I.Grundsätze des BEM
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, sofern Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Der betroffene Arbeitnehmer bzw. dessen gesetzlicher Vertreter ist vor Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen, § 167 Abs. 2 S. 4 SGB IX.
Erklärt der Arbeitnehmer sich mit der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements einverstanden, klärt der Arbeitgeber bei Zustimmung des Arbeitnehmers mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176 SGB IX (Betriebsrat/Personalrat), bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung unter Beteiligung der betroffenen Person, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden wird und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (Betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich ist der Werks- oder Betriebsarzt hinzuzuziehen.
Die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die personenbedingte Kündigung. Sie ist allerdings auch kein bloßer Programmsatz. Führt der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durch, kann er sich nicht pauschal darauf berufen, ihm seien zum Kündigungszeitpunkt – etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen – keine alternativen, der Erkrankung angemessene Einsatzmöglichkeiten bekannt und hätten ihm auch nicht bekannt sein müssen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Es bedarf eines umfassenden konkreten Vortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und warum andererseits dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung ausgeschlossen ist und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem alternativen anderen Schonarbeitsplatz eingesetzt werden kann (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Der Arbeitgeber hat bei Nichtdurchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ferner darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Die vorgenannte verschärfte Darlegungs- und Beweislast trifft den Arbeitgeber auch, wenn dieser zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus § 167 SGB IX ein Verfahren wählt, das nicht den Mindestanforderungen an das betriebliche Eingliederungsmanagement genügt.
II.LAG Köln, Urt. vom 23.1.2020 – 7 Sa 471/19, bislang kein Teilnahmerecht für Arbeitnehmervertreter
Das LAG Köln hat in seiner Entscheidung vom 23.1.2020 – 7 Sa 471/19 klargestellt, dass der Gesetzgeber in § 167 Abs. 2 SGB IX detailliert abschließend geregelt habe, wer an den Gesprächen über ein betriebliches Eingliederungsmanagement teilnehmen solle. Nach diesen Regelungen habe der Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, eine besondere Vertrauensperson, insbesondere Rechtsanwälte oder Verbandsvertreter hinzuzuziehen. Dies erscheine – so die Ausführungen der 7. Kammer des LAG Köln – sogar wenig hilfreich und eher kontraproduktiv. Ob in besonders gelagerten Einzelfällen die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes oder Verbandsvertreters in Frage komme, etwa wenn der Betroffene aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage sei, sich sinnvoll in das BEM einzubringen, ließ das LAG Köln ausdrücklich offen. Grundsätzlich seien Rechtsanwälte und Verbandsvertreter in BEM-Gesprächen allerdings nicht zugelassen.
III.Gesetzesänderung, Teilnahme von Vertrauenspersonen
Teilhabestärkungsgesetz: Beiziehung einer Vertrauensperson nun möglich
Dies hat sich nun geändert. In dem sogenannten Teilhabestärkungsgesetz vom 2.6.2021 (BGBl I, Seite 1387) ist an ungeordneter nicht prominenter Stelle niedergelegt, dass der Arbeitnehmer eine Person seines Vertrauens beiziehen kann. Die Person des Vertrauens kann selbstverständlich auch ein Rechtsanwalt oder ein Verbandsvertreter sein (vgl. dazu nur Schwede, ArbRAktuell 2021, 312.).
IV.Konsequenzen für die Arbeitgeber, Änderung des Einladungsschreibens
Die Arbeitgeber müssen zunächst einmal ihre – zumeist formularmäßigen – Schreiben zur Einleitung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ändern. Sofern das Formular nicht zum Ausdruck bringt, dass der Arbeitnehmer auch eine Person seines Vertrauens hinzuziehen kann, entspricht bereits die Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht den gesetzlichen Erfordernissen. Lehnt der Arbeitnehmer die Einladung ab, wurde das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht ordnungsgemäß eingeleitet und damit durchgeführt. Dem Arbeitgeber trifft die unter 1. dargestellte verschärfte Darlegungs- und Beweislast. Dies gilt es zu vermeiden.
Die Arbeitgeber werden sich zudem darauf einzurichten haben, dass auch Rechts- oder Verbandsvertreter an den Gesprächen teilnehmen. Ob dieses „kontraproduktiv“ ist, wird die Praxis erweisen. Ich gehe davon aus, dass auch Rechtsanwälte und Verbandsvertreter sich in Fällen des betrieblichen Eingliederungsmanagements konstruktiv an der Lösung des Falles beteiligen. Dies dürfte im Interesse aller liegen.
Dr. Marcus Michels, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln