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BGH: Untreue bei zu hoher Vergütung von Betriebsräten

Es kann eine strafbare Untreue darstellen, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt

BGH, Urt. v. 10.1.20236 StR 133/220

I. Der Fall

Kommission Betriebsratsvergütung

Die Angeklagten waren bei der Volkswagen AG als Vorstandsmitglieder oder Prokuristen in einer „Kommission Betriebsratsvergütung“ tätig. Aufgabe der Kommission war die Entscheidung über die Bewilligung von Gehaltserhöhungen an freigestellte Betriebsratsmitglieder. Sie bewilligten u.a. die folgenden Zahlungen:

Höhe der Vergütung im Einzelfall

Das Betriebsratsmitglied O. verfügte über einen Hauptschulabschluss und eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Es war bei der Volkswagen AG als „Beanstandungsbeheber“ tätig, bevor es in den Betriebsrat gewählt wurde. Seine Vergütung belief sich zuletzt auf 17.000 EUR brutto monatlich. Zusätzlich erhielt er freiwillige Bonuszahlungen in Höhe von durchschnittlich 500.000 EUR pro Jahr. Das Betriebsratsmitglied F. absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung als Radio- und Fernsehmechaniker und war bei der Volkswagen AG als Montagearbeiter tätig. Nach seiner Wahl zum Betriebsratsvorsitzenden wurde es in den „oberen Managementkreis“ berufen. Ihm wurden „freiwillige Boni“ von bis zu 160.000 EUR pro Jahr gewährt.

weitere Fälle

Angeklagt waren darüber hinaus weitere, ähnlich gelagerte Fälle, in denen die Angeklagten an freigestellte Betriebsratsmitglieder ganz erhebliche Gehälter und Boni bewilligten, obwohl die Betriebsratsmitglieder vor ihrer Betriebsratstätigkeit als Facharbeiter tätig waren.

Tatbestands- oder Verbotsirrtum?

Die Angeklagten beriefen sich darauf, dass sie das von ihnen angewandte System für rechtmäßig gehalten hätten. Ihnen sei „von allen Seiten erklärt und versichert“ worden, es sei rechtlich alles in Ordnung, insbesondere auch von externen Anwälten.

Vorentscheidung des LG Braunschweig

Das Landgericht Braunschweig hat in 1. Instanz angenommen, dass die Angeklagten den objektiven Tatbestand der Untreue erfüllt, jedoch ohne Vorsatz gehandelt hätten. Die irrige Überzeugung, pflichtgemäß und gesetzeskonform gehandelt zu haben, stelle einen den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 Abs. 1 StGB dar.

II. Die Entscheidung

Aufhebung der Freisprüche

Der Bundesgerichtshofs hob die Freisprüche des Landgerichts auf und verwies die Angelegenheit an eine andere Kammer des Landgerichts zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.

Vermögensbetreuungspflicht

Das Landgericht sei allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der objektive Tatbestand der Untreue erfüllt sei. Die Vermögensbetreuungspflicht werde verletzt, wenn einem Betriebsratsmitglied ein Arbeitsentgelt bewilligt werde, das gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot verstoße. Eine solche begünstigende Verfügung sei gem. § 134 BGB nichtig. Sie überschreite die äußerste Grenze des unternehmerischen Ermessens und verletzte eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden Vermögen. Auch das Einverständnis des Vermögensinhabers stehe der Pflichtverletzung nicht entgegen. Ein hierdurch verursachter Vermögensnachteil würde auch dann nicht kompensiert, wenn durch die Zahlungen die vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle des Unternehmens gefördert würden.

Verstoß gegen Begünstigungsverbot

Das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot sei vorliegend verletzt worden. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt der Bundesgerichtshof aus, dass nach der gesetzlichen Wertung das Betriebsratsamt ein unentgeltliches Ehrenamt sein solle. Entgeltschutz bestehe nur insoweit, als die einem Betriebsratsmitglied zu zahlende Vergütung sich nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung zu bemessen habe. Eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit und der in diesem Zusammenhang erworbenen Qualifikationen sei unzulässig. Insbesondere dürfe nicht auf die hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds bei einer Sonderkarriere abgestellt werden. Vergleichbar sei vielmehr nur, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleichqualifizierte Tätigkeiten ausgeführt habe und dafür in gleicher Weise wie das Betriebsratsmitglied fachlich und persönlich qualifiziert war. Üblich sei eine Entwicklung dann, wenn die überwiegende Anzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer eine solche typischerweise bei normaler betrieblicher und personeller Entwicklung genommen habe. Diese Regeln gelten auch für Beförderungen. Es könnte für ein Betriebsratsmitglied nur dann eine höhere Vergütung gezahlt werden, wenn es ausschließlich in Folge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete Position aufgestiegen sei. Eine darüberhinausgehende Vergütungserhöhung verstoße gegen das Begünstigungsverbot.

hypothetische Ausnahmekarrieren unbeachtlich

Das Abstellen auf eine individuelle hypothetische Ausnahmekarriere des Betriebsratsmitglieds als Manager verbiete sich hingegen. Hieran ändere auch nichts, dass die betreffenden Betriebsratsmitglieder nach ihrer Amtsübernahme unternehmenseigene Managementprüfungen bestanden hätten oder mit Vorständen und Managern „auf Augenhöhe verhandelt“ hätten und als Betriebsratsmitglied komplexe Aufgaben wahrgenommen hätten. Diese Maßstäbe knüpften in unzulässiger Weise an die Bewertung der Betriebsratstätigkeit als solche an und fänden keine Stütze im Betriebsverfassungsgesetz.

erneute Beweisaufnahme erforderlich

Die Feststellung des Landgerichts zum mangelnden Vorsatz der Angeklagten hielt der Bundesgerichthof indes für unzureichend und hält aus diesem Grunde eine erneute Beweisaufnahme für erforderlich. Hierbei sei insbesondere noch näher zu prüfen, ob etwaige Fehlvorstellungen der Angeklagten bezüglich der Rechtmäßigkeit ihres Handelns einen Irrtum über tatsächliche Umstände (§ 16 StGB) oder ein Verbotsirrtum (§ 17 StGB) darstellen. Jedenfalls werde zu bedenken sein, dass ausreichend Unrechtseinsicht habe, wer bei der Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechne, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nehme. Dies gelte insbesondere, wenn dem Handelnden bewusst war, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewege. Das Vertrauen auf eingeholten anwaltlichen Rat vermöge nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen.

Mit Blick auf die zahlreichen Wortmeldungen in der Fachöffentlichkeit im Vorfeld, welche die von den Angeklagten angewandten Bemessungskriterien für die Vergütung von Betriebsräten – teils auch speziell für die Volkswagen AG –, für unzulässig erachteten, läge jedenfalls die Unvermeidbarkeit nicht auf der Hand.

III. Der Praxistipp

Überprüfung der Betriebsratsvergütung erforderlich

Der 6. Strafsenat gibt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern, eine ihm fremde Fachmaterie, zutreffend wieder. Spätestens jetzt wird sich kein Personalverantwortlicher mehr darauf berufen können, ihm sei die strafrechtliche Relevanz einer überhöhten Betriebsratsvergütung nicht bekannt gewesen. Die Personalpraxis wird sich also sehr schnell hierauf einzustellen haben. Unternehmen sollten daher schnellstmöglich prüfen, ob die in der Vergangenheit an Betriebsratsmitglieder gewährten Entgeltsteigerungen, die über das übliche Maß hinausgingen, berechtigt waren oder nicht. Tatsächliche oder vermeintliche Kompetenzen, die das Betriebsratsmitglied während der Amtszeit erworben hat, dürfen bei der Annahme einer fiktiven Karriere, die das Betriebsratsmitglied ohne das Amt durchlaufen hätte, nicht berücksichtigt werden. Stellt sich heraus, dass den Betriebsratsmitgliedern eine zu hohe Vergütung gewährt wurde, sind die Unternehmen nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die überhöhten Zahlungen sofort einzustellen und Rückzahlungsansprüche, soweit nicht verjährt oder verfallen, unverzüglich geltend zu machen.

Ulrich Kortmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, kortmann@michelspmks.de

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