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LAG Schleswig-Holstein: Zur Rückzahlung überzahlter Vergütung bei nachträglicher Feststellung des Arbeitnehmerstatus

Der Arbeitgeber kann grundsätzlich nicht die Rückzahlung der gezahlten Honorare für einen freien Mitarbeiter verlangen, wenn sich das Rechtsverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis erweist. Gegenüber dem entsprechenden Begehren kann sich der Arbeitnehmer grundsätzlich auf Vertrauensschutz berufen (mit BAG v. 8.11.2006 – 5 AZR 706/05).

Das gilt nicht, wenn der vermeintliche freie Mitarbeiter selbst eine Statusklage beim Arbeitsgericht erhoben hat oder ein sozialversicherungsrechtliches Statusverfahren eingeleitet hat.

Für die Gewährung von Vertrauensschutz ist es unerheblich, auf wessen Verlangen das Rechtsverhältnis als freies Mitarbeiterverhältnis begründet worden ist.

[Amtliche Leitsätze]

LAG Schleswig-Holstein,Urt.v.16.1.2020–5 Sa 150/19

I. Der Fall

Die Parteien streiten über Rückzahlungsansprüche der Klägerin wegen einer vermeintlich fehlerhaften Behandlung des sie verbindenden Vertragsverhältnisses als selbstständiger Dienstvertrag.

Die Klägerin betreibt ein Pflege- und Therapiezentrum, wo der Beklagte von Februar bis Juli 2015 als examinierte Pflegefachkraft auf der Grundlage eines Dienstvertrages zur pflegerischen Betreuung von Wachkomapatienten tätig war. Die Vergütung belief sich auf einen „Grundsatz pro Stunde“ in Höhe eines Betrages von 32 EUR pro Stunde zzgl. prozentualer Zulagen für Wochenende, Feiertage und Nachtdienste bei einer Mindestzahl an „garantierten täglichen Arbeitsstunden“ von 7,5 Stunden. Nach den vertraglichen Vereinbarungen ist der Auftraggeber dem Auftragnehmer während der vereinbarten Dienstzeiten nicht weisungsbefugt, insbesondere nicht im Hinblick auf die Gestaltung der Dienstzeiten. Ungeachtet dessen weist der Auftraggeber dem Auftragnehmer die zu pflegenden Patienten/Heimbewohner zu und orientiert sich hierbei an der Pflegebedürftigkeit der Patienten/Heimbewohner und an der Leistungsfähigkeit einer mindestens durchschnittlichen Pflegekraft.

Die Deutsche Rentenversicherung stufte das Beschäftigungsverhältnis im Rahmen einer ohne Beteiligung des Beklagten durchgeführten regelmäßigen Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV als abhängiges Beschäftigungsverhältnis ein und erließ gegenüber der Klägerin einen Bescheid über nachzuentrichtende Sozialversicherungsbeiträge.

Die Klägerin nimmt den Beklagten nun auf Rückzahlung eines Teils der gezahlten Vergütung (in Höhe von 18.636,95 EUR) in Anspruch. Zwischen den Parteien habe tatsächlich ein Arbeitsverhältnis bestanden, aus dem die Klägerin nach dem TVöD eine übliche Bruttovergütung von nur 16,32 EUR geschuldet habe. Der Beklagte hingegen bestreitet das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.

Das Arbeitsgericht hat die Klage vollumfänglich mit Urt. v. 6.6.2019 abgewiesen (ArbG Elmshorn – 1 Ca 1668 c/18). Ein Anspruch auf Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Honorare bestehe nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB nicht. Nach dem Inhalt des vereinbarten schriftlichen Vertrags hätten die Parteien einen freien Dienstvertrag abgeschlossen. Dies sei ein wichtiges Indiz für das Vorliegen eines entsprechenden Vertragswillens. Der Vertrag räume der Klägerin an keiner Stelle ein Weisungsrecht gegenüber dem Beklagten ein. Angesichts dessen habe die Klägerin nicht konkret dargelegt, wie das Rechtsverhältnis im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich und abweichend zu den schriftlichen Vertragsgrundlagen durchgeführt worden sei. Die Klägerin habe nur generell zu Verträgen mit Freiberuflern vorgetragen. Indessen fehle ein Vortrag zur konkreten Vertragsdurchführung mit dem Beklagten.

II. Die Entscheidung

Die hiergegen eingelegte Berufung hat das LAG Schleswig-Holstein zurückgewiesen. Das Arbeitsgericht habe die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da die Klägerin gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung von zu Unrecht gezahlter Vergütung habe.

Zunächst – so das LAG – könne die vertragliche Einordnung als Arbeitsverhältnis oder (freies) Dienstverhältnis dahingestellt bleiben. Es spreche zwar vieles dafür, dass es sich bei dem vom Beklagten angenommenen Einsätze/Schichten jeweils um befristete Arbeitsverhältnisse handelte. Der Beklagte verkennt insoweit, dass er die von ihm geschuldete pflegerische Tätigkeit nur entsprechend der im EDV-System der Klägerin für jeden Patienten hinterlegten Pflegeplanung sowie des auf ärztlicher Anordnung erstellten Medikamentenplans ausüben konnte. Auch dies spricht für eine Weisungsgebundenheit des Beklagten.

Letztlich komme es auf diese strittige Frage vorliegend indes nicht an, da der Klägerin auch dann kein Anspruch auf Rückforderung zu viel gezahlter Vergütung zustehe, wenn man ihren Vortrag als wahr unterstellt und von einem Arbeitsverhältnis ausgehe. Die Klägerin könne die Differenz zwischen dem üblicherweise geschuldeten Arbeitsentgelt nach §§ 611a Abs. 2, 612 Abs. 2 BGB und dem tatsächlich gezahlten Honorar nicht beanspruchen, da einem solchen Rückforderungsanspruch der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB entgegen stehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen, wenn der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt wird. War anstelle eines Honorars für die Tätigkeit im Arbeitsverhältnis eine niedrigere Vergütung zu zahlen, umfasst der Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers indes nicht sämtliche Honorarzahlungen, sondern nur die Differenz zwischen den beiden Vergütungen. Im Übrigen ist der Arbeitnehmer nicht ohne Rechtsgrund bereichert (BAG, Urt. v. 9.2.2005 – 5 AZR 175/04; BAG, Urt. v. 29.5.2002 – 5 AZR 680/00). Die Darlegungs- und Beweislast trägt grundsätzlich der Anspruchsteller, während den Leistungsempfänger nur eine sekundäre Darlegungslast treffe, d.h. der Anspruchsteller muss nur denjenigen Rechtsgrund ausräumen, der sich aus dem Vortrag des Leistungsempfängers ergibt (BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18; BGH, Urt. v. 28.7.2015 – XI ZR 434/14).

Selbst dann, wenn diese Voraussetzungen eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs vorlägen, sei es der Klägerin vorliegend nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Überzahlung des Beklagten zu berufen. Durch die Vereinbarung und Behandlung des Rechtsverhältnisses als freie Mitarbeit werde beim Mitarbeiter ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen. Der Arbeitgeber handele rechtsmissbräuchlich, wenn er versucht, dem Mitarbeiter die erhaltenen Vorteile wieder zu entziehen. Anders liege es nur dann, wenn der Mitarbeiter selbst eine Klage erhebt und für einen bestimmten Zeitraum die Einordnung des Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis geltend macht. Damit gebe er zu erkennen, dass er das Rechtsverhältnis nicht nach den Regeln der freien Mitarbeit, sondern nach Arbeitsrecht behandelt wissen will und der Arbeitnehmer insoweit keinen Vertrauensschutz geltend machen kann (BAG, Urt. v. 8.11.2006 – 5 AZR 706/05; BAG Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18). Ein derartiger Ausnahmefall liege hier indessen nicht vor, da der Beklagte im gesamten Verlauf des Rechtsstreits auf die Einordnung des Vertragsverhältnisses als freies Dienstverhältnis bestanden und zu keinem Zeitpunkt Arbeitnehmerrechte geltend gemacht habe.

III. Der Praxistipp

Das Urteil steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG. Hiernach kann der Arbeitgeber die Rückerstattung gezahlter Honorare nur für solche Zeiträume verlangen, für die der Mitarbeiter ein Arbeitsverhältnis geltend macht (BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18). Ggf. kann es sich empfehlen, den Mitarbeiter zu einer Erklärung hierzu aufzufordern, da eine gerichtliche Feststellung des Arbeitnehmerstatus keine Voraussetzung für einen Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers ist.

Bei einem – hier nicht vorliegenden – berechtigten Rückforderungsbegehren müsste sich der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG zudem neben der im Arbeitsverhältnis geschuldeten Bruttovergütung auch den hierauf entfallenden Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag anrechnen lassen (BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18).

Dr. Gunther Mävers, Maître en Droit, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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