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Unterhaltsvorschuss bei weitgehender Alleinbetreuung

1. Zu den Voraussetzungen der Gewährung von Leistungen nach dem UVG, soweit diese davon abhängen, dass das bezugsberechtigte Kind nur bei einem seiner Elternteile in einer auf Dauer angelegten häuslichen Gemeinschaft lebt.

2. Dies liegt nur dann vor, wenn der Unterhaltsvorschussleistungen verlangende Elternteil die Verantwortung für Sorge und Erziehung des Kindes weitgehend allein erfüllen muss.

3. Ein solcher Sachverhalt liegt nicht – mehr – vor, wenn und soweit der andere Elternteil aufgrund seiner Umgangsbefugnis das Kind mehr als 1/3 der gesamten Zeit in seiner Obhut hat und betreut.

OVG Mecklenburg-Vorpommern,Urt. v.10.12.2019–1 LB 197/18

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.

Die minderjährige Klägerin zu 2. ist die Tochter der Klägerin zu 1. und des Herrn A. Die Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht. Sie leben seit 11/2015 getrennt. In 08/2016 beantragte die Klägerin zu 1. beim Beklagten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Dabei gab sie an, die Klägerin zu 2. lebe bei ihr und sei an zehn bis zwölf Tagen im Monat bei ihrem Vater A. Der Beklagte gewährte der Klägerin zu 2. daraufhin mit Bewilligungsbescheid vom 18.2.2016 ab dem 1.1.2016 eine monatliche Unterhaltsleistung in Höhe von 194 EUR. Die Bewilligung galt bis auf weiteres, aber längstens bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres des Kindes und für einen Zeitraum von insgesamt 72 Monaten. Mit Bescheid vom 4.1.2017 setzte der Beklagte die Unterhaltsleistung ab 01/2017 auf 201 EUR monatlich fest. Am 10.1.2017 wurde dem Beklagten bekannt, dass die Eltern des Kindes am 20.12.2016 vor dem Amtsgericht Pasewalk eine Umgangsvereinbarung geschlossen hatten. Danach erhielt der Kindsvater in jeder zweiten Woche Umgang im Zeitraum von Donnerstagnachmittag bis Dienstagmorgen und in den dazwischenliegenden Wochen im Zeitraum von Freitagnachmittag bis Samstagmorgen. Für den Umgang mit Feiertagen und in den Ferien sollte eine gesonderte Regelung getroffen werden. Der Beklagte zahlte daraufhin die Unterhaltsleistung ab 02/2017 2017 nicht mehr aus und hörte die Klägerin zu 1. zur beabsichtigten Einstellung und Erstattung der Unterhaltsleistung an. Mit Bescheid vom 7.3.2017 stellte der Beklagte die Unterhaltsleistungen für den Zeitraum ab 02/2017 ein und forderte die Leistung für den Monat 01/2017 in Höhe von 201 EUR von der Klägerin zu 1. zurück. Die Klägerinnen legten gegen den Bescheid Widerspruch ein. Der Kommunale Sozialverband Mecklenburg-Vorpommern erließ am 4.10.2017 einen Widerspruchsbescheid. Nach dem Tenor des Widerspruchsbescheides wurde der Bescheid des Beklagten vom 7.3.2017 aufgehoben, soweit er den Bescheid vom 18.2.2016 mit Wirkung vor dem 1.4.2017 aufgehoben hatte. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die rückwirkende Aufhebung der Leistungsgewährung für den Zeitraum vor 04/2017 2017 betreffe die Klägerin zu 2. und sei nicht gerechtfertigt. Es bestehe jedoch für die für 01/2017 gewährte Unterhaltsleistung in gleicher Höhe ein Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin zu 1. aus § 5 Abs. 1 UVG. Hätte der Beklagte die Unterhaltsleistungen für Februar und März 2017 an die Klägerin zu 2. noch erbracht, hätte die Klägerin zu 1. diese gleichfalls zurückzahlen müssen.

Die Klägerinnen haben am 6.11.2017 Klage zum Verwaltungsgericht Greifswald erhoben. In der mündlichen Verhandlung haben sie beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 7.3.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des kommunalen Sozialverbandes Mecklenburg-Vorpommern vom 4.10.2017 aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urt. v. 23.1.2018 – 2 A 2316/17 HGW – abgewiesen. Ein Anspruch auf Unterhaltsleistungen für den Zeitraum ab 04/2017 bestehe nicht, weil sich nicht feststellen lasse, dass das Kind nur bei einem Elternteil lebe. Auf den Antrag der Klägerinnen hat der Senat mit Beschl. v. 7.5.2019 – 1 LZ 197/18 OVG – die Berufung gegen das Urteil zugelassen.

Zur Begründung der Berufung tragen die Klägerinnen im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG seien erfüllt. Die Klägerin zu 2. lebe bei der Klägerin zu 1., ein Wechselmodell sei zwischen den Eltern nicht vereinbart worden. Die Klägerin zu 1. sei kindergeldberechtigt. Bei ihr liege auch die Hauptverantwortung für Fürsorge und Erziehung. Die Klägerin zu 1. regele sämtliche schulische Angelegenheiten einschließlich Essensgeld. Sie kümmere sich allein um die Kleidung des Kindes, behördliche Angelegenheiten und die Gesundheitssorge.

Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts. Auch nach den Angaben der Klägerseite erreiche der Betreuungsanteil des Kindsvaters fast 40 Prozent. Dies sei ein Maß an Mitbetreuung des Kindes, das der Annahme von Alleinerziehung entgegenstehe. Das Kriterium der Kindergeldberechtigung sei nicht relevant. Es sei nicht zu erkennen, dass die Kindergeldstelle selbst geprüft habe, zu welchem Haushalt das Kind in welchem Umfang gehöre.

II. Die Entscheidung

Das OVG Mecklenburg-Vorpommern hält die Berufung für zulässig und zum Teil für begründet.

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 7.3.2017 enthalte zwei Regelungen. Zum einen hebe er mit Wirkung vom 1.2.2017 die mit Bescheid vom 4.1.2017 ausgesprochene fortlaufende Bewilligung von Unterhaltsleistungen an die Klägerin zu 2. auf. Insoweit sei der angefochtene Bescheid durch den Widerspruchsbescheid vom 4.10.2017 geändert worden. Die Aufhebung des Bescheides vom 4.1.2017 (der maßgebliche Bewilligungsbescheid sei im Tenor des Widerspruchsbescheides offenkundig unrichtig bezeichnet worden) trete nach der Änderung des Ausgangsbescheides durch den Widerspruchsbescheid erst mit Wirkung vom 1.4.2017 ein. Dabei weist der Senat zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits darauf hin, dass sich deshalb für die Monate 02/und 03/2017 aus dem Bescheid des Beklagten vom 4.1.2017 für die Klägerin zu 2. noch ein Zahlungsanspruch ergebe. Die Klägerinnen könnten ihr auf Weitergewährung von Unterhaltsleistungen ab 04/2017 gerichtetes Rechtsschutzbegehren in statthafter Weise mit der Anfechtungsklage verfolgen. Mit der Aufhebung des Einstellungsbescheides würde die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung des Beklagten wieder aufleben (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 13.12.2018 – OVG 6 B 9.17). Streitgegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung sei dabei der Zeitraum zwischen dem begehrten Leistungsbeginn und dem Erlass des Widerspruchsbescheides. Die Aktivlegitimation der Klägerin zu 1., die selbst nicht Leistungsempfängerin sei, folge insoweit aus § 9 UVG (OVG Berlin, Urt. v. 13.12.2018 – OVG 6 B 9.17, juris Rn 17 m.w.N.).

Zum anderen bestimme der Bescheid vom 7.3.2017 eine Ersatzpflicht der Klägerin zu 1. für die an die Klägerin zu 2. für den Monat 01/2017 erbrachte Unterhaltsleistung. Insoweit sei der Widerspruch der Klägerin zu 1. im Widerspruchsbescheid vom 4.10.2017 zurückgewiesen worden. Die Klägerin zu 1. könne ihr auf Aufhebung dieser Verfügung gerichtetes Rechtsschutzbegehren gleichfalls mit einem Anfechtungsantrag verfolgen.

Die so verstandene Anfechtungsklage der Klägerinnen sei zulässig, aber nur zum Teil begründet. Die Einstellung der Unterhaltsleistungen zum 04/2017 sei rechtmäßig geschehen, die Klägerinnen seien dadurch nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin zu 1. sei jedoch in ihren Rechten verletzt, soweit sie auf Ersatz der Unterhaltsleistung für 01/2017 in Anspruch genommen worden sei. Nur insoweit sein die angefochtenen Bescheide aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Gegen die Entscheidung des Beklagten, die Unterhaltsleistungen für den Zeitraum ab 04/2017 einzustellen, sei rechtlich nichts zu erinnern. Die angefochtenen Bescheide seien insoweit rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz wären im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr gegeben gewesen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG könne Unterhaltsleistungen nach diesem Gesetz nur beanspruchen, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebe. Daran fehlte es vorliegend. Ein Kind lebe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhalte, in der es auch betreut werde. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend sei das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen habe. Abgrenzungsprobleme entstünden, wenn das Kind regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringe. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebe, sei entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfahre, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trage der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liege, so erfordere es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt“ als erfüllt anzusehen. Werde das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge habe, sei das Merkmal zu verneinen. Das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals sei auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei sei als ein wesentlicher Gesichtspunkt zu berücksichtigen, welcher Elternteil zum vorrangig Kindergeldberechtigten bestimmt wurde (BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 – 5 C 20/11, juris Rn 20 f. m.w.N.). Nach diesen Maßstäben hätte der Senat unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls nicht feststellen können, dass die Klägerin zu 2. im streitgegenständlichen Zeitraum im Sinne des Gesetzes allein bei der Klägerin zu 1. gelebt habe.

Zwar liege eine die Gewährung von Unterhaltsleistungen rechtfertigende Alleinerziehung nicht erst dann vor, wenn sich der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebe, gar nicht an der Betreuung und Versorgung des Kindes beteilige. Umgekehrt betrachtet sei eine Alleinerziehung aber auch nicht erst dann ausgeschlossen, wenn Pflege und Erziehung des Kindes zwischen den Elternteilen in quantitativer und qualitativer Hinsicht gleichwertig verteilt seien. Entscheidend sei vielmehr, ob die Betreuungsleistung des anderen Elternteils bereits ein solches Maß erreicht habe, dass nicht mehr davon gesprochen werden könne, dass der Unterhaltsleistungen beantragende Elternteil die Verantwortung für Sorge und Erziehung des Kindes weit überwiegend allein erfüllen müsse (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 13.12.2018 – OVG 6 B 9.17, juris Rn 21, OVG Münster, Urt. v. 15.12.2015 – 12 A 1053/14, juris Rn 29, VGH München, Beschl. v. 14.1.2013 – 12 C 12.2737, juris Rn 10). So liege es hier. Der Betreuungsanteil des Vaters sei bei einer quantitativen Betrachtungsweise zwar nicht gleichwertig zu dem der Mutter der Klägerin zu 2., er habe jedoch einen so erheblichen Umfang, dass von einer wesentlichen Entlastung der Klägerin zu 1. gesprochen werden müsse. Der Senat gehe dabei von der Annahme aus, dass die Umgangsvereinbarung vom 20.12.2016 zwischen den Elternteilen auch vollzogen worden sei. Die Klägerinnen würden etwas anderes nicht vortragen. Aus dieser Vereinbarung ergebe sich, dass der Kindsvater die Klägerin zu 2. in einem zeitlichen Umfang von deutlich mehr als einem Drittel betreut habe. Das gelte unabhängig davon, ob man die Zeiten, in denen das Kind in der Schule und im Hort betreut wurde, einrechnen oder nicht. Bei einem solchen Betreuungsumfang durch den anderen Elternteil könne regelmäßig nicht mehr angenommen werden, dass der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei dem Elternteil liege, bei dem das Kind lebe. Das gelte auch dann, wenn in qualitativer Hinsicht eingestellt würde, dass die Klägerin zu 1. in bestimmten Bereichen der elterlichen Sorge wie der Regelung der schulischen und behördlichen Angelegenheiten und der Gesundheitssorge die Hauptverantwortung getragen habe. Auch aus den Angaben der Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung ergebe sich nicht, dass der Kindsvater insoweit sein Sorgerecht gar nicht wahrgenommen hätte.

Eine andere rechtliche Betrachtung ergebe sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin zu 1. im streitgegenständlichen Zeitraum kindergeldberechtigt gewesen sei. Die Klägerin zu 1. habe in ihrem Antrag auf Unterhaltsleistungen vom 25.1.2016 angegeben, dass sie diese Leistung bereits seit 08/2008 erhält. Die Klägerinnen würden nicht vortragen, dass die Kindergeldstelle nach der Trennung der Eltern und erst recht nicht für den streitgegenständlichen Zeitraum in der Sache geprüft hätte, ob die Voraussetzungen von § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG zugunsten der Klägerin zu 1. weiter vorlegen. Es sei deshalb nicht zu erkennen, dass die Entscheidung der Kindergeldstelle über die Kindergeldberechtigung von maßgeblicher Aussagekraft für die Beantwortung der Frage ist, ob die Klägerin zu 2. im unterhaltsvorschussrechtlichen Sinne bei einem Elternteil gelebt habe (vgl. OVG Münster, Urt. v. 15.12.2015 – 12 A 1053/14, juris Rn 44). Eine Aufnahme in den Haushalt setze kindergeldrechtlich zudem nur voraus, dass das Kind bewusst und auf einen längeren Zeitraum zur Betreuung und Erziehung in die Obhut der Familiengemeinschaft aufgenommen werde.

Das Kind müsse sich in diesem Haushalt überwiegend aufhalten und dort seinen Lebensmittelpunkt haben. Eine annähernd gleichwertige Haushaltsaufnahme bei beiden Elternteilen, die die Anwendung von § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ausschließe, liege erst dann vor, wenn keinem der Aufenthalte ein eindeutiges Übergewicht zukomme (vgl. BFH, Urt. v. 18.4.2013 – V R 41/11, juris Rn 17 f. m.w.N.). Ein solcher Fall liege hier nicht vor.

Die Klägerin zu 2. habe ihren Lebensmittelpunkt durchaus im Haushalt ihrer Mutter. Der Aufenthalt im Haushalt des Vaters sei nicht annähernd gleichwertig. Aus der Kindergeldberechtigung der Klägerin zu 1. lasse sich mithin für das geltend gemachte Leistungsbegehren nichts Maßgebliches herleiten.

Die angefochtenen Bescheide seien jedoch aufzuheben, soweit die Klägerin zu 1. darin zum Ersatz der für den Monat 01/2017 erbrachten Unterhaltsleistung verpflichtet worden ist. Die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 UVG seien nicht erfüllt.

Nach dieser Vorschrift habe der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebe, den geleisteten Betrag insoweit zu ersetzen, als er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt habe, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 unterlassen habe (Nr. 1) oder gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst habe, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt gewesen seien (Nr. 2), wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden sei, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben. Zwar seien die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in 01/2017 entfallen, weil der Tatbestand von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nicht mehr erfüllt gewesen sei. Der Klägerin zu 1. könne aber kein Vorwurf des schuldhaften Handelns gemacht werden. § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG sanktionierte vorsätzliche oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben.

Die Norm lasse ihrem Wortlaut entsprechend den Vorwurf der einfachen Fahrlässigkeit genügen. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lasse (BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 – 5 C 20/11, juris Rn 23). Die Anforderungen an die Sorgfalt seien dem Unterhaltsvorschussrecht entsprechend auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.6.2006 – 5 B 42/06, juris Rn 7). Vom betreffenden Elternteil könne dabei nicht verlangt werden, dass Einzelheiten der gesetzlichen Grundlagen bekannt sein müssten. Andererseits werde man aber verlangen können, dass die Verpflichtungen, die sich aus einem ausgehändigten Merkblatt ergeben, eingehalten werden.

Nach diesen Maßstäben habe die Klägerin zu 1. nicht fahrlässig gehandelt, als sie dem Beklagten die Unterhaltsvereinbarung vom 20.12.2016 nicht unverzüglich mitgeteilt habe. Dabei sei zunächst einzustellen, dass das Sitzungsprotokoll zunächst ausgefertigt und ihrer Verfahrensbevollmächtigten zugestellt werden musste, ehe die Klägerin zu 1. dem Beklagten die Vereinbarung durch Vorlage einer Unterlage nachweisen habe können. Auch der Vater des Kindes, der ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Einstellung der Unterhaltsleistungen an seine Tochter hatte, habe sich erst am 10.1.2017 deswegen an den Beklagten gewandt. Ungeachtet dessen habe die Klägerin die Leistungserheblichkeit (§ 6 Abs. 4 UVG) der Umgangsvereinbarung nicht in fahrlässiger Weise verkannt. Sie hatte in ihrem Leistungsantrag vom 22.1.2016 angegeben, dass sich das Kind circa zehn bis zwölf Tage im Monat beim Vater aufhalte. Der Beklagte hätte daraufhin die Sach- und Rechtslage näher geprüft, die Einzelheiten der Betreuung bei den Eltern des Kindes geklärt und Unterhaltsleistungen bewilligt.

An dem im Antrag angegebenen Betreuungsumfang habe sich durch die Vereinbarung nichts geändert, wenn man davon ausgeht, dass anteilige Betreuungszeiten des Vaters als halbe Tage gerechnet werden. Auch eine besonnene und gewissenhafte Leistungsempfängerin müsste deshalb nicht damit rechnen, dass der veränderte Umgang des Vaters Einfluss auf die Leistungsgewährung haben könne. Die Rechtslage musste ihr nicht bekannt sein, zumal die betreffende Frage rechtlich komplex und im vorliegenden Fall in tatsächlicher Hinsicht auch nicht einfach zu beantworten sein. Einen Hinweis darauf, dass jede Veränderung des Umgangs durch den anderen Elternteil mitzuteilen sei, enthielten auch die Bewilligungsbescheide des Beklagten nicht. Lägen die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG nicht vor, habe die Klägerin zu 1. auch nicht fahrlässig verkannt, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt gewesen sein (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG).

III. Der Praxistipp

Die hier vorgestellte Entscheidung des OVG Mecklenburg-Vorpommern verdeutlicht – insbesondere in Zusammenschau mit den weiteren dargestellten Entscheidungen des OLG Dresden sowie des OLG Frankfurt/Main –, dass der Praktiker bei der Ermittlung des Sachverhalts deutliches Augenmerk auf die Betreuungszeiten der Elternteile und die sich daraus ergebende prozentuale Verteilung derselben richten muss.

Hieraus ergeben sich umfangreiche Konsequenzen nicht nur hinsichtlich des Vorliegens eines – paritätischen – Wechselmodells, sondern auch der verfahrensrechtlichen Durchsetzung (vereinfachtes Verfahren, §§ 249 ff. FamFG) und/oder der Beantragung von Leistungen nach dem UVG ergeben.

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