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BAG: AGB-Kontrolle einer Ausschlussfrist

Eine arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussfrist, die Haftungsansprüche aus vorsätzlichen Schädigungen nicht ausnimmt, verstößt gegen § 202 Abs. 1 BGB und führt zur Gesamtunwirksamkeit der Ausschlussklausel.

[Redaktioneller Leitsatz]

BAG, Urt. v. 5.7.20229 AZR 341/21

I. Der Fall

Streit um Urlaubsabgeltung

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche. Die Klägerin war bis zum 31.8.2017 bei der Beklagten als Bürokauffrau beschäftigt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte die Klägerin zunächst mit E-Mail vom 25.10.2017 erfolglos die Abgeltung von 14 Urlaubstagen geltend. Mit am 1.2.2018 zugestellter Klage begehrte die Klägerin die Abgeltung von insgesamt 130 Urlaubstagen.

Ausschlussfrist

Der Arbeitsvertrag der Klägerin enthielt die folgende Ausschlussfrist:

„1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.“

Verfahrensgang

Vor dem Arbeitsgericht (Arbeitsgericht München, Urt. v. 19.8.2020 – 34 Ca 745/18) und dem Landesarbeitsgericht (LAG München, Urt. v. 26.2.2021 – 7 Sa 940/20) war die Klage überwiegend erfolglos. Die Revision der Klägerin hiergegen war weitestgehend begründet.

II. Die Entscheidung

Erfolg vor dem BAG

Das BAG sprach der Klägerin den geltend gemachten Abgeltungsanspruch mit Ausnahme eines geringfügigen Zinsanspruchs zu. Anders als vom LAG angenommen war nach Auffassung des BAG die arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussfrist unwirksam.

Ausschlussfrist erfasst Urlaubsabgeltung

Die vorliegend verwendete Ausschlussfristenregelung beziehe sich – so das BAG – ihrem Wortlaut nach auf alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, ohne bestimmte Ansprüche aus ihrem Anwendungsbereich herauszunehmen. Die Klausel erfasse daher alle gesetzlichen, tariflichen und vertraglichen Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien gegeneinander haben. Zutreffend sei, dass der damit erfasste Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung als reiner Geldanspruch Ausschlussfristen unterliegen könne. Dem stehe insbesondere weder das Bundesurlaubsgesetz noch die Arbeitszeit-Richtlinie entgegen.

Einschluss der Haftung wegen Vorsatz

Die Ausschlussklausel erfasse jedoch aufgrund ihrer weiten Formulierung auch Ansprüche wegen vorsätzlicher Vertragsverletzungen und vorsätzlicher unerlaubter Handlungen. Hierin liege ein Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB, der die Abkürzung der Verjährungsfrist bei Haftung wegen Vorsatzes untersage. Diese Vorschrift erfasse nicht nur Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch Ausschlussfristen. Infolge dieses gesetzlichen Verbots dürfe die Haftung wegen Vorsatzes nicht einer vertraglichen Ausschlussfrist unterliegen.

Gesamtunwirksamkeit

Dieser Verstoß führe zur Gesamtunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung, da diese sprachlich nicht teilbar sei. Die Rechtsfolgen des § 306 BGB kommen nicht nur zur Anwendung, wenn sich die Unwirksamkeit einer Klausel aus den §§ 305 ff. BGB selbst ergebe, sondern auch dann, wenn sie gegen sonstige gesetzliche Verbote verstoße.

Besonderheiten des Arbeitsrechts

Auch unter angemessener Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten könne die Ausschlussfristenregelung weder ganz noch teilweise aufrechterhalten bleiben. Nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB seien bei der Anwendung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Diese Vorschrift beziehe sich daher auf die Anwendung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die durch § 202 Abs. 1 BGB verbotene Beschränkung der Haftung wegen Vorsatzes gelte jedoch umfassend. Niemand solle sich der Willkür des Vertragspartners aussetzen können. Das Verbot sei daher nicht spezifisch auf AGB-Recht zurückzuführen und könne daher auch nicht in eine Abwägung nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB mit den arbeitsrechtlichen Besonderheiten eingestellt werden.

Vertrauensschutz?

Auch Vertrauensschutz könne die Beklagte nicht in Anspruch nehmen. Zwar habe der 8. Senat das BAG in einem Urt. v. 20.6.2013 – 8 AZR 280/12 – ursprünglich angenommen, eine Ausschlussklausel könne einschränkend dahingehend ausgelegt werden, dass Ansprüche wegen Vorsatzes von ihr nicht erfasst werden. Diese Auffassung sei jedoch von den Instanzgerichten und von der Literatur kritisiert worden. Auch in der Zeit vor dem Abschluss des Arbeitsvertrags datierten bereits Entscheidungen des Instanzgerichte, die von einer Unwirksamkeit einer Ausschlussfristenregelung ausgingen, die gegen § 202 Abs. 1 BGB verstießen. Die aufgrund dieses Diskussionsstands unsichere Rechtslage hätte die Beklagte als Verwenderin der Klausel veranlassen müssen, die Klausel unmissverständlich gesetzeskonform zu fassen, indem Ansprüche, die aus einer vorsätzlichen Handlung resultieren, ausdrücklich ausgenommen werden.

III. Der Praxistipp

„Alt-Klausel“

Die Ausschlussklausel stammte aus einem 2012 geschlossenen Arbeitsvertrag. Unkritisch für diese „Alt-Klausel“ war daher, dass Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausgenommen waren und für die Geltendmachung die Schriftform statt der seit 2016 nur noch möglichen Textform (§ 309 Nr. 13 BGB) vorgesehen waren. Bei einem neueren Vertrag hätte bereits dies zur Unwirksamkeit der Klausel geführt (vgl. BAG, Urt. v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18).

neue Rechtsprechung zu Ausschlussfristen

Die vorliegende Entscheidung reiht sich ein in eine ganze Serie von Entscheidungen des BAG zur AGB-Kontrolle von arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen. Dass die ausdrückliche Herausnahme von Ansprüchen, die auf vorsätzlichem Verhalten beruhen, notwendig ist, hatte bereits der 8. Senat des BAG unter ausdrücklicher Aufgabe seiner älteren Rechtsprechung in einem Urt. v. 26.11.2020 – 8 AZR 58/20 – festgestellt. In einer weiteren Entscheidung des 9. Senats v. 24.5.2022 – 9 AZR 461/21 – ging der Senat indes davon aus, dass ein Verstoß gegen die Klauselverbote des § 309 Nr. 7 lit. a BGB (Begrenzung der Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit) wegen der im Arbeitsrecht zu berücksichtigenden Besonderheiten nicht zur Unwirksamkeit der Klausel führe (BAG, Urt. v. 24.5.2022 – 9 AZR 461/21). Nicht eindeutig geklärt ist die Frage, ob normative Ansprüche aus Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen ausdrücklich ausgenommen werden müssen. Nach dem Urt. d. BAG v. 24.5.2022 ist dies dann jedenfalls nicht erforderlich, wenn auf das Arbeitsverhältnis keine Betriebsvereinbarung oder Tarifverträge normativ einwirken. Ebenso nicht eindeutig ist, ob wegen § 309 Nr. 7 lit. b BGB ausdrücklich auch Ansprüche, die auf grob fahrlässigen Pflichtverletzungen beruhen, ausdrücklich von der Ausschlussfrist ausgenommen werden müssen (hierzu tendierend BAG, Urt. v. 24.5.2022). Dem Klauselverwender ist zu empfehlen, möglichst umfassend diese „unverzichtbaren“ Ansprüche ausdrücklich auszunehmen.

Ulrich Kortmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, kortmann@michelspmks.de

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