Beitrag

A. Einleitung

Verfasser: Dr. Wolfram Viefhues
weitere Aufsicht führender Richter am Amtsgericht a.D., Gelsenkirchen

Eigentlich sollte man sich in diesen Tagen fröhlich auf das Weihnachtsfest vorbereiten, aber vor allem der verbrecherische Angriffskriegs Russlands in der Ukraine und die dadurch ausgelösten Energieprobleme stehen einer unbeschwerten Weihnachtsstimmung deutlich im Wege.

Aber auch die alltäglichen Probleme machen keine Freude. In vielen Bereichen zeigt sich eine überbordende Bürokratie, die zudem auch in der Umsetzung gehemmt wird, nicht nur durch den allgemeinen Personalmangel, sondern auch durch weitgehend fehlende Digitalisierung. Das bedeutet in der Praxis Papieranträge statt online-Beantragung und verwaltungsintern Aktentransport von Amt zu Amt statt gleichzeitige und parallele Bearbeitung in elektronischen Akten.

All das lähmt und kostet unnötig Kraft.

So dauert es wegen der langwierigen Genehmigungsprozesse bis zur Errichtung einer für die Energieerzeugung dringend benötigten Windkraftanlage regelmäßig volle 5 Jahre! Zahlreiche bereits fertig installierte Solaranlagen auf Privathäusern können nicht eingesetzt werden, weil langwierige Genehmigungsprozesse – natürlich in Papierform – dies verhindern. Für den Neubau einer maroden Autobahnbrücke der A 45 werden ebenfalls 5 Jahre veranschlagt – der deutschen Bürokratie geschuldet!

Zum Vergleich: die vor ein paar Jahren in Genua eingestürzte Autobahnbrücke war nach einem Jahr bereits wieder fertig aufgebaut – trotz der vielgescholtenen italienischen Bürokratie.

Einen vergleichenden Blick über die Grenze nach Dänemark gibt uns Martin Blessing, aus Bremen stammender Vorsitzender der Danske Bank:

„Dänemark hat eine parteiübergreifende Einigkeit, wie Wirtschaft und Staatsfinanzen funktionieren sollen. Sie haben eine sehr gute Digitalisierung: Jeder Bürger hat eine elektronische Identität. Damit können die Menschen mit dem Staat kommunizieren, und die Behörden funktionieren viel flotter. Sie können das aber auch nutzen, um zum Beispiel Bankgeschäfte zu machen. Es gibt eine elektronische Gesundheitsakte. Lauter Sachen, die in Deutschland aus Datenschutzgründen nicht laufen, gehen in Dänemark. Das spart Kosten, es geht alles schneller und effizienter, und das hilft dem Wachstum.“

Die Rückständigkeit in der Digitalisierung in unserem Lande aufgrund jahrelanger Versäumnisse kann niemand bestreiten (dazu siehe Ausgabe 4/2022 der e-Broschüre). So meldet die Tagespresse im Oktober die Forderung der Kassenärzte nach einem kompletten Neustart der Digitalisierung der deutschen Arztpraxen. Die Einführung der digitalen Patientenakte und des elektronischen Rezepts sei gescheitert, von den 73 Millionen gesetzlich Versicherten hätten nur einige Hunderttausende die elektronische Patientenakte angefordert. Sie sei medizinisch letztlich nur ein elektronischer Aktenordner, den der Patient nach Gutdünken fülle. Man müsse jetzt den Mut haben, offenkundig dysfunktionale Technologien zu beenden, frisches Geld in die Hand zu nehmen und das Ganze noch mal neu aufsetzen. Die vorhandene Digitalisierung verbrenne viel Geld, hemme die Praxen bei ihrer Arbeit und bringe letztlich nichts. Dazu passt die aktuelle Meldung, wonach das einzige Pilotverfahren zur Nutzung der digitalen Verschreibung nach einem Veto des Bundesdatenschutzbeauftragen gerade ausgesetzt werden musste.

Gibt es angesichts dieser traurigen Realitäten Licht am Ende des Tunnels?

Es sieht so aus, als sei man zumindest bei der Justiz auf einem guten Wege, mit der vieldiskutierten Digitalstrategie aktiv gegen den digitalen Rückstand anzugehen.

Sven Rebehn, der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes berichtete in der NJW über eine länderübergreifende Befragung von 15 Richterinnen und Richtern in Führungspositionen über die Informationstechnologie in der Justiz. Danach betonen mehr als 60 Prozent der Befragten, dass die Bürger zunehmend digitalisierte Angebote und Leistungen auch des Staates erwarten. Kann die Justiz dem nicht entsprechen, könnten die Verfahrenszahlen gerade bei kleineren Forderungen weiter zurückgehen. Veränderungsdruck entfaltet für eine Mehrheit der Befragten auch der Trend zu gleichförmigen Massenverfahren, mit denen Legal-Tech-Dienstleister und spezialisierte Kanzleien die Justiz überfluten. Eine starke „Bremse“ sei das föderale System. Die Kooperation der Länder bei der Steuerung der Justiz-Digitalisierung sei nicht leistungsfähig genug. Mehr als 60 Prozent der Befragten wünschen sich größeren Einfluss des Bundes bei der Digitalisierung.

An gewünschten Prioritäten eines Bund-Länder-Digitalpakts stehen an erster Stelle verstärkte Investitionen in die Einführung der elektronischen Akte sowie die Gerichtssäle und die (Heim-)Arbeitsplätze flächendeckend auf die Höhe der digitalen Anforderungen zu bringen. Fast gleichauf folgt drittens der Aufbau digitaler Bürgerservices. Ein einheitliches Justizportal für Rechtsuchende, vereinfachte Online-Verfahren bei kleinen Streitwerten oder virtuelle Rechtsantragsstellen sind hier die Stichworte.

Daher gibt es Veranlassung, die „Digitalstrategie der Bundesregierung für die Justiz“ einmal näher zu betrachten. Unsere Autorin Isabelle Biallaß gibt in ihrem Beitrag darüber einen umfassenden Überblick.

Aber natürlich darf auch das beA in dieser Ausgabe nicht fehlen – hierzu berichtet Ilona Cosack über „beA – Update 3.15 – XJustiz-Version und weitere Features“.

Hinzu kommen in dieser Ausgabe noch kleinere Informationen über die geplante „Digitalisierung der Standesämter“ und die „Abschaffung des Güterrechtsregisters“.

Wir wünschen Ihnen eine angenehme und nutzbringende Lektüre unserer e-Broschüre.

Dr. Wolfram Viefhues

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