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BAG: Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung aus dem Ausland

1. Ein Verleiher im Sinne von § 1 Abs. 1 1 AÜG a.F., der seinen Sitz im Ausland hat, bedarf der Erlaubnis, wenn er Leiharbeitnehmer ins Inland überlässt.

2. Die in § 10 Abs. 1 1 AÜG a.F. bestimmte Rechtsfolge, das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher, setzt voraus, dass der Leiharbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer gemäß § 9 Nr. 1 AÜG a.F. unwirksam ist. Dies gilt auch in Fällen mit Auslandsbezug.

3. Neben einem im Ausland fortbestehenden Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher wird kein weiteres Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers mit dem Entleiher im Inland begründet, wenn ein Leiharbeitnehmer aus dem Ausland nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AÜG a.F. unerlaubt ins Inland überlassen wird. Ein Nebeneinander von Leiharbeitsvertrag und fingiertem Arbeitsverhältnis ist ausgeschlossen.

4. Die Verletzung der Erlaubnispflicht führt nicht zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG a.F., wenn das Leiharbeitsverhältnis dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union unterliegt. § 2 Nr. 4 AEntG a.F. ordnet nicht an, dass § 9 Nr. 1 AÜG a.F. gegenüber diesem Recht vorrangig gelten soll. Es handelt sich bei dieser Vorschrift auch nicht um eine Eingriffsnorm im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO.

[Amtliche Leitsätze]

BAG Urt. v. 26.4.20229 AZR 228/21

I. Der Fall

Begründung eines Arbeitsverhältnisses in Frankreich

Die Klägerin ist französische Staatsangehörige und schloss mit einer französischen Firma unter dem 1.10.2014 einen Arbeitsvertrag nach französischem Recht. In dem Arbeitsvertrag wurde Bezug genommen auf den einschlägigen französischen Manteltarifvertrag, das französische Sozialversicherungssystem sowie das französische Datenschutzrecht. Der Vertrag sieht als Arbeitsort den Sitz des Arbeitgebers in Frankreich vor. Die vorübergehende Anweisung, an anderen Orten, auch im Ausland, tätig zu werden, ist dem Arbeitgeber gemäß dem Arbeitsvertrag möglich.

Tätigkeit in Deutschland

In der Zeit vom 1.10.2014 bis einschließlich 30.4.2016 war die Klägerin im Betrieb der Beklagten in Karlsruhe eingesetzt. Das Arbeitsverhältnis zwischen dem französischen Arbeitgeber und der Klägerin endete aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung im Jahr 2019.

fehlende Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis

Wie die Klägerin im Jahr 2019 erfuhr, besaß der französische Arbeitgeber zur Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis gemäß § 1 AÜG. Sie machte deshalb gegenüber der nunmehrigen Beklagten den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit dieser sowie die Zahlung von Vergütungsansprüchen geltend.

Verfahrensgang

Das Arbeitsgericht Karlsruhe wies die Klage der Klägerin insgesamt ab (Urt. v. 23.1.2020 – 8 Ca 194/19). Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg stellte in einem Teilurteil fest, dass zwischen den Parteien des Rechtsstreites ein Arbeitsverhältnis bestanden habe (Urt. v. 9.4.2021 – 12 Sa 15/20). Die ebenfalls gestellten Zahlungsanträge sprach es teilweise zu. Auf die hiergegen eingelegte Revision hob das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes auf und wies die Berufung der Klägerin zurück.

II. Die Entscheidung

keine Unwirksamkeit des ausländischen Arbeitsvertrages gem. § 9 Abs. 1 AÜG a.F.

Das BAG hält in seiner Entscheidung zunächst fest, dass auch der innereuropäischen Verleiher für die Überlassung von Arbeitnehmern nach Deutschland eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis gemäß § 1 AÜG benötige. Indes führe das Fehlen einer solchen zugunsten des Arbeitgebers der Klägerin in diesem Fall nicht zur Unwirksamkeit des zwischen der Klägerin und deren französischen Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrag. Anders als von dem LAG angenommen, fingiere § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG nur für den Fall ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher, wenn aufgrund § 9 Abs. 1 AÜG der zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer geschlossene Arbeitsvertrag aufgrund der fehlenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis unwirksam werde. § 9 Abs. 1 AÜG könne aber lediglich Wirkung für in Deutschland geschlossene Arbeitsverträge haben. Ein im europäischen Ausland geschlossener Arbeitsvertrag behalte trotz fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis seine Wirkung.

keine Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags aus anderen Gründen

Die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages könne auch nicht aus anderen Gründen festgestellt werden. Die Rechtswahl der Parteien des Arbeitsvertrages führe zur Anwendung französischen Rechts. Diese Rechtswahl sei zulässig. Nationales Recht sei auch nicht gemäß § 2 Nr. 4 AEntG auf den geschlossenen Arbeitsvertrag anzuwenden. § 2 Nr. 4 AEntG ordne die Geltung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften an. Die Anwendbarkeit einer gesetzlichen Norm, die den Bestand des Arbeitsverhältnisses betreffe, sei davon nicht umfasst. Die Anwendbarkeit von § 9 Abs. 1 AÜG ergebe sich schließlich auch nicht aus Art. 9 Abs. 1 der Rom I-VO. Voraussetzung hierfür wäre, dass § 9 Nr. 1 AÜG eine Eingriffsnorm im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO sei. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor.

III. Der Praxistipp

Beachtung des AÜG auch bei Arbeitnehmerüberlassung aus dem europäischen Ausland

Die Entscheidung des BAG macht noch einmal deutlich, dass auch für die Arbeitnehmerüberlassung aus dem europäischen Ausland die nationalen Genehmigungsvoraussetzungen zu beachten sind. Auch wenn im Ergebnis des hiesigen Rechtsstreites der betroffene (deutsche) Arbeitgeber nicht ungewollt eine neue Arbeitnehmerin aufgrund der gesetzlichen Fiktion erhalten hat, ist das Risiko nicht regelkonformer Arbeitnehmerüberlassung erheblich.

BAG, Urt. v. 26.4.2022 – 9 AZR 139/21

Die vorstehende Sichtweise hat der Senat in einem anderen Fall mit Urt. v. selben Tag bestätigt (BAG, Urt. v. 26.4.2022 – 9 AZR 139/21). Diesem Verfahren lag ein Arbeitsvertrag nach irischem Recht zwischen einer Ltd. mit Sitz im Vereinigten Königreich und einer als Pilotin und geschäftsführende Gesellschafterin („Director“) angestellten Arbeitnehmerin zugrunde, deren Dienste im Wege der Arbeitnehmerüberlassung auf der Grundlage einer englischem Recht unterliegenden Vereinbarung vom 14.12.2012 mit der in Dublin (Irland) ansässigen W Ltd. in Anspruch genommen wurde, damit diese wiederum ihre Verpflichtungen gegenüber der Beklagten nachkommen konnte.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de

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