Beitrag

LAG Mecklenburg-Vorpommern: Keine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung bei verspäteter Bewerbung

1. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung. Das gilt auch für einen Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch.

2. Die Widerlegung der aus einem Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX folgenden Vermutung setzt den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fehlende fachliche Eignung des Bewerbers bzw. der Bewerberin berühren.

[Amtliche Leitsätze]

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 5.12.20235 Sa – 3/23

I. Der Fall

Gegenstand des Rechtsstreits

Im Rahmen des Verfahrens streiten die Parteien über die Zahlung einer Entschädigung aus den Gründen einer Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung.

Parteien des Rechtsstreits

Der Beklagte ist ein Amt, in welchem rund 30 Mitarbeiter beschäftigt sind. Der Kläger war zunächst bei der Bundespolizei, sodann bei einem Straßenverkehrsamt, dann als Sachbearbeiter für Personalangelegenheiten bei einem Kreis und zuletzt aufgrund mehrerer befristeter Beschäftigungen bei einer Stadt beschäftigt. Bei dem Kläger ist eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 50 festgestellt.

Stellenausschreibung

Der Beklagte schrieb am 7.4.2020 über ein Internetportal einen zu besetzenden Dienstposten „Amtsleistung für Zentrale Dienste und Finanzen (m/w/d)“ mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 11 TVöD-VKA aus. Im Rahmen der Stellenausschreibung wurde darauf hingewiesen, dass die Bewerbungsfrist am 8.5.2020 abläuft.

Bewerbung des Klägers

Mit E-Mail vom 11.5.2020 bewarb sich der Kläger (außerhalb der Bewerbungsfrist) auf die ausgeschriebene Stelle. Seiner E-Mail waren Bewerbungsunterlagen mit einem Seitenumfang von 56 Seiten beigefügt. Im Rahmen des Anschreibens wies der Kläger auf seine Schwerbehinderung hin.

interner Ablauf

Die Bewerbung des Klägers ging bei der zuständigen Personalbearbeiterin der Beklagten am 11.5.2020 ein. Die Bewerbung wurde sodann an den leitenden Verwaltungsbeamten weitergeleitet. Dieser druckte die Bewerbung des Klägers aus, vermerkte auf dieser die Notiz „verfristet“ und wies die zuständige Personalbearbeiterin an, dem Kläger eine Absage zu erteilen.

Reaktion des Klägers

Mit E-Mail vom 24.1.2021 erkundigte sich der Kläger nach dem Stand der Bewerbung. Der Beklagte verwies auf eine Absage vom 15.5.2020. Daraufhin forderte der Kläger den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern auf.

Verfahrensgang

Mit seiner beim ArbG Stralsund eingegangen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, der Beklagte habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Der Beklagte, als öffentlicher Arbeitgeber, sei verpflichtet gewesen den Kläger, als schwerbehinderten Bewerber, nach § 165 S. 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Überschreitung der Bewerbungsfrist sei unerheblich, da eine Bewerbungsfrist keine Ausschlussfrist sei und das Bewerbungsverfahren nicht verzögert habe. Das ArbG Stralsund hat die Klage abgewiesen (Urt. v. 24.11.2022 – 13 Ca 149/21). Zur Begründung führte das Arbeitsgericht an, der Kläger habe zwar durch den Ausschluss von dem Bewerbungsverfahren eine Benachteiligung erfahren, diese sei jedoch nicht aufgrund seiner Schwerbehinderung erfolgt. Bei Erteilung der Absage habe der Beklagte allein auf das Versäumen der Bewerbungsfrist abgestellt. Das LAG hielt mit Urt. v. 5.12.2023 – 5 Sa 3/23 an der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts fest. Der Kläger habe keinen Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG auf Zahlung einer Entschädigung.

II. Die Entscheidung

Entschädigungsanspruch bei Benachteiligung

Grundsätzlich kann nach § 15 Abs. 2 S. 1. AGG ein Beschäftigter, zu denen auch Bewerber gehören, vgl. § 6 Abs. 1 S. 2. AGG, bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. § 7 AGG definiert das Benachteiligungsverbot dahingehend, dass Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, zu denen auch die Behinderung gehört, benachteiligt werden dürfen.

Benachteiligung eines Schwerbehinderten

Weiterhin bestimmt § 164 Abs. 2 S. 1. SGB IX, dass Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen dürfen. § 165 S. 3 SGB bestimmt zudem für öffentliche Arbeitgeber die besondere Pflicht, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

Bestehen eines Kausalzusammenhanges

Das LAG stellt im Rahmen seiner Entscheidungsgründe klar, dass, soweit es um eine unmittelbare Benachteiligung ginge, es nicht erforderlich sei, dass der betreffende Grund das ausschließliche oder auch nur wesentliche Motiv sei, sondern ein Entschädigungsanspruch und eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes bereits in Frage käme, wenn die Benachteiligung auch nur an die Schwerbehinderung anknüpfe. Bloße Mitursächlichkeit sei daher ausreichend.

Darlegungs- und Beweislast

Weiterhin wies das LAG darauf hin, dass § 22 AGG für den Rechtsschutz einer Diskriminierung im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vorsähe. Sobald eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung vermuten lassen würden, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gegeben sei. Dabei begründe bereits ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, eine Vermutung für die Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung. Zu den zuvor genannten Verfahrens- und Förderpflichten gehöre auch § 167 S. 3 SGB IX, welcher bestimmt, dass ein öffentlicher Arbeitgeber zur Einladung eines schwerbehinderten Menschen verpflichtet sei. Könne die eine Partei Indizien vortragen, die eine Vermutung einer Benachteiligung begründe, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt sei. Hierfür gelte sodann keine Beweiserleichterung, sondern der Vollbeweis. Die Widerlegung der aus einem Verstoß gegen § 165 S. 3 SGB IX folgenden Vermutung, setzte konkret den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fehlende fachliche Eignung des Bewerbers berühren würden.

Benachteiligung: ja – wegen Behinderung: nein

Das LAG stellte sodann im Rahmen seiner Entscheidungsgründe fest, dass der Kläger zwar von vornherein aus dem Bewerberverfahren ausgeschlossen wurde und so eine weniger günstigere Behandlung als andere Bewerber erfahren habe, die Einladung sei jedoch aufgrund von Umständen unterblieben sei, die in keinem Zusammenhang mit der Behinderung oder der fachlichen Eignung des Klägers stünden. Die Ursache des Ausschlusses des Klägers aus dem Bewerbungsverfahren läge allein in der Verfristung der Bewerbung. Der Beklagte habe erstinstanzlich beweisen können, dass es gelebte Praxis sei, verfristet eingereichte Bewerbungen nicht zu berücksichtigen. Diese Praxis treffe alle Bewerber gleichermaßen unabhängig von ihrer Schwerbehinderteneigenschaft.

III. Der Praxistipp

Herausforderungen für Arbeitgeber

Entschädigungsansprüche nach dem AGG sind immer wieder Thema der Rechtsprechung. Insbesondere für öffentlich-rechtliche Arbeitgeber gilt es, hier besonders genau zu sein und die Verpflichtungen ernst zu nehmen und eingehende Bewerbungen genau zu prüfen. Weist der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Bewerbung auf seine Schwerbehinderung hin, so ist er zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, vgl. § 165 S. 3 SGB IX. Eine Einladung ist nur in Ausnahmefällen entbehrlich. Aufgrund der in § 22 AGG vorgesehenen Erleichterung der Darlegungslast und der Absenkung des Beweismaßes und der Umkehr der Beweislast hat ein Arbeitnehmer zunächst nur Indizien vorzutragen. Es ist dann Sache des Arbeitgebers diese Indizien durch den Vollbeweis zu entkräftigen.

Sophie Esser, Rechtsanwältin, Köln, esser@michelspmks.de

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…