Beitrag

BAG: Stichtagsregelung in einer Betriebsvereinbarung

1. Die Betriebsparteien können eine Betriebsvereinbarung für die Zukunft abändern und auch Regelungen aufnehmen, die für die erfassten Beschäftigten ungünstiger sind. Kommt den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung Rückwirkung zu, müssen diese Bestimmungen den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

2. In einer Betriebsvereinbarung über Sonderzahlungen, die auch Gegenleistung für bereits erbrachte Arbeitsleistung sind, dürfen keine Stichtagsregelungen enthalten sein, die als Voraussetzung für die Zahlung den Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des Bezugszeitraums voraussetzen.

[Redaktionelle Leitsätze]

BAG, Urt. v. 15.11.202310 AZR 288/22

I. Der Fall

Arbeitsvertraglicher Bonus mit Verweis auf Betriebsvereinbarung

Der Arbeitsvertrag des Klägers sah vor, dass dieser eine variable Vergütung „erhalte“ in Form eines leistungsabhängigen Bonus von 15 % des Bruttojahresgehalts, der im freien Ermessen der Arbeitgeberin stehen sollte. Die näheren Einzelheiten sollten sich aus einer Betriebsvereinbarung ergeben. Diese Betriebsvereinbarung wurde im Jahr 2019 dahingehend abgeändert, dass eine zuvor nicht vorhandene Stichtagsregelung eingeführt wurde, wonach Arbeitnehmern, die im laufenden Fiskaljahr aufgrund einer Eigenkündigung ausscheiden, kein, auch kein anteiliger Anspruch auf die variable Vergütung zustehen sollte.

Eigenkündigung

Der Kläger schied aufgrund einer Eigenkündigung mit Ablauf des 30.4.2020 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Er macht anteilige Bonusansprüche für das Jahr 2020 geltend.

Verfahrensgang

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab (ArbG Berlin, Urt. v. 3.2.2021 – 3 Ca 11315/20). Auf die Berufung des Klägers sprach das Landesarbeitsgericht dem Kläger einen Betrag von 8.508,97 EUR zu (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.7.2022 – 16 Sa 542/21).

II. Die Entscheidung

Revision blieb erfolglos

Die von beiden Parteien eingelegten Revisionen waren unbegründet. Das BAG bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, wonach dem Kläger anteiliger Bonus für das Jahr des Ausscheidens zustand.

Unwirksamkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts

Das BAG hielt fest, dass dem Kläger ein arbeitsvertraglicher Bonus zugesagt wurde. Hierfür spreche schon die Formulierung „du erhältst“. Weder der Umstand, dass der Bonus im freien Ermessen der Arbeitgeberin stehen solle, noch der zusätzlich vereinbarte Freiwilligkeitsvorbehalt, würden hieran etwas ändern, da der Freiwilligkeitsvorbehalt unwirksam sei.

ablösende Betriebsvereinbarung

Die Betriebsvereinbarung von 2019, die die vorausgehende Betriebsvereinbarung abgelöst habe und insofern auch für die Arbeitnehmer ungünstigere Regelungen enthalte, sei grundsätzlich wirksam. Die Betriebsparteien könnten die von ihnen getroffenen Regelungen jederzeit für die Zukunft abändern. Die neue Betriebsvereinbarung könne auch für Arbeitnehmer ungünstigere Bestimmungen enthalten. Im Verhältnis zweier gleichrangiger Normen gelte nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern die Zeitkollisionsregelung. Greife die neue Betriebsvereinbarung in bereits entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer ein, so müssten jedoch die Grundsätze des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips beachtet werden.

kein Eingriff in Besitzstände erkennbar

Diesen Vorgaben werde die Betriebsvereinbarung gerecht. Sie greife nicht in bereits erworbene Besitzstände ein. Der Kläger habe unstreitig den Bonus für das Vorjahr erhalten. Soweit der Kläger rüge, dass nach der früheren Betriebsvereinbarung die Leistungen des Vorjahres auch Einfluss hätten auf die Höhe des Bonus für das laufende Jahr, ändere dies nicht. Einen Eingriff in einen Besitzstand habe der Kläger nicht schlüssig aufgezeigt.

Stichtagsregelung ist unwirksam

Allerdings sei die Stichtagsregelung in der Betriebsvereinbarung unwirksam. Eine Stichtagsregelung, wonach durch Eigenkündigung ausscheidende Arbeitnehmer keinen, auch keinen zeitanteiligen Anspruch auf einen Bonus haben, sei unwirksam. Die Betriebsparteien konnten den im Arbeitsvertrag i.V.m. der Betriebsvereinbarung begründeten Bonusanspruch nicht davon abhängig machen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des Fiskaljahres bestehe. Zwar stehe den Betriebsparteien nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes grundsätzlich eine umfassende Kompetenz zu, die materiellen und formellen Arbeitsbedingungen zu regeln. Allerdings sei § 75 BetrVG zu beachten, wonach die Betriebsparteien an die Grundsätze von Recht und Billigkeit gebunden seien. Die von den Betriebsparteien zu wahrenden Grundsätze des Rechts erstreckten sich auch auf § 611a Abs. 2 BGB, dem die Wertung zu entnehmen sei, dass das bereits verdiente Entgelt dem Arbeitnehmer nicht mehr entzogen werden könne.

Bonus honoriert nicht nur Betriebstreue

Der Beklagten könne nicht gefolgt werden, dass der Bonus nach der ablösenden Betriebsvereinbarung nur noch Betriebstreue honoriere, jedoch nicht mehr arbeitsleistungsbezogenen Vergütungscharakter habe. Hiergegen spreche zum einen, dass die Betriebsvereinbarung ausdrücklich eine Kürzung des Bonus für Zeiten ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt vorsehe. Zum anderen spreche hiergegen auch die Höhe des Bonus. Sonderzahlungen, die einen wesentlichen Teil der Gesamtvergütung ausmachten, seien regelmäßig als Arbeitsentgelt zu werten, das als Gegenleistung zu erbrachter Arbeitsleistung geschuldet werde. Der Anteil von 15 % bezogen auf das Fixgehalt sei in diesem Sinne wesentlich. Schließlich spreche auch die Anknüpfung des Bonus an den globalen Finanzerfolg der Unternehmensgruppe dafür, dass mit dem Bonus die Arbeitsleistung der Mitarbeitenden zusätzlich entlohnt werden solle. Hiervon sei mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auszugehen, auch wenn keine individuellen Ziele vereinbart worden seien.

zeitanteilige Berechnung

Da der Kläger seine Arbeitsleistung bis zum 30.4.2020 erbracht habe, stehe ihm auch ein zeitanteiliger Anspruch zu. Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitsleistung der dem Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung unterfallenden Mitarbeitenden gerade in einem bestimmten Zeitraum vor dem Stichtag besonderen Wert hat, was gegebenenfalls eine Stichtagsregelung hätte rechtfertigen können, seien nicht erkennbar.

III. Der Praxistipp

Arbeitsvertraglicher Bonus mit Verweis auf Betriebsvereinbarung

Gegenstand der Entscheidung des BAG war eine in der betrieblichen Praxis häufig vorkommende „Hybridregelung“. Der Bonusanspruch als solcher war im Arbeitsvertrag verankert, die Einzelheiten zur Berechnung, Fälligkeit und Anspruchskürzung hingegen in einer Betriebsvereinbarung. Grundsätzlich ist ein solches Modell rechtskonform, wie das BAG in der vorliegenden Entscheidung bestätigt. Für den Arbeitgeber hat dies Vorteile, da Betriebsvereinbarungen (den Konsens mit dem Betriebsrat vorausgesetzt) wesentlich einfacher abgeändert werden können als Arbeitsverträge.

Abänderung des Charakters einer Bonuszahlung möglich?

Die spannende und von den Prozessparteien diskutierte Frage, ob in einer Betriebsvereinbarung auch der Charakter einer Sonderzahlung abgeändert werden kann, in dem aus einer leistungsbezogenen Sonderzahlung eine ausschließlich Betriebstreue honorierende Sonderzahlung werden könne, ließ das BAG leider offen. Zu Recht ging der Senat davon aus, dass auch nach der ablösenden Betriebsvereinbarung der leistungsbezogene Charakter der Sonderzahlung evident sei.

Stichtagsregelungen in Betriebsvereinbarungen

Bezüglich der Wirksamkeit von Stichtagsregelungen kann festgehalten werden, dass für Betriebsvereinbarungen nicht andere Maßstäbe gelten als für arbeitsvertragliche Stichtagsregelungen auch. Bei Sonderzahlungen, die auch eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung darstellen, sind Eingriffe in den bereits verdienten Teil auch in Betriebsvereinbarungen nicht möglich.

Ulrich Kortmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, kortmann@michelspmks.de

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…