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LAG Mecklenburg-Vorpommern: Schriftform bei „Turboklauseln“

1. Die Einräumung des Rechtes für eine Partei eines Arbeitsvertrages mit einer bestimmten Ankündigungsfrist vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu können, stellt ein § 12 Satz 1 KSchG vergleichbares Sonderkündigungsrecht dar, welches in einem Abwicklungsvertrag eingeräumt werden kann, dessen Ausübung jedoch dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB unterfällt.

2. § 623 BGB erfasst jedes Arbeitsverhältnis. Der Gesetzgeber hat das Schriftformerfordernis als konstitutiv angesehen. Es handelt sich deshalb um zwingendes Recht, welches weder durch vertragliche noch durch tarifvertragliche Regelungen abbedungen werden kann (BAG, Urt. v. 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn 35, juris).

3. Soll die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, so muss der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen (§ 126a BGB). Eine solche Ersetzung ist jedoch nur möglich, wenn die elektronische Form nicht durch Gesetz ausgeschlossen ist.

4. Für Kündigungen ist gemäß § 623 2. Halbsatz BGB der Ausschluss der elektronischen Form normiert. Damit hat der Gesetzgeber eindeutig zu verstehen gegeben, dass das Schriftformerfordernis konstitutiv ist, die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch elektronische Form nicht in Betracht kommt.

5. Die Formvorschriften des Bürgerlichen Rechts sind von denen des Prozessrechts strikt zu unterscheiden. Sie können wegen der Eigenständigkeit des Prozessrechts weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozesshandlungen angewendet werden. Die Möglichkeit der Nutzung der qualifizierten elektronischen Signatur und Übermittlung durch das besondere Anwaltspostfach dient der Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren, verfolgt damit eine andere Ziel- und Zweckrichtung als die Formvorschriften des BGB. Es bedarf keiner Übertragung des für das Prozessrecht vorgesehenen Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekts auf den Ausspruch von Kündigungen für Arbeitsverhältnisse.

[Leitsätze der Richter des LAG Mecklenburg-Vorpommern]

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 23.5.20232 Sa 146/23

I. Der Fall

Die Parteien streiten wegen einer Abfindungszahlung um die Frage der formgerechten Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Hintergrund des Rechtsstreits

Der Kläger war seit ca. 14 Jahren bei der Beklagten als Küchenleiter beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich, vorsorglich ordentlich zum 30.11.2021.

Inhalt des Vergleichs

In dem wegen dieser Kündigung geführten Rechtsstreit schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich. Dieser lautet u.a.:

„1. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 17.6.2021 mit Ablauf des 30.11.2021 enden wird. Die Beklagte hält die im Zusammenhang mit den Kündigungen erhobenen Vorwürfe nicht weiter aufrecht.

2. Der Kläger ist bis zum Beendigungszeitpunkt unwiderruflich von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung einer monatlichen Vergütung in Höhe von 1.800 EUR brutto freigestellt. Die Freistellung erfolgt zunächst unter Anrechnung der noch zustehenden Resturlaubsansprüche sowie sonstiger eventueller Freistellungsansprüche. Im Anschluss an diese Anrechnungszeiträume ist anderweitiger Verdienst nach § 615 S. 2 BGB anzurechnen. Der Kläger ist verpflichtet, anderweitig erzielten Verdienst der Beklagten unaufgefordert mitzuteilen.

3. Das Arbeitsverhältnis kann durch den Kläger unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von einer Woche vorzeitig durch schriftliche Erklärung gegenüber der Beklagten beendet werden. Die vorzeitige Beendigung liegt im Interesse der Beklagten. Im Falle der vorzeitigen Beendigung erhält der Kläger die ihm nach der vorzeitigen Beendigung bis zum ursprünglichen nach § 1 vorgesehenen Beendigungsdatum noch ausstehende monatliche Bruttovergütung (ausschließlich der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung) als Abfindung im Sinne der §§ 9, 10 KSchG. Macht der Kläger von dieser Möglichkeit Gebrauch, so gilt der Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet wird, als Beendigungsdatum im Sinne des § 1.“

„Turboklausel“

Mit der in Ziffer 3 getroffenen Regelung gab der verklagte Arbeitgeber dem Kläger die Chance, vor Beendigung der Kündigungsfrist vorzeitig das Arbeitsverhältnis zu beenden, wenn er einen neuen Job gefunden hat. Dafür sollte sich dann seine Abfindung erhöhen. Solche Klauseln werden als „Turbo-“ oder „Sprinterklauseln“ bezeichnet.

Erklärung der vorzeitigen Beendigung mittels beA

Nun erklärte nicht der Kläger selbst, sondern sein Anwalt mit Schreiben vom 20.7.2021 die vorzeitige Beendigung. Danach sollte das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2021 enden. Er verwendete hierbei das elektronische Anwaltspostfach mit qualifizierter elektronischer Signatur.

Zahlungsaufforderung und Klageerhebung

Mit Schreiben vom 30.1.2022 forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung einer weiteren Abfindung in Höhe von 7.200 EUR (4 * 1.800 EUR für die Monate August – November 2021) unter Fristsetzung mit Bezugnahme auf Ziffer 3 des Vergleiches und die darin enthaltene „Turboklausel“ auf. Nachdem dies erfolglos blieb, erhob der Kläger Zahlungsklage vor dem ArbG Stralsund – Kammern Neubrandenburg. Das ArbG Stralsund gab der Klage mit Urt. v. 20.9.2022 – 13 Ca 99/22 statt.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stralsund

Das ArbG Stralsund führte zur Begründung aus, es könne offenbleiben, ob es sich bei der Regelung unter Ziffer 3 des gerichtlichen Vergleiches um einen Aufhebungsvertrag handele, der unter der aufschiebenden Bedingung einer schriftlichen Erklärung des Arbeitnehmers stehe oder um eine bloße Abwicklungsvereinbarung, die dem Arbeitnehmer ein Sonderkündigungsrecht einräume.

Auf §§ 125, 126 BGB komme es nicht an

Handele es sich um einen bedingten Auflösungsvertrag, habe der gerichtliche Vergleich selbst das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Dieser genüge dem Formerfordernis des § 623 BGB. An die unter Ziffer 3 genannte Erklärung des Arbeitnehmers seien keine besonderen Formanforderungen zu stellen. Die in dem Vergleich vereinbarte Schriftform könne durch die elektronische Erklärung im Sinne des § 126a BGB ersetzt werden. Gehe man hingegen davon aus, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht unmittelbar aufgrund der vereinbarten Klausel, sondern erst aufgrund einer Kündigung vollzogen werde, so handele es sich bei der Erklärung des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 20.7.2021 um eine formwirksame Kündigung. Zwar sei die Schriftform nicht gewahrt, diese sei jedoch durch die elektronische Form ersetzt. § 623 2. Hs. BGB sei teleologisch zu reduzieren.

Verfahrensgang

Gegen diese Entscheidung (ArbG Stralsund – Kammern Neubrandenburg, Urt. v. 20.9.2022 – 13 Ca 99/22) ging der verklagte Arbeitgeber in Berufung.

II. Die Entscheidung

Berufung begründet

Der Arbeitgeber war erfolgreich. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern änderte mit Urt. v. 23.5.2023 – 2 Sa 146/23 das Urteil des ArbG Stralsund ab und wies die Klage ab.

Erklärung der vorzeitigen Beendigung sei eine Kündigung

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern führt aus, dass es sich bei der in Ziffer 3 des arbeitsgerichtlichen Vergleiches der Parteien angesprochenen Erklärung zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses um eine Kündigung handele. Diese bedürfe gemäß § 623 BGB der Schriftform des § 126 BGB. Da die erforderliche Schriftform nicht gewahrt sei, sei die Kündigung gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig und habe das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.7.2021 beendet.

nur Papier und Originalunterschrift zählen

Die Einräumung des Rechtes für eine Partei eines Arbeitsvertrages mit einer bestimmten Ankündigungsfrist vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu können, stelle ein § 12 Satz 1 KSchG vergleichbares Sonderkündigungsrecht dar, welches in einem Abwicklungsvertrag eingeräumt werden könne, dessen Ausübung jedoch dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB unterfalle.

keine Übertragbarkeit zivilprozessualer Erwägungen

Die Möglichkeit der Nutzung der qualifizierten elektronischen Signatur und Übermittlung durch das besondere Anwaltspostfach diene der Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren, verfolge damit eine andere Ziel- und Zweckrichtung als die Formvorschriften des BGB. Es bedürfe keiner Übertragung des für das Prozessrecht vorgesehenen Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekts auf den Ausspruch von Kündigungen für Arbeitsverhältnisse.

Treu und Glauben

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern schließt seine Begründung damit, dass dem Arbeitgeber die Berufung auf den Formmangel auch nicht wegen Treu und Glauben, § 242 BGB, verwehrt sei.

III. Der Praxistipp

Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung

Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG. Dieses entschied mit Urt. v. 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 in einem Fall, in dem die Erklärung der vorzeitigen Beendigung per Telefax übermittelt wurde, dass diese Erklärung eine Kündigung darstellt, die dem Formzwang des § 623 BGB unterfällt. Damit war die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit eigentlich erwartbar. Das erstinstanzliche Urteil des ArbG Stralsund zeigt aber, dass es in der Rechtsprechung dennoch unterschiedliche Auffassungen zum Schriftformerfordernis bei „Turboklauseln“ gibt. Der Kläger „zog“ die „Turboklausel“ vermutlich wegen eines neuen Jobs, der am 1.8.2021 begann. Interessant wäre, ob der Kläger dann noch für die Zeit vom 1.8.–30.11. seinen Entgeltanspruch geltend gemacht hatte. In diesem Fall wäre die Arbeitgeberin in dem Umfang, in dem der Kläger anderweitige Leistungen bezog, von der Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Vergütung frei, § 615 Abs. 2 BGB. Das Urteil führt hierzu nicht aus. Ich habe mich auch gefragt, wie der Fall entschieden worden wäre, wenn die „Turboklausel“ Textform vorgesehen hätte. Konsequenterweise müsste dann auch auf § 623 BGB abgestellt werden. Aber vielleicht wäre dies ein Fall von Treu und Glauben?

Schriftform vereinbaren und wahren!

Bis auf Weiteres ist bei allen Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen sowie bei gerichtlichen Beendigungsvergleichen bei der „Turboklausel“ auf Schriftform gemäß § 623 BGB zu achten. „Zieht“ der Arbeitnehmer die Klausel, dann bitte mit Papier und Originalunterschrift.

Ausblick Bürokratieentlastungsgesetz

Das Bundeskabinett hat am 30.8.2023 die von dem Bundesminister der Justiz vorgelegten Eckpunkte für ein Bürokratieentlastungsgesetz beschlossen. Damit soll ein wesentlicher Beitrag zum Abbau von bürokratischen Hürden geleistet und ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden. Eine Kernaussage der Eckpunkte ist, dass die Elektronische Form im BGB die Regelform werden soll. Deshalb sollen zahlreiche Schriftformerfordernisse soweit wie möglich aufgehoben werden.

Constantin Wlachojiannis, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln wlachojiannis@michelspmks.de

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