1. Vor Ausspruch einer Druckkündigung ist der Arbeitgeber dazu gehalten aktiv tätig zu werden, dies erfordert es auch, dass dieser von seinem arbeitgeberseitigen Weisungsrecht Gebrauch macht und auf die involvierten Arbeitnehmer einwirkt.
2. Das Führen von Gesprächen und die Beratung mit involvierten Arbeitnehmern reichen für ein aktives Tun nicht aus.
[Redaktionelle Leitsätze]
I. Der Fall
Gegenstand des Rechtsstreits
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Änderungskündigung, die die Beklagte aufgrund von Druck anderer Arbeitnehmer gegenüber der Klägerin aussprach.
Parteien des Rechtsstreits
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit Anfang 1998 als Chemielaborantin in einem Labor der Beklagten in Y beschäftigt. Die Beklagte unterhält neben dem Standort in Y, noch zwei weitere Standorte in C und X. In Y beschäftigt die Beklagte circa 55 Arbeitnehmer. Es besteht ein Betriebsrat. Die Beklagte stellt Druckfarben und Pigmente her.
Unstimmigkeiten im Team der Klägerin
Nach Rückkehr der Klägerin aus ihrem Erziehungsurlaub im Jahr 2005 kam es erstmalig zu Unstimmigkeiten zwischen den Arbeitnehmern. Die Klägerin wurde daraufhin wiederholt in andere Gruppen am Standort Y versetzt. Weiterhin wechselte eine Kollegin der Klägerin in ein anderes Labor und der Leiter des Labors gab seine Leitungsposition ab. Die Beklagte ermahnte die Klägerin darauf, da sie einen Zusammenhang mit dem Sozialverhalten der Klägerin sah.
Klage über manipulatives Vorgehen der Klägerin
Die Klägerin war im Jahr 2019 über einen längeren Zeitraum hinweg arbeitsunfähig. Letztendlich stand, u.a. aufgrund eines ärztlichen Gutachtens, fest, dass die Klägerin unter bestimmten Voraussetzungen ihre Arbeit wieder aufnehmen könne. Als Kollegen der Klägerin von einer möglichen Rückkehr der Klägerin Kenntnis erlangten, wandten sich diese und u.a. auch die Betriebsratsvorsitzende an den Geschäftsführer der Beklagten und wiesen diesen darauf hin, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Klägerin und ihren Kollegen im Labor beeinträchtigt sei und baten um eine Versetzung der Klägerin. Der Geschäftsführer der Beklagten führte daraufhin mit mehreren Mitarbeitern des Labors Gespräche. Diese berichteten über psychischem Druck und ein manipulatives Agieren der Klägerin.
Reaktion des Arbeitgebers
Die Beklagte wandte sich daraufhin per E-Mail an die Mitarbeiter des Labors und angrenzende Arbeitsbereiche und wies diese darauf hin, dass die Klägerin ebenfalls Arbeitnehmerin des Labors sei und dass das Unternehmen alle Rechte wahren müsse und auch die Interessen der Klägerin im Blick haben, sowie vermittelnd tätig werden müsse. Mit gleicher E-Mail wurden die Mitarbeiter des Labors, um die Beantwortung von Fragen gebeten. Diese zielten u.a. darauf ab, ob sie sich eine Zusammenarbeit mit der Klägerin vorstellen könnten und welche Konsequenzen sie bei einer Rückkehr der Klägerin für sich treffen würden.
Mitteilung über Eigenkündigungen
Sechs von zehn Mitarbeiter aus dem Labor und zwei Mitarbeiter aus angrenzenden Bereichen, teilten dem Geschäftsführer daraufhin übereinstimmend mit, dass sie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Klägerin ausschließen würden. Weiterhin verwiesen die Mitarbeiter darauf, dass sie bei einer Rückkehr der Klägerin mit erhöhten krankheitsbedingten Fehlzeiten sowie dem Ausspruch von Eigenkündigungen von Kollegen rechnen würden. Weiterhin gaben einige der befragten Mitarbeiter an, selbst eine Versetzung oder eine Kündigung in Erwägung zu ziehen, für den Fall, dass die Klägerin erneut im Labor eingesetzt werden würde.
Angebot Versetzung
Die Beklagte bot der Klägerin daraufhin an, fortan ohne weitere Änderungen ihres Arbeitsvertrages als Colorist am Standort X zu arbeiten. Die Fahrtzeit der Klägerin würde sich bei einer solchen Versetzung von ca. 25 Minuten auf wenigstens 70 Minuten verlängern. Die Klägerin lehnte dieses Angebot ab.
Ausspruch Änderungskündigung
Daraufhin sprach die Beklagte, nach Anhörung des Betriebsrates, eine Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses aus und bot der Klägerin gleichzeitig eine Beschäftigung am Standort X an. Die Klägerin nahm dieses Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und erhob Kündigungsschutzklage.
Verfahrensgang
Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage der Klägerin statt (ArbG Würzburg, Urt. v. 27.10.2022 – 11 Ca 247/22). Es verwies in seiner Begründung insbesondere darauf, dass die Voraussetzungen einer echten Druckkündigung deshalb nicht vorlägen, da nur ein Teil der Mitarbeiter eine Eigenkündigung in Aussicht gestellt hätten und wirtschaftliche Schäden von der Beklagten nicht ausreichend vorgetragen worden wären. Die Beklagte legte daraufhin Berufung ein.
II. Die Entscheidung
Entscheidung des LAG Nürnberg
Das LAG Nürnberg wies die Berufung der Beklagten zurück. Die Änderungskündigung sei sozial nicht gerechtfertigt und konnte daher die Arbeitsbedingungen der Parteien nicht ändern.
Voraussetzungen einer Druckkündigung
Das LAG Nürnberg weist im Rahmen seiner Entscheidungsgründe zunächst darauf hin, dass nach höchstinstanzlicher Rechtsprechung des BAG eine entscheidende Voraussetzung einer Druckkündigung sei, dass sich der Arbeitgeber vor Ausspruch einer solchen schützend vor den Arbeitnehmer stelle und alles Zumutbare versuche, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen (BAG, Urt. v. 19.7.2016 – 2 AZR 637/15). Dies erfordere ein aktives Handeln des Arbeitgebers. Es reiche nicht aus, dass der Arbeitgeber lediglich Gespräche mit den Arbeitnehmern führe und in eine gemeinsame Beratung einträte. Vielmehr müsse der Arbeitgeber ggf. auch von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen und auf die Arbeitnehmer einwirken und ausreichend deutlich machen, dass ein Kündigungsgrund nicht vorläge.
Vortrag der Beklagten begründet kein aktives Tun
Nach Ansicht des LAG Nürnberg sei der Vortrag der Beklagten nicht dahingehend geeignet, auf ein solches aktives Handeln der Beklagten zu schließen. Nach eigenem Vortrag der Beklagten habe diese nur Gespräche mit den Mitarbeitern geführt. Aus den von der Beklagten vorgelegten Gesprächsprotokollen ginge jedoch nicht hervor, dass die Beklagte die Mitarbeiter dazu aufgefordert habe, eine Zusammenarbeit mit der Klägerin zu versuchen. Auch die Mitarbeiterbefragung enthalte keinen Rückschluss auf ein aktives Tun der Beklagten in der Art, dass diese versucht habe, den Druck von der Klägerin zu nehmen. Die Beklagte wies innerhalb dieser zwar darauf hin, dass sie auch dazu verpflichtet sei, die Rechte der Klägerin zu schützen. Genau hierzu sei es jedoch nach Abschluss der Befragung nicht gekommen.
III. Der Praxistipp
Anforderungen an Druckkündigung sind hoch
Das Urteil des LAG Nürnberg zeigt erneut, dass die Anforderungen an die Druckkündigung sehr hoch sind. Der Arbeitgeber muss insbesondere auch von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen und aktiv tätig werden, um den betroffenen Arbeitnehmer zu schützen. Ein bloßes passives Aufklären des Sachverhaltes und das Führen von Gesprächen reicht nicht aus.
Sophie Esser, Rechtsanwältin, Köln, esser@michelspmks.de