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BAG: Teilzeitverlangen während der Elternzeit und entgegenstehende betriebliche Gründe

1. Das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe i.S.v. § 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BEEG, die einem Teilzeitverlangen entgegenstehen, wird nicht auf Grundlage einer Namensliste zu einem Interessenausgleich vermutet. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG findet keine analoge Anwendung. Die aus der Vorschrift folgende Vermutungswirkung ist auf betriebsbedingte Kündigungen beschränkt.

2. Mit einer Klage auf Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit für einen bestimmten Zeitraum macht der Arbeitnehmer zugleich die von deren Ausgang abhängigen Zahlungsansprüche geltend und wahrt damit die tarifliche Ausschlussfrist.

[Redaktionelle Leitsätze]

Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 5.9.20239 AZR 329/22

I. Der Fall

Elternzeit und Teilzeitantrag

Die Parteien streiten über die Teilzeitbeschäftigung des Klägers, während der diesem gewährten Elternzeit sowie um Entgelt. Der schwerbehinderte Kläger ist seit dem Jahr 2010 bei der Beklagten, einem Unternehmen der chemischen Industrie, beschäftigt. Aufgrund vertraglicher Inbezugnahme finden die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung. Der Kläger ist Vater von zwei Kindern, die am 21.1.2016 und 3.7.2017 geboren wurden. Im Rahmen der für das zuerst geborene Kind gewährten Elternzeit vom 3.8.2018 – 2.12.2019 wurde der Kläger auf seinen Antrag hin mit 30 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt. Den neuerlichen Antrag des Klägers für eine weitere Teilzeitbeschäftigung in Elternzeit für die Zeit vom 3.12.2019 bis einschließlich 2.11.2021 lehnte die Beklagte ab.

Interessenausgleich mit Namensliste

Die Beklagte und der bei dieser errichtete Gesamtbetriebsrat schlossen am 29.8.2019 einen Interessenausgleich und Sozialplan. Hiernach sollten mehrere Tätigkeitsbereiche entfallen. Auf der dem Interessenausgleich beigefügten Namensliste war ebenfalls der Kläger als von der Kündigung betroffener Arbeitnehmer aufgeführt. Der Antrag der Beklagten auf Zustimmung zur Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Kläger wies das zuständige Integrationsamt ab; der Widerspruch der Beklagten hiergegen blieb erfolgslos.

Ablehnung Teilzeittätigkeit während der Elternzeit

Die Beklagte begründete ihre Ablehnung des Teilzeitwunsches des Klägers mit dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einer Teilzeitbeschäftigung entgegenstünden. Der Wegfall u.a. des Aufgabenbereichs des Klägers sei aufgrund des wirksam geschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste analog § 1 Abs. 5 KSchG zu vermuten. Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit dem 3.11.2021 in seiner alten Funktion.

Verfahrensgang

Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst seinen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung in Elternzeit geltend gemacht. Im weiteren Verlauf wurden darüber hinaus die Vergütungsansprüche für Dezember 2019 bis November 2021 verlangt. Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage in dem zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht erhobenen Umfang abgewiesen (ArbG Berlin, Urt. v. 5.2.2021 – 14 Ca 13975/19). Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten blieb im Wesentlichen erfolglos (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.7.2022 – 4 Sa 847/21).

II. Die Entscheidung

keine Vermutungswirkung der Namensliste

Wie bereits zuvor das Landesarbeitsgericht hält das BAG fest, dass die in § 1 Abs. 5 KSchG statuierte Wirkung einer Namensliste nicht auf andere gesetzliche Regelungen übertragbar ist. Ausweislich des eindeutigen Wortlautes der gesetzlichen Regelung könne der Interessenausgleich mit Namensliste eine Vermutungswirkung nur auf das Vorliegen der dringenden betrieblichen Erfordernisse rückschließen lassen. Auch eine analoge Anwendung der Regelung für die Feststellung der dringenden betrieblichen Gründe, die einer Teilzeitbeschäftigung eines Elternzeitberechtigten entgegenstehen, sei nicht möglich. Insoweit fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.

Zahlungsansprüche begründet

Nachdem dem Kläger aufgrund seines Antrages die Teilzeittätigkeit während der Elternzeit hätte gewährt werden müssen, hat das BAG, wie zuvor bereits das LAG, den von dem Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruch stattgegeben. Im Ergebnis ergäben sich die geltend gemachten Ansprüche des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Die Beklagte könne sich zur Zurückweisung des Zahlungsanspruchs auch nicht auf einen Rechtsirrtum berufen. Die Tatsache, dass die Beklagte der Auffassung gewesen sei, aufgrund des Interessenausgleichs mit Namensliste könnten dringende betriebliche Gründe, die einer Teilzeitbeschäftigung in der Elternzeit entgegenstünden, vermutet werden, stelle keinen unvermeidbaren Rechtsirrtum dar.

kein (teilweiser) Anspruchsverfall

Die Zahlungsansprüche des Klägers seien schließlich auch nicht aufgrund der tarifvertraglichen Verfallregelungen nicht mehr durchsetzbar. Die von dem Kläger im November 2019 erhobene Klage, mit der er zunächst lediglich sein Teilzeitbegehren gerichtlich anhängig gemacht hat, stelle die gleichzeitige und damit rechtzeitige Geltendmachung auch der jeweiligen Zahlungsansprüche dar.

III. Der Praxistipp

umfassende Begründung einer Ablehnung

Der im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung, eine Namensliste ließe auch auf die dringenden betrieblichen Gründe, die einer Beschäftigung in Teilzeit entgegenstünden, Rückschlüsse zu, hat das BAG eine eindeutige Absage erteilt. Die vorliegende Entscheidung des BAG, die inhaltlich zutreffend ist, macht ein weiteres Mal deutlich, dass ein Arbeitgeber, der den Antrag auf Teilzeittätigkeit während der Elternzeit ablehnen will, gut beraten ist, alle Gründe, die einer Teilzeitbeschäftigung entgegenstehen, darzulegen. Beachtlich, wenn auch nicht in neu, ist die Feststellung des BAG, dass für die Feststellung eines unvermeidbaren Rechtsirrtums strenge Anforderungen zu stellen sind und Ausschlussfristen nicht erst durch die Erhebung der Zahlungsklage gewahrt werden.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de

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