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Ehegattenunterhalt bei Naturalunterhalt durch betreuenden Ehegatten

1. Ein „automatischer“ Abzug von geleistetem Naturalunterhalt vom Einkommen des betreuenden Elternteils beim Ehegattenunterhalt ist entgegen der Rechtsprechung des BGH nicht gerechtfertigt.

2. Erforderlich ist die Darlegung eines tatsächlich geleisteten zusätzlichen Aufwands nach den üblichen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast bei zu berücksichtigenden Belastungen beim Berechtigten wie auch Verpflichteten. Berücksichtigungsfähig sind nur tatsächlich erbrachte Leistungen.

3. Erforderlich ist ferner eine entsprechende Rechtspflicht zu dem zu leistenden Naturalunterhalt, da freiwillige Leistungen des Unterhaltsverhältnis in der Regel unberührt lassen.

4. Jedenfalls verbietet sich eine „automatische“ Berücksichtigung, sofern beim betreuenden Elternteil der angemessene Selbstbehalt unterschritten ist.

OLG Oldenburg, Hinweisbeschl. v. 16.5.20233 11 32/23

I. Der Fall

Das Amtsgericht – Familiengericht – Leer hat mit angefochtenem Beschluss u.a. unter Ziffer III. den Antragsteller verpflichtet, an die Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 427 EUR zum 01. eines jeden Monats im Voraus zu zahlen. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer form- und fristgerecht erhobenen Beschwerde. Mit dieser begehrt sie die Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Leer vom 22.3.2023 dahingehend, dass der Antragsteller verpflichtet ist, über den titulierten Betrag i.H.v. 427 EUR hinausgehend ab Rechtskraft der Ehescheidung einen weiteren nachehelichen Unterhalt in Höhe von 116 EUR, mithin insgesamt 543 EUR zum 1. eines jeden Monats im Voraus zu zahlen.

II. Die Entscheidung

In dem Hinweisbeschluss vom 16.5.2023 geht das Oberlandesgericht Oldenburg von der Unbegründetheit der zulässigen Beschwerde aus. Zur Begründung führt es folgendes aus:

Bedarf beim Kindesunterhalt richtet sich gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Kindes

Im Ausgangspunkt zutreffend verweist die Antragstellerin auf den vom Bundesgerichtshof in seiner neueren Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz, wonach sich der Bedarf beim Kindesunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Kindes, die es regelmäßig bis zum Abschluss seiner Ausbildung von den Eltern ableitet, bemesse. Auch beim Unterhalt minderjähriger Kinder komme es auf die Lebensstellung beider Eltern an, wobei bei gehobenem Einkommen eine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle zu erwägen ist. Die Unterhaltsverpflichtung des Barunterhaltsschuldners ist jedoch auf den Betrag begrenzt, den er aufgrund des von ihm allein erzielten Einkommens zahlen müsste. Daher sei von den Erwerbseinkünften des betreuenden Elternteils der Barunterhaltsbedarf der Kinder nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen auf den Barunterhalt entfallenden Kindergelds und abzüglich des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. In dieser Höhe leiste der betreuende Elternteil neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Die andere Hälfte des Kindergelds, die der betreuende Elternteil erhält, sei nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen.

Lebensstellung des Kindes richtet sich nach den beiderseitigen Einkünften der Eltern

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abzugsfähigkeit von geleistetem restlichen Naturalunterhalt vom Einkommen des betreuenden Elternteils vermag – jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation – nicht zu überzeugen. Der Bundesgerichtshof ist in der zitierten Entscheidung ohne eingehende nähere Begründung von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen, wonach sich bislang der angemessene Bedarf eines minderjährigen Kindes allein nach dem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils beurteilt. So naheliegend die grundsätzliche Annahme des Bundesgerichtshofs in seinen neuerlichen Entscheidungen ist, dass sich die Lebensstellung des Kindes nach den beiderseitigen Einkünften der Eltern bemesse, muss jedoch bereits diese Annahme zumindest kritisch hinterfragt werden. Während bestehender Ehe oder Lebensgemeinschaft wird man der Grundannahme noch ohne weiteres zustimmen können, nach der Trennung der Eltern passt diese Annahme jedoch nicht mehr uneingeschränkt. Wenn man der Annahme folgt, dass sich die Lebensstellung mangels noch nicht gegebener eigenständiger Lebensstellung des minderjährigen Kindes nach den (wechselnden) Lebensverhältnissen der Eltern ableitet, so wird man auch die mit der Trennung der Eltern einhergehenden veränderten Lebensverhältnisse mit zu berücksichtigen haben. Die Trennung der Eltern ist insbesondere von wirtschaftlichen Einbußen der Eltern durch den Wegfall der mit der gemeinsamen Lebensführung verbundenen Synergieeffekte verbunden. Die Führung von zwei getrennten Haushalten erfordert einen deutlichen erhöhten finanziellen Aufwand. Dies war u.a. auch einer der Gründe, warum der Bundesgerichtshof im Jahre 1981 den Bedarf des minderjährigen Kindes allein am Einkommen des Barunterhaltspflichtigen ausgerichtet hat. Dieser Gesichtspunkt liegt im Übrigen auch dem Konzept der Düsseldorfer Tabelle des Mindestbedarfs nach § 1612a BGB zugrunde, auf dem die weiteren Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle aufbauen. Insoweit stellt sich die Frage, ob es gerechtfertigt sein kann, die Beträge der Düsseldorfer Tabelle für minderjährige Kinder als Maßstab für die Berechnung des Bedarfs nach dem beiderseitigen Einkommen zugrunde zu legen, obwohl die Düsseldorfer Tabelle als Grundlage der dort ausgewiesenen Bedarfe das „Residenzmodell“ hat. Bei folgerichtiger Anwendung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedürfte es daher nach Auffassung des Senats auch einer Anpassung der Düsseldorfer Tabelle.

„Automatische“ Berücksichtigung des Naturalunterhalts

Ungeachtet dieser grundsätzlichen Erwägungen zum Bedarf, überzeugt die „automatische“ Berücksichtigung des (angeblich geleisteten) restlichen Naturalunterhalts durch die Antragsgegnerin bei der Ermittlung der Quote beim nachehelichen Unterhalt, so wie ihn die Beschwerdeführerin vorgenommen hat, nicht.

Die „automatische“ Berücksichtigung steht bereits im Widerspruch zu § 1606 Absatz 3 Satz 2 BGB, wonach der betreuende Elternteil im Regelfall seiner Unterhaltspflicht allein durch die Betreuung nachkommt. Sofern man also die Prämisse aufstellt, dass der betreuende Elternteil über den geleisteten Betreuungsunterhalt in der Regel noch einen Naturalunterhalt leistet, bedürfte es hierfür nach Auffassung des Senats eines konkreten Vortrags entsprechend den üblichen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast für zu berücksichtigenden Belastungen beim Berechtigten wie auch Verpflichteten. Allein die allgemeine Vermutung, der betreuende Elternteil leiste einen Naturalunterhalt, wird sowohl der tatsächlich gelebten Wirklichkeit als auch dem bisherigen System der Berücksichtigung von anzuerkennenden Belastungen nicht gerecht. Danach sind anzuerkennende Belastungen nur dann zu berücksichtigen, wenn auch tatsächlich Zahlungen auf sie geleistet werden. Da es sich beim Naturalunterhalt nicht um die Betreuungsleistung des betreuenden Elternteils handelt, müssen dem Naturalunterhalt „Barleistungen“ des betreuenden Elternteils gegenüberstehen. Kostenlos dürfte es den Naturalunterhalt jedenfalls nicht geben. Anzunehmen ist, dass der betreuende Elternteil die zur Erfüllung des Naturalunterhalts notwendigen sächlichen Mittel erst käuflich erwerben muss. Erst der dadurch für den angemessenen Kindesunterhalt aus dem eigenen Einkommen zusätzlich getragene Aufwand berechtigt dann aber zu einer Anrechnung dieses Aufwandes beim einzusetzenden Einkommen. Die Darlegungs- und Beweislast für den zusätzlichen Aufwand obliegt nach den allgemeinen Regeln der Antragsgegnerin. Erforderlich wäre gleichfalls eine entsprechende Rechtspflicht zu diesen Leistungen, da nach dem bisherigen System im Unterhaltsrecht freiwillige Leistungen das Unterhaltsverhältnis in der Regel unberührt lassen.

Jedenfalls verbietet sich nach Auffassung des Senats vorliegend eine „automatische“ Berücksichtigung des Naturalunterhalts, da die Antragsgegnerin mit ihrem Einkommen nicht nur den angemessenen Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern von derzeit 1.650 EUR, sondern auch den notwendigen Selbstbehalt von derzeit 1.370 EUR unterschreitet. Der Selbstbehalt bezeichnet nach der allgemeinen herkömmlichen Definition den Teil des Einkommens, der dem Unterhaltsschuldner für seine eigene Lebensführung zu verbleiben hat. Als Mindestbetrag umfasst er jeweils den laufenden Lebensbedarf i.S.d. § 20 Absatz 1 Satz 1 SGB II, übliche Versicherungen, angemessene Wohnkosten sowie für Erwerbstätige einen weiteren Betrag als Erwerbsanreiz. Im Verhältnis zu ihren Kindern ist die Antragsgegnerin im Hinblick auf den von ihr (angeblich geleisteten) Naturalunterhalt Unterhaltsschuldnerin, so dass die Selbstbehaltsätze auch für sie zur Anwendung kommen. Da der Selbstbehalt der Antragsgegnerin zu wahren ist, ist sie rechtlich nicht verpflichtet, Naturalunterhalt an ihre Kinder zu leisten. Etwaige Leistungen, sofern sie denn von ihr tatsächlich erbracht werden (s.o.), wären als freiwillige Leistungen ihrerseits einzustufen.

Im Ergebnis verbietet sich damit in der vorliegenden Konstellation eine (automatische) Anrechnung von (angeblich geleistetem) Naturalunterhalt im Sinne der Beschwerdeschrift. Zum einen hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt, dass sie tatsächlich einen entsprechenden Naturalunterhalt leistet, zum anderen besteht bereits keine Rechtspflicht zur Leistung des Naturalunterhalts, weil die Antragsgegnerin nach Bereinigung ihres Einkommens bereits den notwendigen Selbstbehalt unterschreitet. Etwaige tatsächliche Leistungen wären demnach als freiwillig einzustufen und damit gleichfalls nicht anzurechnen.

Die Beschwerde ist nach alldem zurückzuweisen.

Allerdings hat das OLG Oldenburg Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherheit einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

III. Der Praxistipp

Das OLG Oldenburg setzt sich im Einzelnen mit der jüngsten Rechtsprechung auseinander, in welcher BGH – wie Menne in NJW 2023, 2791 ausführt „apodiktisch“ – festgestellt hat, dass es für die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs des minderjährigen Kindes auf die Lebensstellung beider Elternteile ankomme (vergleiche BGH NJW 2022, 1470).

Das OLG Frankfurt hat sich dieser Rechtsprechung des BGH als erstes Oberlandesgericht angeschlossen (NJW 2022, 376). Das OLG Oldenburg vertritt im vorliegenden Beschluss die Gegenposition und geht auf zwei konkrete Probleme dieser Entscheidung explizit ein. Damit gibt das OLG Oldenburg eine – erste – wesentliche Argumentationshilfe gegen die wohl aktuelle Rechtsprechung des BGH an die Hand.

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