlangen. Der volle Unterhalt der Antragsgegnerin bestimmt sich gemäß § 1578 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die im vorliegenden Fall durch die beiderseitigen Erwerbseinkünfte, den Wohnwert der vom Antragsteller alleine genutzten Immobilie und die Unterhaltsansprüche des gemeinsamen Kindes der geschiedenen Ehegatten geprägt sind.

Für den Zeitraum bis einschließlich Juni 2025 setzt sich der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin in Höhe von insgesamt monatlich 1.400 EUR anteilig zusammen aus einem Anspruch auf Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 Abs. 1 BGB i.H.v. 255 EUR und einem ergänzenden Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB i.H.v. 1.145 EUR, davon Altersvorsorgeunterhalt i.H.v. 263,75 EUR.

Unterhalt wegen Betreuung des Kindes/kindbezogene Gründe

a) Der Antragsgegnerin steht zunächst nach § 1570 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Unterhalt wegen Betreuung des gemeinsamen Kindes aufgrund von kindbezogenen Gründen zu. Es entspricht der Billigkeit, den Unterhalt nach § 1570 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB auch über das dritte Lebensjahr der gemeinsamen Tochter hinaus zu verlängern.

aa) An die Darlegung kindbezogener Gründe sind nach der Rechtsprechung des BGH keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über das vollendete dritte Lebensjahr hinaus aus kindbezogenen Gründen nach § 1570 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB kann sich der betreuende Elternteil allerdings nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes berufen, wenn und soweit das Kind eine kindgerechte Betreuungseinrichtung besucht oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte. Steht der Umfang einer – möglichen – anderweitigen Kinderbetreuung fest, ist zu berücksichtigen, wie eine ausgeübte oder mögliche Erwerbstätigkeit mit den Zeiten der Kinderbetreuung (einschließlich der Fahrzeiten) vereinbar ist und in welchem Umfang dem Unterhaltsberechtigten in dem dadurch vorgegebenen zeitlichen Rahmen eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist. Soweit die Betreuung des Kindes auf andere Weise sichergestellt oder in einer kindgerechten Einrichtung möglich ist, kann einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils schließlich – teilweise – entgegenstehen, dass die von ihm daneben zu leistende Betreuung und Erziehung des Kindes zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen kann. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, dass am Morgen oder am späten Nachmittag und Abend regelmäßig weitere Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen sind, die je nach dem individuellen Betreuungsbedarf des Kindes oder der Kinder in unterschiedlichem Umfang anfallen können.

Teilschichtige Tätigkeit

bb) Vor diesem Hintergrund kann entsprechend der zutreffenden Erwägungen des Amtsgerichts der Antragsgegnerin eine teilschichtige Tätigkeit bis hin zu 30 Wochenstunden, aber keine vollschichtige Tätigkeit zugemutet werden. Der Antragsgegnerin steht für die gemeinsame Tochter eine Fremdbetreuung für die Dauer von täglich 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr zur Verfügung. Zuzustimmen ist dem Amtsgericht, dass unter Berücksichtigung der Fahrtzeiten schon alleine aufgrund dieser Betreuungszeiten eine vollschichtige Erwerbstätigkeit der Antragsgegnerin ausscheidet. Die Ausübung einer 30 Wochenstunden umfassenden Tätigkeit ist damit möglich und zumutbar; mehr hingegen nicht. Soweit die Antragsgegnerin tatsächlich weniger arbeitet, lässt sie sich eine 30-Stunden-Woche zurechnen, Streit besteht insoweit also nicht.

Eine darüber hinausgehende Erwerbsobliegenheit der Antragsgegnerin zu erwarten, würde allerdings verkennen, dass trotz der Fremdbetreuung der verbleibende Betreuungsbedarf in diesem Alter und dem damit einhergehenden Entwicklungsstand des Kindes regelmäßig einen solchen Umfang annimmt, der die Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung überwiegend nicht zumutbar erscheinen lassen dürfte. Die Betreuung eines Kindes beschränkt sich nicht auf das Beaufsichtigen, sondern erfasst auch die Zuwendung, Pflege und Erziehung. Sie ist insbesondere dann persönlich zu erbringen, wenn das Kind erkrankt ist, was gerade im vorliegenden Fall aufgrund des Alters der gemeinsamen Tochter häufiger als üblich der Fall ist. Aus kindbezogenen Gründen besteht demnach keine weitergehende Erwerbsobliegenheit. Eine Verlängerung des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt entspricht der Billigkeit i.S.d. § 1570 Abs. 1 S. 2 BGB. Die nur verhältnismäßig kurze Ehezeit vom Tag der Heirat am 16.2.2017 bis zur Zustellung des Scheidungsantrages im Januar 2021 spricht nicht hiergegen.

Ergänzender Anspruch auf Aufstockungsunterhalt

b) Da die Antragsgegnerin durch die Betreuung des Kindes nicht an einer Teilzeiterwerbstätigkeit gehindert ist, beruht der Anspruch allerdings nur insoweit auf § 1570 BGB, als sie durch die Kinderbetreuung an einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gehindert ist. § 1570 BGB gewährt nur einen Anspruch im Umfang der verbleibenden Freistellung von der Erwerbsobliegenheit, also bis zur Höhe des Mehreinkommens, das bei voller Erwerbstätigkeit zu erzielen wäre, mithin die Differenz zwischen einer Teilzeitstelle mit 30 Wochenstunden und einer Vollzeitstelle. Reicht der Eigenverdienst zusammen mit dem Teilanspruch aus § 1570 BGB zur Deckung des eheangemessenen Bedarfs (§ 1578 BGB) nicht aus, so besteht hinsichtlich des ungedeckten Restbedarfs ein ergänzender Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB.

aa) Insoweit richtet sich der Bedarf gemäß § 1578 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen, d.h. es ist das mit dem Stichtag der Rechtskraft der Scheidung eheprägende Einkommen zu berücksichtigen. Umstände, die auch bei fortbestehender Ehe eingetreten wären, und Umstände, die bereits in anderer Weise in der Ehe angelegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren, sind zu berücksichtigen. Dies gilt für normale absehbare weitere Entwicklungen von Einkünften aus derselben Einkommensquelle, wie für übliche Lohnerhöhungen, sowie einen nicht vorwerfbaren nachehelichen Einkommensrückgang, etwa durch Arbeitslosigkeit, Eintritt in das gesetzliche Rentenalter oder Krankheit. Auch Einkommenssteigerungen, die sich aus der beruflichen oder wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Ehegatten selbst in einer der ursprünglichen vergleichbaren Berufstätigkeit ergeben, prägen die ehelichen Lebensverhältnisse. Nur dann sind solche Weiterentwicklungen hinsichtlich des Bedarfs unerheblich und können den Bedürftigen von der Teilhabe an Einkünften, die das eheliche Zusammenleben nicht geprägt haben können, ausschließen, wenn sie auf einer unerwarteten, vom Normalverlauf erheblich abweichenden Entwicklung beruhen. Ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Scheidung spricht dafür, dass die Grundlagen für die berufliche Weiterentwicklung bereits in der Zeit zuvor gelegt wurden.

Wann eine vom Normalverlauf erheblich abweichende Entwicklung vorliegt, ist eine Einzelfallentscheidung des Tatrichters. Die Rechtsprechung hat hierfür noch keine einheitlichen Kriterien gefunden. Als Indiz für eine außergewöhnliche, vom Normalverlauf abweichende Einkommensentwicklung kann eine erheblich über den normalen Gehaltserhöhungen liegende Einkommenssteigerung angesehen werden, vor allem bei Tätigkeiten in der freien Wirtschaft.

bb) Diese Grundsätze zugrunde gelegt, ergeben sich für die Beteiligten folgende einkommensrelevanten Positionen:

[Berechnung unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen des Antragstellers, Berechnung unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen der Antragsgegnerin, Berechnung Unterhaltsanspruch]

2. Der Anspruch der Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt in Form von Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 BGB ist gemäß § 1578b BGB zu begrenzen und zu befristen.

Begrenzung

a) Nach § 1578b Abs. 1 S. 1 BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen und/oder nach § 1578b Abs. 2 S. 1 BGB zeitlich zu begrenzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung sind für beide Aspekte § 1578b Abs. 1 S. 2 und 3 BGB zu entnehmen. Danach ist neben der Dauer der Ehe vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes und aus der Gestaltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe ergeben. Ein ehebedingter Nachteil äußert sich in der Regel darin, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich nicht die Einkünfte erzielt, die er ohne Ehe und Kinderbetreuung erzielen würde. § 1578b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltspflichtige – unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten – durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein.

Als Rechtsfolge sieht 1578b Abs. 1 S. 1 BGB die Herabsetzung bis auf den angemessenen Lebensbedarf vor. Dieser Maßstab bildet regelmäßig die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts und bemisst sich nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Aus dem Begriff der Angemessenheit folgt aber zugleich, dass der nach § 1578b Abs. 1 BGB herabgesetzte Unterhaltsbedarf jedenfalls das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten erreichen muss.

Befristung

b) Diese Grundsätze zugrunde gelegt, ist der Aufstockungsunterhalt der Antragsgegnerin ab dem 1.7.2025 zu begrenzen und bis zum 31.12.2025 zu befristen.

Zunächst kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsgegnerin durch die Pflege und Erziehung der gemeinsamen Tochter oder andere Umstände während der Ehe ein Nachteil erwachsen ist. Die Antragsgegnerin wäre zwar ohne die Ehe durchgehend einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und würde damit heute auch tatsächlich ein Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit erzielen können, soweit gesundheitliche Gründe nicht dagegen sprächen. Einen ehebedingten Nachteil hat die Antragsgegnerin jedoch schon nicht behauptet. Dass sie in ihrem erlernten und auch derzeit ausgeübten Beruf ohne Eingehung der Ehe ein höheres Einkommen hätte erzielen können, als sie derzeit auf der Grundlage einer ihr fiktiv unterstellten Teilzeitstelle in Höhe von 30 Wochenstunden tatsächlich verdient, wird von der Antragsgegnerin ebenfalls nicht behauptet. Die hier vorzunehmende Verneinung eines ehebedingten Nachteils führt indes nicht zu einer generellen Versagung des Anspruchs auf nachehelichen Aufstockungsunterhalt. Denn bei der gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das Prinzip der nachehelichen Solidarität anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

In den Fällen, in denen die fortwirkende nacheheliche Solidarität den wesentlichen Billigkeitsmaßstab bildet, gewinnt zunächst die Ehedauer und die hierdurch erfolgte wirtschaftliche Verflechtung an Gewicht, die insbesondere durch den Verzicht auf eine eigene Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder wegen der Haushaltsführung eingetreten ist. Ausgehend davon, dass maßgebend für die Bestimmung der Ehedauer unverändert der Zeitraum von der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages ist, ist vorliegend von einer Dauer der Ehe der Beteiligten von drei Jahren und elf Monaten (Heirat XX.XX.2017, Zustellung des Scheidungsantrages am 1.12.2020) auszugehen. Damit handelt es sich zwar nicht mehr um eine kurze Ehedauer im Sinne des § 1579 Nr. 1 BGB; gleichzeitig liegt die Ehedauer nicht maßgeblich darüber. Weiter ist die Kindererziehungszeit zu berücksichtigen. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass sich die Antragsgegnerin seit der Geburt der Tochter T. im Jahr 2017, sieben Monate nach der Hochzeit, um die Betreuung und Pflege der gemeinsamen Tochter gekümmert hat, während der Antragsteller einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und bereits 2019 seine Selbstständigkeit durch Fortbildungsmaßnahmen eingeleitet hat. Als weiteres Kriterium ist nach der Rechtsprechung des BGH das Alter der Beteiligten zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund, dass die Beteiligen 1993 bzw. 1989 geboren und damit noch verhältnismäßig jung sind, spielt das Alter der beiden Beteiligten vorliegend keine erhebliche Rolle. Schließlich ist die Dauer der Zahlung von Trennungsunterhalt durch den Antragsteller an die Antragsgegnerin zwischen Oktober 2020 bis zum August 2024, also drei Jahre und zehn Monate, mit in die zu treffende Gesamtabwägung miteinzubeziehen.

Im Ergebnis ist unter Abwägung aller Umstände ein unbefristeter Unterhaltsanspruch in voller Höhe aus Sicht des unterhaltspflichtigen Antragstellers unbillig im Sinne von § 1578b BGB. Die vom Senat angenommene unbeschränkte Unterhaltsverpflichtung bis einschließlich Juni 2025 ist ausreichend, aber auch unter Berücksichtigung der nachehelichen Solidarität angemessen, um der Antragsgegnerin die Einrichtung auf die neuen Lebensumstände zu ermöglichen. Dabei ist insbesondere ihr Alter und die Ehedauer zu berücksichtigen. Danach ist der zu zahlende Aufstockungsunterhalt wie tituliert in einer Stufe abzuschmelzen und schließlich zeitlich zum 31.12.2025 auslaufen zu lassen.

III. Der Praxistipp

Die vorliegende Entscheidung beschäftigt sich mit Problemkreisen, die dem Praktiker im Unterhaltsrecht regelmäßig begegnen. Das Zusammenfallen von Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt, aber auch die relevante Einkommensverbesserung nach Trennung bzw. Rechtskraft der Scheidung beschäftigen dem Praktiker immer wieder.

Gleiches gilt für die Befristung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs auch unter Berücksichtigung einer längeren Trennungszeit.

Lesenswert für den Praktiker ist die vorliegende Entscheidung neben den vorgenannten Stichpunkten insbesondere auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung des Senats mit den Kriterien für die Billigkeitsabwägung im Rahmen der Prüfung des § 1578b Abs. 1 S. 1 BGB. Hier bietet die Entscheidung ein „Prüfungsschema“ für die nach Auffassung des BGH relevanten Kriterien.

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